Arzneimittel und Therapie

Glitazone nach der Proactive-Studie: Schutz von Herz und Hirn?

Eine große Langzeitinterventionsstudie mit Pioglitazon (Actos®) sollte den Beweis antreten, dass sich mit Glitazonen makrovaskuläre Komplikationen bei Diabetikern verhindern lassen. Nachdem der definierte primäre Endpunkt keinen signifikanten Vorteil von Pioglitazon gegenüber Placebo erkennen ließ, wurde nachträglich ein sekundärer Endpunkt festgelegt, dessen Auswertung dem erhofften Ergebnis näher kam. Danach verhindert Pioglitazon Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall. Die Kritik an diesem Vorgehen blieb nicht aus.

Ein wichtiges Therapieziel bei Typ-2-Diabetes ist es, makrovaskuläre Komplikationen zu verhindern und damit die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität zu senken. Langzeitinterventionsstudien konnten bislang nicht bestätigen, dass sich dieses Ziel mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin erreichen lässt. Im Gegenteil: durch eine vor kurzem veröffentlichte kanadische Kohortenstudie wurde der Verdacht erhärtet, dass nicht nur ältere Sulfonylharnstoffe wie Tolbutamid (Orabet®) sondern auch das bei uns als Mittel der Wahl geltende Glibenclamid (z. B. Euglucon®) die kardiovaskuläre Sterblichkeit erhöhen können. Lediglich für Metformin (Glucophage®), gibt es Daten, die eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität übergewichtiger Typ-2-Diabetiker belegen. Vieles deutete darauf hin, dass auch die Substanzgruppe der Glitazone in der Lage ist, kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren.

Die Proactive-Studie

Glitazone wie Rosiglitazon und Pioglitazon sind Insulinsensitizer. Sie greifen am PPAR-gamma-Rezeptor im Zellkern von Fett-, Leber- und Skelettmuskelzellen an, induzieren die Bildung von Glucosetransportern und verstärken so die Glucoseaufnahme in die Zelle. Eine Langzeitstudie mit Pioglitazon, die so genannte Proactive-Studie (prospective pioglitazone clinical trial in macrovascular events), sollte den Nachweis erbringen, dass sich mit Pioglitazon die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei Typ-2-Diabetes senken lässt. Doch die Ergebnisse waren nicht so eindeutig wie erwartet. 5238 Typ-2-Diabetiker mit einem hohen kardiovaskulären Risiko und einem HbA1c-Wert, der trotz Therapie über 6,5% lag, nahmen an der randomisierten und placebokontrollierten Studie teil. Ziel war ein HbA1c-Wert unter 6,5%. Die Studie dauerte drei Jahre. Primärer Endpunkt der Studie war eine Kombination aus Herzinfarkt, Schlaganfall, Amputation und Revaskularisierung. Hier konnte keine signifikante Beeinflussung durch Pioglitazon festgestellt werden. Erst mit einem im Nachhinein definierten sekundären Endpunkt aus Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall wurde ein signifikanter Nutzen durch die Pioglitazon-Behandlung erkennbar (Pioglitazon-Gruppe: 11,6%; Placebo-Gruppe: 13,6%). Danach müssen 50 Patienten drei Jahre lang mit Pioglitazon behandelt werden, um einen Todesfall, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu verhindern.

Nutzen ist umstritten

Das arznei-telegramm weist darauf hin, dass diese positiven Effekte durch die Zunahme der Herzinsuffizienzrate und Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz kompensiert würden: Werden 30 Patienten drei Jahre mit Pioglitazon behandelt, muss bei einem Patienten mit der Entwicklung einer Herzinsuffizienz gerechnet werden. Das arznei-telegramm erachtet die nachträgliche Definition des sekundären Endpunktes als unzulässig und erhebt den Verdacht auf Datenmanipulation. Sein Fazit: "Ein klinischer Nutzen von Pioglitazon ist mit der Proactive-Studie nicht belegt. Aufgrund der höheren Herzinsuffizienzrate ist nicht einmal die langfristige Sicherheit des Antidiabetikums hinreichend nachgewiesen."

Wir haben Prof. Dr. Thomas Haak, Leiter der Diabetesklinik in Bad Mergentheim um eine Bewertung der Proactive-Studie gebeten und mit ihm über Perspektiven der Therapie des Typ-2-Diabetes gesprochen.

DAZ:

Herr Professor Haak, was waren die Hintergründe der Proactive-Studie? Wie interpretieren Sie die Ergebnisse?

Haak:

Bereits in der Vergangenheit haben zahlreiche Studien darauf hingewiesen, dass mit der Substanzgruppe der Glitazone kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren sind. So gibt es zahlreiche Hinweise auf eine Verbesserung der Endothelfunktion durch Glitazone. Die Proactive-Studie war die erste Studie, die den Langzeitnutzen mit harten Endpunkten belegen sollte. Dies ist, was den primären Endpunkt, bestehend aus Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Revaskularisierungen und Amputationen angeht, nicht gelungen. Die Proactive-Studie hatte auch nach meiner Sicht zwei Schwächen. Einerseits war die Laufzeit zu kurz, um mit ausreichender Signifikanz die Überlegenheit der Substanz zu beweisen. Ein anderes Problem war der sehr heterogene primäre Endpunkt, bestehend aus Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Revaskularisierungen und Amputationen. Die letzten beiden sind so häufig, dass in der Kürze der Laufzeit kein Unterschied zwischen Placebo und Pioglitazon gezeigt werden konnte. Rechnet man diese beiden heraus und bezeichnet den Rest der Ereignisse als sekundären Endpunkt, wird die Studie signifikant.

