Praxis aktuell

Patientenzeitschrift: Gute Pillen – schlechte Pillen

"Gute Pillen Ų Schlechte Pillen" ist der Titel einer neuen Zeitschrift, als deren Herausgeber die Gesellschaft für unabhängige Gesundheitsinformation gGmbH verantwortlich zeichnet. Im Hintergrund stehen die "kritischen Fachorgane" "arznei-telegramm", "Der Arzneimittelbrief" und "Pharma-Brief". Die Zeitschrift richtet sich direkt an den Verbraucher bzw. Patienten. Ihr erklärtes Ziel wird in der 1. Ausgabe (erschienen im Oktober 2005) als Ansprache an die Patienten wie folgt formuliert: "Hier bekommen Sie unabhängige Information, die ein klares Ziel hat: Sie sollen sich in Gesundheitsfragen selbst eine fundierte Meinung bilden können. Dafür bürgt die langjährige Erfahrung der Herausgeber." Der Arbeitskreis Weiterzubildender zum Fachapotheker für Arzneimittelinformation des Universitätsklinikums Düsseldorf hat große Zweifel am Wert dieses Konzeptes für den einzelnen Patienten.

Frei von kommerziellen Interessen?

Die Zeitschrift wirbt auf Seite 1 damit, frei von kommerziellen Interessen zu sein. Warum das mit einem Verkaufspreis von 3 Euro pro Ausgabe verbundene Geschäft kein kommerzielles Interesse ist, bleibt ungeklärt. Ebenfalls nicht umsonst, sondern für 25 Euro pro 50 Exemplare wird Arztpraxen und Apotheken der Artikel "Erkältungskrankheiten" als "Patientenbrief" angeboten. Wieso aber sollten niedergelassene Ärzte und Apotheker diese Zeitschrift auf eigene Kosten an Patienten überreichen, statt sich in Arzneimittelfragen auf ihre eigene Beratungs- und Fachkompetenz zu verlassen?

Evidenz: die Conditio sine qua non

An vielen Stellen der Zeitschrift wird direkt oder indirekt von fehlendem bzw. nicht belegtem Nutzen von Arzneimitteln gesprochen, die Patienten auch ohne ärztliche Verordnung erwerben können. Auch wenn die Wirksamkeit eines Arzneimittels – neben Qualität und Unbedenklichkeit – nach dem Arzneimittelgesetz die Grundlage für eine Beurteilung darstellt, erscheint uns die Pauschalität der Zeitschrift zu schematisch und praxisfremd. Alle Arzneimittel, für die kein evidenzbasierter Nutzen vorliegt, werden als wirkungs- und/oder nutzlos bezeichnet, obwohl auch keine Evidenzen für die Nichtwirkung existieren. So heißt es auf Seite 6 (linke Spalte, 1. Absatz) zu Acetylcystein, Sekretolytika sollen den zähen Schleim bei Husten lockern, würden aber die Krankheitsdauer nicht verkürzen und auch von den Krankenkassen nicht bezahlt werden. Genügend hohe Flüssigkeitszufuhr würde es auch tun. Kein Wort davon, dass es für Acetylcystein eine Reihe von Untersuchungen gibt, die einen plausiblen Wirkungsmechanismus unterstützen (Spaltung von Disulfidbrücken von Mukusglykoproteinen) [1]. Die Verflüssigung zähen Schleims ermöglicht ein erleichtertes Abhusten, so dass Acetylcystein durchaus eine symptomatische Wirkung haben kann. Auch werden immer wieder neue Indikationen für Acetylcystein in gut gemachten klinischen Studien positiv evaluiert, z. B. idiopathische Lungenfibrose [2].

