Arzneimittel und Therapie

Borderline-Störungen: Wenn sich Angst und Wut gegen den eigenen Körper richten

Borderline-Erkrankungen zählen zu den häufigsten und auffälligsten Persönlichkeitsstörungen. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu beherrschen und sind sehr labil in sozialen Beziehungen, im Selbstbild und ihrer Stimmung. Sie haben massive Wutausbrüche und sind oft unfähig, Spannungen abzubauen und richten diese gegen sich selbst. Ein wichtiger Therapiebestandteil Ų neben psychoanalytischen Therapien Ų sind Medikamente, die bei rund 40 bis 70% der Betroffenen zum Einsatz kommen.

Borderline-Erkrankungen haben unter den Persönlichkeitsstörungen eine herausragende Stellung. Denn von allen Persönlichkeitsstörungen zeigen Borderline-Erkrankungen die dramatischsten Auffälligkeiten. Nicht selten kommt es zu Suizidversuchen, heftigen Wutausbrüchen oder massiven Selbstverletzungen, die ein schnelles medizinisches Eingreifen erfordern. Dagegen treten andere Persönlichkeitsstörungen viel weniger in Erscheinung. Zum Beispiel leben Menschen mit einer ängstlichen Persönlichkeitsstörung oft einfach zurückgezogener, aber keiner schickt sie deshalb gleich zum Arzt. Ähnliches gilt für schizoide Persönlichkeiten, die häufig als eigenwillige oder merkwürdige Menschen wahrgenommen werden, ohne dass die Umwelt automatisch stark darunter leidet.

Borderline-Störungen bleiben oft unerkannt

Zwar sind Borderline-Störungen weit verbreitet – etwa 1,6 bis 1,8% der Allgemeinbevölkerung sind betroffen (doppelt so häufig wie Schizophrenien) – trotzdem werden Borderline-Erkrankungen in der täglichen Praxis oft nicht korrekt diagnostiziert. Erst vor wenigen Jahren wurde eine amerikanische Studie publiziert, in der 43% der untersuchten Borderline-Patienten vom Hausarzt nicht erkannt wurden.

Grundsätzlich gibt es kein einzelnes Zeichen, das für eine Borderline-Störung pathognomonisch wäre. Entscheidend ist vielmehr das Zusammentreffen mehrerer Auffälligkeiten. Nach den Kriterien des DSM-IV der American Psychiatric Association müssen zur Diagnosestellung fünf von neun Kriterien erfüllt sein.

Hellhörig sollte man nach Hinweisen von Priv.-Doz. Dr. med. Romuald Brunner, leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Heidelberg, zum Beispiel werden, wenn folgende drei Leitsymptomatiken gemeinsam vorliegen:

  • Selbstdestruktivität wie etwa wiederholtes Aufritzen der Unterarme oder anderer Körperteile,
  • extrem starke Stimmungsschwankungen innerhalb kürzester Zeit, beispielsweise ein Wechsel zwischen euphorischer und schwer depressiver Stimmung und
  • starke Kontakt- oder Identitätsprobleme, etwa ein häufiger Abbruch von persönlichen Beziehungen oder die Angst, nur eine Scheinpersönlichkeit zu sein.

Ritzen als Entlastung für die Psyche

Für viele Borderline-Patienten haben die Selbstverletzungen eine enorme Bedeutung. Rund 70% der Betroffenen zeigen dieses Phänomen. Andersherum steckt bei wiederholtem Ritzen nach Schätzungen von Brunner ungefähr in einem Drittel eine Borderline-Erkrankung dahinter. Viele Betroffene berichten, dass sie sich durch das Ritzen "wieder spüren" würden oder dass sie vom Rinnen des warmen Blutes über die Haut beruhigt werden, also eine Entlastung ihrer psychischen Beschwerden erfahren. Bei ungefähr einem Drittel hat das Ritzen nach Hinweisen von Brunner dagegen eher eine interaktive Funktion, indem Betroffene z. B. vom Lebenspartner oder auch von Ärzten durch die Selbstverletzungen Zuwendung bzw. Aufmerksamkeit erhalten.

Selbstverletzungen unbedingt ernst nehmen

Wenn sich Borderline-Patienten immer wieder selbst verletzen, kann sich schnell das Gefühl einstellen, dass dieses Verhalten harmlos sei. "Vor dieser Bagatellisierung sollte man allerdings warnen", so Brunner, "denn die Häufigkeit und Intensität von Selbstverletzungen ist ein wichtiges Indiz für einen späteren Suizid und muss deshalb unbedingt ernst genommen werden. Grundsätzlich sollte man dabei bedenken, dass die Suizidrate bei Borderline-Störungen ähnlich hoch ist wie bei schwer depressiven Patienten."

Nicht mit Vorwürfen reagieren

Immer wieder stellt sich auch die Frage, wie man sich gegenüber Borderline-Patienten am besten verhält. Am wichtigsten ist es, nicht mit Vorwürfen zu reagieren, wie Brunner unterstreicht. Das kann im Einzelfall natürlich schwierig sein, wenn ein Borderline-Patient sich zum wiederholten Mal selbst verletzt oder man deshalb um drei Uhr nachts aufstehen muss. "Doch ähnlich wie bei Schizophrenie- oder Magersuchtspatienten darf man Betroffenen die Symptomatik nicht zum Vorwurf machen."