DAZ:

War die Proactive-Studie falsch angelegt?

Haak:

Hätte man den primären und sekundären Endpunkt anders herum definiert, wären die Ergebnisse eindeutig. Aber hinterher ist man in der Regel immer klüger. Ich würde daher die Ergebnisse der Proactive-Studie nicht als bahnbrechend bezeichnen, jedoch als einen weiteren guten Hinweis darauf, dass mit Glitazonen eine kardiovaskuläre Medizin betrieben wird. Es bleibt daher abzuwarten, welche Ergebnisse Studien bringen werden, die ähnlich wie Proactive angelegt sind und bereits im Gange sind. Nach wie vor sollten Glitazone eine therapeutische Option in der Behandlung des Typ-2-Diabetes darstellen. Anders als derzeit geübte Praxis, sollten Glitazone jedoch nicht erst am Ende, wenn andere Therapien versagt haben, ins Spiel kommen, sondern wenn man sich dafür entscheidet, zu einem früheren Krankheitsstadium eingesetzt werden.

DAZ:

Intensiv wird nach neuen Substanzen zur Therapie des Typ-2-Diabetes gesucht. Welche Substanzklassen werden den Typ-2-Diabetes in der Zukunft am stärksten beeinflussen?

Haak:

Aus meiner Sicht werden in naher Zukunft die GLP1-Analoga die Behandlung des Typ-2-Diabetes verbessern und vielleicht sogar ein wenig revolutionieren. Sie müssen zwar genau so injiziert werden wie Insulin, haben jedoch den Vorteil, dass sie unterschiedliche Wirkmechanismen haben. Angefangen von einer verzögerten Magenentleerung, einer Erhöhung der Insulinausschüttung, einer Verminderung des Hungergefühls, um nur einige der Wirkungen zu nennen. Sie greifen damit an vielen pathophysiologischen Orten des Geschehens ein und haben darüber hinaus den großen Vorteil, dass sie zu keinem Unterzucker führen können.

Es entfällt daher die teure und für den Patienten unangenehme Blutzuckerselbstkontrolle. Noch eleganter in der Therapie, sofern die Wirksamkeit ausreichend ist, sind die Hemmer der Dipeptidylpeptidase IV (DDP-V-Antagonisten), die den Abbau von endogenem GLP1 hemmen. Diese sind auch als orale Substanzen verfügbar und erzielen vergleichbare Effekte über Erhöhung des endogenen GLP1. Bei allen neuen Substanzen habe ich jedoch große Sorgen, dass die gesundheitspolitischen Entwicklungen, wie sie sich in Deutschland derzeit abzeichnen, eine erfolgreiche Markteinführung neuer Substanzen erschweren.

Prinzipiell geht es ausschließlich darum, möglichst kostengünstig Diabetiker zu therapieren, da der Diabetes ja nun einmal eine Volkskrankheit ist.

Andererseits ist es ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, wenn ihnen neue und für sie erfolgreichere oder auch nur komfortablere Behandlungswege vorenthalten werden, um Geld zu sparen. Diese Entwicklung in Deutschland ist beispiellos und findet sich in keinem anderen europäischen Land. Sie bedeutet Stillstand bzw. gar Rückschritt für medizinische Innovationen und eine bessere Patientenversorgung

DAZ:

Herr Professor Haak, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Interpharm 2006

Herz- und Hirninfarkt

Plötzlich auftretende Durchblutungsstörungen verursachen Infarkte, die im Herzen oder auch im Gehirn auftreten können. Dabei wird das Gewebe nicht ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, was zunächst Störungen der Funktion in dem betroffenen Gebiet hervorruft. Dauert der Sauerstoff- und Nährstoffmangel längere Zeit an, beginnen Herz- oder Hirngewebe abzusterben.

Die meisten dieser Durchblutungsstörungen werden durch verstopfte oder verengte Blutgefäße ausgelöst. Die Gefahr für solche Ereignisse wächst meist im höheren Lebensalter, wenn Risikofaktoren wie Rauchen, hoher Blutdruck, Diabetes und erhöhte Blutfettwerte das Herz-Kreislauf-System bereits viele Jahrzehnte lang geschädigt haben.

Eine rechtzeitige Behandlung kann sowohl beim Herz- als auch beim Hirninfarkt Leben retten. Ist die akute Gefahr zunächst einmal überstanden, muss der Patient seinen Lebensstil und die Risikofaktoren verändern, um den nächsten Infarkt so weit wie möglich hinauszuzögern. Welche Möglichkeiten der Akuttherapie und der Sekundärprophylaxe es gibt, wird Professor Dr. Klaus Fink auf der Interpharm vorstellen.

"Akuttherapie und Sekundärprophylaxe von Herz- und Hirninfarkt", Prof. Dr. Klaus Fink, Bonn, Sonntag, 12. März 2006, auf der Interpharm in Frankfurt.

Das vollständige Interpharm-Programm finden Sie in dieser Ausgabe der DAZ.

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