Gesundheitsreform geht ins parlamentarische Verfahren

BERLIN (ks). Die Bundesregierung hat die Gesundheitsreform in der vergangenen Woche vorangebracht. Am Dienstag gab es eine Probeabstimmung in den Fraktionen, bei der weniger kritische Stimmen laut wurden, als manch einer befürchtet (oder erhofft) hatte. Am Mittwoch folgte der Kabinettsbeschluss, am Freitag wurde das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG) in den Bundestag eingebracht. Gleich im Anschluss an die Beratung befasste sich der Gesundheitsausschuss mit dem Gesetzentwurf. Zwischen 6. und 8. November ist die öffentliche Anhörung geplant.

Bis zum letzten Moment schliffen die Fachpolitiker am WSG-Entwurf der Regierungsfraktionen, ehe ihn das Kabinett am 25. Oktober absegnete. Schon zwei Tage später verteidigte ihn Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt im Bundestag: Das Gesetz sei eine "gute Grundlage, die Gesundheitsversorgung in Deutschland auch in Zukunft sicherzustellen". Mit ihm würden zugleich vier Reformen auf den Weg gebracht: Eine Strukturreform, eine Organisationsreform, eine Finanzreform sowie eine Reform der privaten Krankenversicherung.

Die Ministerin betonte, dass sich die große Koalition nicht dem Druck der Lobbygruppen gebeugt habe. So berechtigt deren Interessen im Einzelfall auch sein mögen - hinter dem zentralen Anliegen der Reform, die medizinische Versorgung von 82 Millionen Menschen zu sichern, müssten diese zurücktreten. Schmidt unterstrich, dass die Reform ohne Leistungseinschränkungen und neue Zuzahlungen für die Patienten auskomme. Das Gegenteil sei der Fall: So hätten Patienten künftig Anspruch auf ambulante Palliativmedizin, geriatrische Rehabilitationsleistungen, empfohlene Schutzimpfungen sowie Mutter/Vater-Kind-Kuren.

Auch vom "Kernstück" der Reform, dem Gesundheitsfonds und dem neuen Risikostrukturausgleich, ist die Ministerin überzeugt. Unterschiedliche Krankheitsrisiken und Einkommensstrukturen würden künftig zielgenau ausgeglichen. Zudem werde den Versicherten durch die Zusatzbeiträge deutlich, welche Kasse gut wirtschaftet und welche nicht. Die Bürger werden künftig mehr von ihrem Kassenwechselrecht Gebrauch machen, glaubt Schmidt. Dadurch verstärkten sie den Druck auf die Kassen, wirtschaftlich mit ihrem Geld umzugehen. Die Ministerin forderte die Kassen auf, sich als Dienstleister zu begreifen. Hierfür seien aber viele Veränderungen nötig - auch eine Entschlackung der Organisation. "Wir brauchen dieses Geld für kranke Menschen", so Schmidt.

Unions-Vize Wolfgang Zöller (CSU) betonte, dass der Fonds einen Beitrag zur nachhaltigen Finanzierung leiste, indem er eine wirtschaftliche Verwendung von Beitrags- und Steuermitteln garantiere. Bürokratischer Mehraufwand entstehe hierdurch nicht. Die Kassen blieben zuständig für den Beitragseinzug, das Bundesversicherungsamt für den Risikostrukturausgleich. Darüber hinaus gehe man den Weg weiter, gesamtgesellschaftliche Aufgaben über Steuern zu finanzieren. Zöller zeigte sich überzeugt: "Damit gelingt der Einstieg in die teilweise Abkopplung der Arbeits- von den Gesundheitskosten".

Die Ministerin verteidigte auch die Reformen im Arzneimittelbereich. So helfen Rabatte und Ausschreibungen Kosten zu senken und die Kosten-Nutzenbewertung überflüssige Ausgaben zu vermeiden. Wenn mit neuen Arzneimitteln Krankheiten tatsächlich besser behandelt werden können, so werden die Kassen das auch bezahlen, betonte Schmidt. Zöller ergänzte, dass bei der Kosten-Nutzenbewertung die Orientierung an internationalen Standards sichergestellt sei. Zudem sei sie keine Zulassungsvoraussetzung. Wenn besondere Arzneimittel künftig nur noch in Abstimmung mit spezialisierten Ärzten verordnet werden dürften, so diene dies den Ärzten. Sie könnten sich ihrer Entscheidung auf diese Weise vergewissern und würden überdies von der Wirtschaftlichkeitsprüfung befreit.

FDP: Besser keine Reform als eine schlechte

Die Opposition lehnte den Gesetzentwurf einhellig ab. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Daniel Bahr, verwies auf die breite Ablehnungsfront gegen die Reform. Ihre eigentlichen Ziele habe die Koalition in ihren monatelangen Verhandlungen aus den Augen verloren. Insbesondere leiste die Reform "überhaupt keinen Beitrag zu nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens", so Bahr. Stattdessen würden im Umlagesystem die Lasten weiter auf die nachfolgenden Generationen verschoben. Den Gesundheitsfonds nannte Bahr den "Einstieg in die Planwirtschaft" mit mehr Bürokratie. Auch mit Wettbewerb habe das Gesetz nichts zu tun. Dafür sorge nicht zuletzt der bundeseinheitlich festgesetzte Beitragssatz. Bahr appellierte an die Große Koalition: "Beenden Sie Ihre Sturheit und werden Sie einsichtig. Besser keine Reform als eine so schlechte Reform!"

Grüne: "Reformattrappe"

Der Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, hielt der Regierung vor, aus der Gesundheitsversicherung eine Autoversicherung machen zu wollen: Wer kaum Leistungen in Anspruch nehme, könne ein Jahr darauf einen Teil seiner Kosten zurück bekommen. Dieses Geld fehle der Versicherung - solidarisch könne dies nicht genannt werde. Gysi warf Schmidt zudem vor, zu verschweigen, dass viele Kassen noch nicht entschuldet seien. Dies könne nur mit Beitragssatzerhöhungen funktionieren - mithin zu Lasten der Versicherten und der Unternehmen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast sprach von einer "Reformattrappe" und einem "bürokratischen Monster". An die Kernprobleme habe sich die Große Koalition nicht herangewagt. So werde an der erwerbsorientierten Finanzierung nichts geändert. Auch Privatversicherte blieben weiter unter sich. Dies führe dazu, dass es künftig nicht mehr sondern weniger Solidarität gebe. Künasts Fazit: "Zurück auf Null und neu anfangen".

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