"Grandiose Freude" bei DocMorris

BERLIN (ks). Der Saarländische Gesundheitsminister Josef Hecken (CDU) ist weiterhin überzeugt, dass das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken gegen Europarecht verstößt. Daher müsse es nicht beachtet werden, wenn eine EU-ausländische Aktiengesellschaft eine Apotheke in Deutschland eröffnen will. Am 9. August lüftete Hecken das Geheimnis um das Rechtsgutachten, das seine Auffassung stützt. Danach soll für deutsche Apotheker das gleiche gelten, was der Europäische Gerichtshof (EuGH) für griechische Optiker entschieden hat: Solange ein qualifizierter und kontrollierter Angestellter vor Ort berät und verkauft, ist es gleichgültig, ob im Hintergrund eine Kapitalgesellschaft oder eine Einzelperson steht.

Kurz bevor Hecken vergangene Woche in der Saarländischen Landesvertretung vor die Presse trat, hatte das Landgericht Saarbrücken den Eilantrag einer Apothekerin auf Schließung der Saarbrücker DocMorris-Filiale abgewiesen. Dies zeige, dass die Erteilung der Betriebserlaubnis durch sein Ministerium nicht nichtig sei, freute sich Hecken. Ob sie auch rechtmäßig ist, hat das Zivilgericht allerdings nicht festgestellt. Diese Beurteilung obliegt den Verwaltungsgerichten - und die haben bislang noch keine Entscheidung getroffen. Hecken ist jedoch optimistisch, in allen Instanzen zu obsiegen. Rückenwind verspürt er zudem durch die Staatsanwaltschaft, die Strafanzeigen gegen ihn wegen des Verdachts auf Rechtsbeugung zurückgewiesen hat.

Der Griff ins Wespennest

Hecken räumte ein, mit der Erteilung der Betriebserlaubnis an die holländischen Aktiengesellschaft DocMorris "sehenden Auges deutsches Apothekenrecht gebrochen" zu haben. Doch für ihn war dies aufgrund des Anwendungsvorrangs europarechtlicher Vorschriften zwingend: Er war von Anfang an überzeugt, dass das Fremdbesitzverbot nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar und daher bei der Erlaubniserteilung nicht zu beachten ist. Nach Auskunft von Heckens Staatssekretär Wolfgang Schild befasste sich das Ministerium seit Dezember 2005 in juristischen Fachgesprächen mit dieser Frage. Dabei kam man zu der Erkenntnis, dass das Fremdbesitzverbot das "Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit" sei, das den deutschen Apothekenmarkt vor ausländischen Mitbewerbern abschotte. Schild zeigte sich "erschrocken, wie sehr die deutschen Apotheker diese europarechtliche Dimension verkennen und wie wenig ihre Standesvertreter sie hierauf vorbereiten".

Dass er mit seiner Entscheidung in ein "Wespennest" greift, war Hecken klar. Daher habe man im Februar ergänzend ein Rechtsgutachten beim Münchener Europarechtsprofessor Rudolf Streinz in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten, das bereits am 19. Mai im Saarbrücker Ministerium einging, bestätigt dessen Rechtsauffassung. Dennoch machte man lange ein Geheimnis um die Arbeit und ihre Autoren. Auch bei den Gesprächen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Gesundheitsreform blieb das Thema außen vor, obwohl Hecken mit am Tisch saß. Die beschlossenen Eckpunkte seien das in der Gruppe "durchsetzbare Maximum gewesen", so der Minister. Daher habe er sich "mit Bedacht" für eine andere Vorgehensweise entschieden.

Gleiche Bedingungen für Optiker und Apotheker?

Das Gutachten machte Hecken erst jetzt publik. Vorgestellt wurde es von Streinz wissenschaftlichen Assistenten und Co-Autoren Dr. Christoph Herrmann. Dieser erklärte, die Rechtslage sei nach einer "völlig objektiven Bewertung der Fakten" eindeutig: Das deutsche Fremdbesitzverbot verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit, die EU-Ausländer - gleich ob natürliche oder juristische Personen - genießen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verbiete diese sämtliche innerstaatlichen Regelungen, die die Ausübung dieser Grundfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen. So habe der EuGH bereits in der Vergangenheit Mehr- und Fremdbesitzverbote als derartige Verstöße qualifiziert. Das Streinz-Gutachten bezieht sich insbesondere auf ein im Jahr 2005 ergangenes Urteil, in dem die griechischen Optiker-Vorschriften für mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt wurden. Diese Regelungen glichen dem deutschen Apothekenrecht "nahezu eins-zu-eins", so Herrmann. Die vom EuGH angestellten Erwägungen seien daher auf Apotheken "eindeutig übertragbar".

