Verblisterung: Hohe Kosten, wenig Nutzen

BERLIN (ks). Die Neuverblisterung von Arzneimitteln in patientenfreundliche Wochen- oder Monatsblister erscheint auf den ersten Blick bestechend: Sie könnte nicht nur helfen, Arzneimittelmüll zu vermeiden, sondern auch die Compliance multimorbider Patienten verbessern und damit medizinische Folgekosten reduzieren. Doch wenn man genauer hinschaut, zeigt sich, dass das Konzept nur für wenige Patienten Sinn macht - und diese zielgerichtet herauszufiltern ist unmöglich. Für die gesetzlichen Krankenkassen würde sich die Neuverblisterung daher nur in Ausnahmefällen finanziell rentieren. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Vorsitzenden des Gesundheits-Sachverständigenrats, Professor Eberhard Wille.

Die wesentlichen Ergebnisse seines im Auftrag des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erstellten Gutachtens hatte Wille bereits Anfang Mai diesen Jahres auf dem Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbandes präsentiert (siehe DAZ Nr. 19, 2006, S. 41). Am 27. Juni stellte er seine ökonomische Analyse der Neuverblisterung offiziell vor. Er nimmt dabei die industrielle Verblisterung ins Visier - so wie sie das saarländische Unternehmen assist Pharma testen will. Die händische Verblisterung in Apotheken lässt Wille außen vor. Denn ökonomisch macht diese aufgrund der hohen Stückkosten (18 bis 22 Euro je Blister) ohnehin wenig Sinn. Aus Kulanz- oder Kundenbindungsaspekten bieten einige Apotheken diesen Service dennoch an.

Nur wenige Nutznießer ...

Wille geht davon aus, dass Wochenblister die Therapietreue einzelner Patienten durchaus verbessern können. Hierfür müssten aber eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein: So muss die Gesamtmedikation aus verblisterbaren, d. h. festen, oralen Arzneimitteln bestehen, einen großen Umfang aufweisen, über einen längeren Zeitraum konstant bleiben und darf kaum durch Akutmedikamente ergänzt werden. Zudem müssen vier Einnahmezeitpunkte pro Tag ausreichen. Auch darf der Arzt Aut-idem nicht ausschließen - jedenfalls dann, wenn die Verblisterung nicht von einem Vollsortimenter vorgenommen wird. Nicht zuletzt müssen die Patienten unabsichtlich non-compliant sein. Wer seine Arzneimittel bewusst nicht einnimmt oder aus körperlichen oder geistigen Gründen nicht dazu in der Lage ist, dem wird auch ein Wochenblister nicht helfen. Nach Willes "moderaten" Berechnungen ergibt sich letztlich ein durchschnittlicher Prozentsatz von zehn Prozent innerhalb einer Patientengruppe, bei denen die Verblisterung Vorteile verspricht.

... aber hohe Kosten

Das Problem ist, dass sich diese potenziellen Nutznießer nicht identifizieren lassen. Für den Arzt ist nicht zu erkennen, ob ein Patient compliant ist. Und Patienten, die selbst nach einem Blister fragen, sind in der Regel bereits gesundheitsbewusst und halten sich an die Einnahmeempfehlungen ihres Arztes. Um bei der Zielgruppe eine Verbesserung der Therapietreue zu erreichen, müsste daher der gesamte Patientenkreis mit Blistern versorgt werden. Und das geht ins Geld: In der industriellen Fertigung würde ein Blister nach Willes Berechnungen durchschnittlich 1,60 Euro kosten. Für die Abgabe an den Patienten durch die Apotheke würden weitere 1,50 Euro fällig. Trotz dieser Investition von gut drei Euro können die gesetzlichen Kassen im Rahmen der ambulanten Versorgung aber nur mit Kosteneinsparungen von etwa 0,35 Euro durch die Verblisterung rechnen. Diese resultieren aus der Vermeidung von Klinikaufenthalten und unnötigen Arztbesuchen. Und würde die GKV beginnen, verblisternden Unternehmen Geld zu zahlen, so müsste sie auch Apotheken, die diesen Service anbieten, entsprechend vergüten.

Gewinnchancen hätte nur ein Monopolist

Angesichts dieser hohen Kosten geht Wille davon aus, dass ein Verblisterungsunternehmen nicht damit rechnen kann, seine Dienstleistung vollständig vergütet zu bekommen. Rechnen könnte es sich bestenfalls für solche Unternehmen, die als Großhändler und in einer Monopolposition auftreten. Dies würde allerdings zu Lasten der vor- und nachgelagerten Distributionsstufen gehen. Apotheken könnten die Großhandelsrabatte vorenthalten werden, pharmazeutische Hersteller müssten hohe Preisnachlässe gewähren, um ins Sortiment aufgenommen zu werden. So ist es nicht verwunderlich, dass ABDA und Pharmaverbände dem Konzept äußerst kritisch gegenüber stehen. Wille ist dennoch überzeugt, dass sich einige Apotheken und Hersteller als Kooperationspartner finden lassen würden - insbesondere wenn ihnen eine Umsatzgarantie winkt.

Weitere Probleme

Ein weiteres Problem sieht Wille darin, dass die Verblisterung zu einer Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit führen kann. So hat assist Pharma nur rund 400 Arzneimittel im Sortiment. Auch für einzelne Subgruppen, etwa Patienten in Disease-Management-Programmen (DMP), konnte Wille keinen relevanten Nutzen der Neuverblisterung erkennen. Bei diesen Patienten sei die Therapietreue ohnehin hoch. Im Rahmen der DMP für Asthmakranke kämen Blister ohnehin nicht in Betracht - Inhaliersprays lassen sich bekanntlich nicht verblistern.

VFA sieht sich bestätigt

Der VFA sieht seine Bedenken gegen die industrielle Neuverblisterung durch das Gutachten bestätigt. Die forschenden Hersteller kritisieren insbesondere, dass eine enge Positivliste entstehen würde. Zudem müssten Patienten auf wichtige Informationen über ihre Arzneimittel - etwa den Beipackzettel - verzichten, da industriell neu verblisterte Arzneimittel explizit von den gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnungspflichten ausgenommen sind. Darüber hinaus seien Stabilitätsprobleme bzw. Wechselreaktionen unter den zusammen verblisterten Arzneimitteln ungeklärt.

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