Schließlich bleibt das hohe finanzielle Risiko einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie, die den heutigen Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügt. Diesem steht nur wenig wirtschaftlicher Nutzen gegenüber, weil der sich möglicherweise ergebende Nutzen einer solchen Investition mit einer Armee von (Generika-)Konkurrenten geteilt werden muss. Wer es ernst meint mit der Verbesserung des Arzneimittelmarktes in Deutschland, sollte auch diese Situation transparent machen und konkrete Vorschläge zur Lösung dieses Dilemmas beitragen. Im Übrigen betrifft eine solche Situation auch wertvolle verschreibungspflichtige Arzneimittel wie organische Nitrate (z. B. Glyceroltrinitrat, Isosorbidmononitrat), deren prognostische Wirkung bei KHK immer noch nicht untersucht ist und aus den genannten Gründen aller Voraussicht nach auch in Zukunft nicht untersucht wird [3,4].

Der autarke Patient?

Die Autoren der neuen Zeitschrift versprechen "Wir schaffen Überblick" (Seite 2, Spalte 2, letzter Absatz) oder "Wir schaffen Durchblick" (Seite 2, Spalte 3, letzter Absatz). Das erscheint uns ein Anspruch, den die Autoren nicht erfüllen können, weil er nicht erfüllbar ist. Wie soll ein Laie nach Lektüre dieser Zeitschrift einen Überblick oder gar Durchblick zur Behandlung häufiger Erkrankungen bekommen, wenn dies – nach Aussagen dieser Zeitschrift – selbst Ärzten oder Apothekern schwer fällt? Wahrscheinlicher ist, dass Laien durch die Lektüre der Zeitschrift verunsichert werden, und dass die dargestellten Informationen zu einer Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Patienten und Ärzten bzw. Apothekern führen. Darüber hinaus erscheint der Inhalt der Erstausgabe in vielen Punkten unausgewogen und einseitig. Um dies zu belegen, haben wir exemplarisch drei der sieben Hauptbeiträge kritisch evaluiert.

Beispiel 1: "Der aktuelle Preisvergleich – Acetylsalicylsäure gegen Schmerzen". Gegenstand des Artikels ist ein Therapiekosten-Vergleich diverser Acetylsalicylsäure (ASS)-haltiger OTC-Präparate. Es wird vordergründig suggeriert, dass für vermeintlich gleichwertige Präparate eine Preisspanne von mehr als 800% existiert. Damit wird einerseits den Herstellern unterstellt, ihre Arzneimittel zu überteuerten Preisen zu vertreiben, auf der anderen Seite werden Patienten angehalten, teurere Schmerzmittel zu Gunsten preiswerter Alternativen zu meiden. Bei der preislichen Gegenüberstellung werden qualitative Unterschiede zwischen den aufgeführten Analgetika leider völlig außer Acht gelassen. Ein solcher Vergleich macht auch nur dann Sinn, wenn tatsächlich gleiche Arzneiformen miteinander verglichen werden. Eine herkömmliche Tablette mit einer Brausetablette oder einer Kautablette zu vergleichen, ist nicht zulässig. Auf die Vorzüge dieser speziellen Formulierungen (schnellerer Wirkungseintritt, Möglichkeit der Einnahme ohne Flüssigkeit, bessere Magenverträglichkeit) wird in keinster Weise hingewiesen. Außerdem gibt es, wie aus dem Offizinalltag bekannt, zahlreiche Patienten, die auf wirkstoffgleiche Präparate unterschiedlicher Hersteller durchaus interindividuell verschieden ansprechen. Daher muss das jeweils günstigste Medikament nicht zwangsläufig für jeden Patienten auch das Beste sein.