SSRIs, Antiepileptika oder Neuroleptika?

Als Hilfe kommen bei vielen Borderline-Patienten neben Psychotherapien auch Medikamente als wichtiger Behandlungsbestandteil zum Einsatz. "Im Erwachsenenbereich werden vermutlich 40 bis 70% eine adjuvante Pharmakotherapie erhalten", schätzt Brunner. Die Wahl der Medikamente richtet sich dabei zu einem wesentlichen Teil nach den vorherrschenden Symptomen. "Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) können zum Beispiel sinnvoll sein, wenn Depressivität, fehlende Wutkontrolle oder auch aggressive Impulse eine große Rolle spielen", so Brunner. Vorsichtig sollte man nach Hinweisen des Psychiaters allerdings sein, wenn stark dissoziative oder paranoide Ideen vorliegen bzw. bei maniformen Symptomen, um diese Symptomatik nicht zu verstärken, was bei SSRIs durchaus passieren könne. Zu empfehlen ist zum Beispiel Fluoxetin, das Brunner zufolge oft in Dosierungen von 40 bis 60 mg zum Einsatz kommt. Abgesehen von vegetativen Störungen in den ersten zwei Wochen werde das Medikament insgesamt auch gut vertragen.

Bei starken affektiven Schwankungen kann dagegen das Antiepileptikum Carbamazepin sinnvoll sein, wie Brunner erläuterte. Darüber hinaus könne man sich auch Neuroleptika wie Perazin oder Risperidon zu Nutze machen. "Allerdings nicht unter der Idee eine Psychose zu behandeln, die bei Borderline-Patienten ja nicht vorliegt, sondern zur Stabilisierung der Stimmung und um die Affektspannung zu reduzieren, ohne gleichzeitig eine Sedierung zu verursachen."

Dagegen spielen Opiatantagonisten und Betablocker nach Ansicht des Experten von wenigen Ausnahmen abgesehen keine Rolle. "Absolut obsolet sind MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva oder auch Benzodiazepine, die bei Borderline-Patienten ungünstige Nebenwirkungen verursachen können."

Borderline-Erkrankungen zählen zu den häufigsten und auffälligsten Persönlichkeitsstörungen. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu beherrschen, haben massive Wutausbrüche und sind oft unfähig, Spannungen abzubauen – sie richten diese dann gegen sich selbst.

Borderline-Störung ist keine Grenz-Erkrankung

Ursprünglich wollte man mit dem Begriff "Borderline" zum Ausdruck bringen, dass es sich um eine Krankheit an der Grenze (borderline) zwischen Psychose und Neurose handelt. Doch diese Vorstellung ist mittlerweile nicht mehr aktuell.

"Wahrscheinlich würde man diese Erkrankung, die zu den Persönlichkeitsstörungen zählt, heute nicht mehr Borderline-Störung nennen", so Brunner. "Denn die Auffälligkeiten, die bei Betroffenen unter Stress auftreten können, stellen keine psychotische Entgleisung im eigentlichen Sinne dar. Zudem zeigen Studien, dass aus Borderline-Patienten im Langzeitverlauf keine schizophrenen Patienten werden."

Symptome

Eine Borderline-Störung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden neun Symptome leidet:

  • unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen
  • Impulsivität bei potenziell selbstzerstörerischen Verhaltensweisen
  • starke Stimmungsschwankungen
  • häufige und unangemessene Zornausbrüche
  • Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/ -versuche
  • Fehlen eines klaren Ich-Identitätsgefühls
  • chronische Gefühle von Leere und Langeweile
  • verzweifelte Bemühungen, die reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu vermeiden
  • stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome

Nicht jede Borderline-Persönlichkeit leidet unter allen Symptomen und die Symptome können bei jedem Betroffenen andere Ausprägungen annehmen.

Autoaggressives Verhalten

Eine gegen sich gerichtete Form der Aggressivität mit Beschädigungen an sich selbst wird als Selbstverletzung bezeichnet. Dazu zählen

  • "offene" Verletzungen wie Schnitte (von oberflächlich bis tief), Kratzen und ständiges Aufkratzen von Wunden, exzessives Nägelkauen und Nagelbettreißen und
  • weitere Selbstverletzungen wie das Ausreißen der Körperbehaarung, Schlagen des Kopfes gegen harte Oberflächen und selbst hervorgerufene Blutergüsse durch Schläge.

Auch Essstörungen und das exzessive Betreiben von Sport gehören zur Selbstverletzung. Sie wird oft eingesetzt um innere Spannungen abzubauen oder auch als ein Ruf nach Hilfe.

Tipps zur Hilfe und Selbsthilfe

Menschen mit Borderline-Erleben neigen zu starken Gefühlen, die sie nicht kontrollieren können. Vor allem Freunde und Angehörige wissen oft nicht, wie sie sich in Krisenzeiten verhalten sollen. Ihnen und Betroffenen werden auf der Internetseite www.borderline-plattform.de nicht nur viele Informationen angeboten, sondern auch Adressen von Selbsthilfegruppen und sehr praxisnahe Tipps, wie Krisen bewältigt werden können.

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