Dem Urteil zufolge reicht in einem Optikergeschäft die Anwesenheit eines fachlich befähigten Berufsträgers prinzipiell aus, um die Qualität der Leistung im Interesse des Gesundheitsschutzes sicherzustellen. Es sei nicht davon auszugehen, dass ein selbständiger Berufsträger seinen Beruf stets verantwortungsvoller ausübe als ein angestellter. Herrmann betonte, dass der EuGH gerade nicht an die Gefährlichkeit der Ware anknüpfe, sondern an die "Zuverlässigkeit der Person hinter dem Tresen". Nur mit einer solchen Grundhaltung könne die Gleichstellung juristischer Personen hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit verwirklicht werden. Die Konsequenzen für die nationalen Verwaltungsbehörden sind den Gutachtern zufolge ebenso klar: Für sie gilt der Anwendungsvorrang europäischen Rechts. "Warum soll sich die Behörde erst rechtwidrig verhalten müssen, wenn sie anschließend verurteilt wird, EU-Recht anzuwenden?" fragt Herrmann.

Keine Kette geplant

Für DocMorris-Chef Ralf Däinghaus sind die Entwicklungen im Saarland ein Grund zu "grandioser" Freude. Er lobte Hecken als "dynamischen Partner", der sich selbst in schwierigen Zeiten als "Fels in der Brandung" beweise. Däinghaus will mit der Saarbrücker Filiale ein "Zeichen setzen für Liberalisierung und einen freien und fairen Wettbewerb". Dies sei man nicht zuletzt der Finanzierung des Gesundheitssystems schuldig. "Es ist nicht unser Ziel Apothekenketten zu bilden", betonte Däinghaus. Ihm reicht eine deutsche Niederlassung, die er zu einem Versandhandelszentrum ausbauen kann.

Sein Vorstandskollege Thomas Schiffer ergänzte: "Wir haben die Nähe zum Kunden gesucht". Um noch besser zu werden, brauche DocMorris Informationen über die "Bedürfnisse und Gefühle der Patienten". Nicht zuletzt sollten "emotionale Hürden" abgebaut werden. Mit der Saarbrücker Filiale werde mit dem Irrglauben aufgeräumt, DocMorris versende in Deutschland nicht zugelassene Medikamente. Auch die anstehende Umstellung der Arzneimittelpreise auf Höchstpreise wolle das Unternehmen für sich nutzen.

ABDA nicht überzeugt

Unmittelbar nach Vorstellung des Gutachtens meldete sich auch die ABDA zu Wort. ABDA-Jurist Lutz Tisch räumte ein, dass das Streinz-Gutachten eine vertretbare Rechtsmeinung darlege - nur sei sie bislang so noch nicht vertreten worden. Als Grundlage für eine so weitreichende Entscheidung sei dies "außerordentlich dünn". Aus Sicht der ABDA ist die Europarechtswidrigkeit des deutschen Fremdbesitzverbotes keinesfalls so evident, wie Streinz und Hecken behaupten. Dafür spreche auch, dass die EU-Kommission gegen Italien, Österreich und Italien wegen ähnlicher Vorschriften ein Verfahren eingeleitet hat. Würden die deutschen Regeln ebenso offensichtlich gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, hätte die Kommission ihr Maßnahmenpaket auch auf Deutschland ausgeweitet, meint Tisch.

ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf wies zudem den Vorwurf zurück, die Apotheker nicht genügend auf unaufhaltsame Veränderungen vorbereitet zu haben. Die deutsche Rechtslage habe hierzu keinen Anlass gegeben. Tisch verwies auf die Erfahrungen mit dem Arzneimittelversandhandel: Hier hatte sich die Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt, dieser sei unabwendbar und beschloss, ihn umfassend zuzulassen. Kurz darauf entschied der EuGH, dass die Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sehr wohl verbieten können

Gefahr für Mittelstand?

Die Aufregung der Apotheker kann Hecken nicht verstehen. Er ist überzeugt, dass die Veränderungen beim Fremdbesitz früher oder später ohnehin gekommen wären. Da sei es doch gut, wenn man schon jetzt schaue, wie dieser sicher gestaltet werden könne. Das "Ende der mittelständischen Apothekenstruktur" sieht Hecken keinesfalls kommen: "Ich glaube, dass sowohl Ketten als auch der Mittelstand einen Platz im Markt finden werden". Schließlich gehe es den Apotheken - auch DocMorris - gerade um die persönliche Kundenbindung. Diesem Wettbewerb sollten sich die Apotheker stellen können.

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