Der Zusatz von Ascorbinsäure (ASS plus Vitamin C Brausetabletten) wird als unnötig und überflüssig eingestuft. Tatsächlich ist es aber so, dass die weit verbreitete Einnahme von Vitamin C oder Ascorbinsäure-haltigen Vitaminpräparaten, beispielsweise zur adjuvanten Therapie von Erkältungskrankheiten, bei vielen Patienten zumindest subjektiv zu einer schnelleren Linderung der Symptomatik beiträgt. Die gemeinsame Zufuhr von Vitamin C und ASS bei Vorliegen entsprechender Erkältungsbeschwerden erscheint daher für diese Patienten durchaus sinnvoll. Darüber hinaus sind in der Literatur Hinweise zu finden, dass die zusätzliche Gabe von Vitamin C vor einer ASS-induzierten Magenschleimhautschädigung schützt [5]. Vitamin C könnte demnach ebenfalls zu einer besseren Magenverträglichkeit beitragen. Ferner wird angeführt, dass der Zusatz von Vitamin C den Preis für diese Arzneimittel grundlos in die Höhe treibt. Zweifellos ist Vitamin C in der Herstellung sehr günstig. Es ist dabei aber auch zu berücksichtigen, dass eine Vitamin C-haltige Formulierung völlig andere Ansprüche an die Galenik stellt, was einen höheren Preis durchaus gerechtfertigt erscheinen lässt.

Beispiel 2: "Wechseljahre: Vorsicht mit Hormonen". Die langfristige Hormontherapie zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden oder zur Vorbeugung von kardiovaskulären Erkrankungen ist nach der derzeitigen Erkenntnislage und Rechtssituation obsolet. Obwohl den Autoren insoweit zuzustimmen ist, erscheint der Schreibstil jedoch eher verängstigend und hilft keiner betroffenen Frau mit entsprechender Symptomatik weiter. Als Beispiel sei folgender Satz zitiert:

"Zudem ist zweifelhaft, ob es dauerhaft etwas bringt, die lästigen Symptome der Wechseljahre mit Hormonen zu unterdrücken." Die Tatsache, dass Hormone bei schweren Symptomen die einzigen Stoffe sind, die kurzfristig Linderung bringen, wird völlig unterschlagen. Außerdem ist der dauerhafte Einsatz von Hormonen durch das BfArM mit der Änderung der Indikation unterbunden worden.

Im Schlussabschnitt des Beitrages wird die natürliche Behandlung mit Luftfächern, Yoga und Kleidung in Schichten nach dem Zwiebelprinzip empfohlen. Ob solche Tipps wirklich hilfreich sind, wenn frau zu Hause ist, bleibt dahingestellt. Aber wie sollen die betroffenen Frauen im Kino, in der Oper, im Museum und auf Festen mit ihren Beschwerden zurecht kommen? Schließlich ist auch der indirekte Hinweis im letzten Abschnitt, die Beschwerden seien eine erfundene Krankheit, zumindest fragwürdig. Unserer Meinung nach sollte der Grundsatz des Leidensdrucks und nicht pauschale Aussagen über eine kurzfristige Hormontherapie entscheiden. Hierfür ist eine individuelle Beratung erforderlich, und zwar von einer/m Heilberufler/in, die/der tagtäglich in der Primärversorgung von Patientinnen arbeitet. Eine wirksame Therapie in Bausch und Bogen abzulehnen wird der einzelnen Frau und ihren Beschwerden nicht gerecht.

Beispiel 3: "Erkältungskrankheiten". Der Artikel geht auf Entstehung und Behandlung einer Erkältung, einer schweren Erkältung und einer Virusgrippe ein und verspricht gute Informationen sowie eine gewisse Eigenkompetenz des Patienten. Bei leichter Erkältung werden vor allem Hausmittel wie Inhalieren von Wasserdampf, Flüssigkeitszufuhr, heiße Zitrone und Schonung empfohlen. Von ASS, Paracetamol und Ibuprofen wird zunächst indirekt abgeraten, weil sie die Krankheitsdauer nicht verkürzen, die Symptome jedoch unterdrücken, und der Patient sich dadurch weniger schont. Dies könnte bei Patienten mit guter Erfahrung mit den Arzneistoffen zu Verunsicherung führen, die im Rahmen des Artikels jedoch nicht aufgefangen wird. Die Aufklärung über wichtige Nebenwirkungen und Kontraindikationen ist unvollständig (etwa fehlt ein Hinweis auf Anwendungsbeschränkungen von ASS bei Asthma) oder unverhältnismäßig, z. B. der Hinweis auf das Reye-Syndrom durch ASS-Einnahme. Für Kinder und Jugendliche wird ausschließlich Paracetamol empfohlen, dabei wird außer Acht gelassen, dass auch für Kinder und Jugendliche zugelassene Ibuprofen-Präparate erhältlich sind (z. B. Nurofen).

Von Kombinationsarzneimitteln wird generell abgeraten. Allerdings gibt es immer mal Studien, die Kombinationen eine bessere Wirkung als den entsprechenden Einzelsubstanzen zuschreiben [6]. Die Einnahme der Kombinationsmittel ist für viele Patienten bequemer als eine Einnahme von mehreren Mitteln. Eine endgültige Entscheidung kann daher nur im individuellen Beratungsgespräch erfolgen. Die Hinweise zu abschwellenden Nasentropfen sind richtig, auch der Hinweis auf die Gefahr einer Gewöhnung wird gegeben. Eine Verminderung des weit verbreiteten Abusus ist wünschenswert. Da aber ein Hinweis auf Alternativen fehlt, wird der Patient auch hier ratlos zurückgelassen. Lutschtabletten und Gurgellösungen mit Desinfektionsmitteln werden als wirkungslos eingestuft und Eukalyptusbonbons als preisgünstigere Alternative empfohlen. Spontan schmerzlindernde Tabletten mit Lidocain (z. B. Dolo-Dobendan) werden jedoch nicht erwähnt. Die Studienlage zu Präparaten zur Beeinflussung des Immunsystems (Vitamin C, Zink, Echinacea) ist derzeit unklar, weswegen der Artikel von der Einnahme generell abrät. Patienten mit guter Erfahrung mit diesen Mitteln könnten sich auch hier verunsichert fühlen.

Hustenlöser wie Acetylcystein und Ambroxol werden ebenfalls nicht empfohlen, aufgrund des fehlenden Wirkungsnachweises. Stattdessen sollte man seine Flüssigkeitszufuhr erhöhen. Ein Beleg der Nichtwirkung der Substanzen steht jedoch noch aus. Hustenblocker beschreibt der Artikel als empfehlenswert zur Einnahme vor dem Schlafengehen, beschreibt sie als Morphin-Abkömmlinge und verschreibungspflichtig. Für apothekenpflichtige Mittel gebe es keinen Wirksamkeitsnachweis und sie seien keine Opiate. Dextromethorphan, ein wirksames, nicht verschreibungspflichtiges Opiat mit dieser Indikation, wird nicht erwähnt. Die Antibiotikatherapie wird vom Arzt entschieden und durchgeführt. Hier sind Empfehlungen für bestimmte Antibiotikagruppen oberflächlich und für den Patienten zudem überflüssig. Insgesamt können die Hinweise in diesem Artikel bestenfalls als eine stark verallgemeinerte Darstellung angesehen werden. Für den Patienten ist es mindestens genauso wichtig, einen kompetenten Ansprechpartner zu haben, der ihn persönlich berät und bei der Einschätzung seiner Krankheit hilft.

Fazit

Die neue Zeitschrift "Gute Pillen – Schlechte Pillen" wendet sich direkt an Patienten. Sie verspricht Überblick und Durchblick zu schaffen und den Patienten auf diese Weise zu helfen, sich in Gesundheitsfragen selbst eine Meinung bilden zu können. Im Gegensatz dazu erscheint die Erstausgabe in vielen Punkten unausgewogen und einseitig. Unter den Fronten, die die Zeitschrift schafft, werden letztlich die Patienten zu leiden haben. In Fragen der Gesundheit bzw. Pharmakotherapie sind und bleiben approbierte praktisch tätige Heilberufler erste Ansprechpartner für die Patienten. Um es in der Sprache der Herausgeber auf den Punkt zu bringen: Der Nutzen des Konzepts der Zeitschrift für die Patienten ist nicht belegt. Wir raten von der Anwendung ab.

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