Deutschland könnte wieder Pharmaland Nr. 1 werden

BERLIN (ks). Die Zeiten, da Deutschland als "Apotheke der Welt" galt, sind lange vorbei. Dabei sind die Voraussetzungen für eine florierende deutsche Pharmaindustrie im Grunde nicht schlecht: Es gibt qualifizierte Fachkräfte, es mangelt nicht an innovativen Ideen und auch um die Infrastruktur ist es bestens bestellt. Dennoch klagen die Unternehmen über schwierige Rahmenbedingungen. Für den Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) ist es wenig verständlich, dass die Potenziale dieses Industriezweiges so wenig ausgeschöpft werden. Am 8. März präsentierte der Verband zwei aktuelle Studien, die beide zu dem Ergebnis kommen, dass in der Pharmabranche schon mit relativ wenigen Maßnahmen rund 25.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.

Die Boston Consulting Group (BCG) hat im Auftrag des VFA und einiger Konzerne ein internationales Benchmarking der Innovationsleistung im Pharma-, Medizintechnik- und Health Care-IT-Sektor durchgeführt. Dazu wurde ein Innovationsindex entwickelt, anhand dessen der Standort Deutschland mit den USA, England, Schweden und den Niederlanden verglichen wird. Im Pharmabereich landet Deutschland bei diesem Vergleich auf dem hintersten Platz. So hält die Unternehmensberatung etwa das Klima für Innovationen für verbesserungsbedürftig. Diesen Index-Parameter misst sie daran, welche Summen in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert werden.

Während die Pharmaindustrie und die öffentliche Hand in den USA pro Einwohner mehr als 135 Euro und in Schweden sogar 243 Euro für F&E ausgeben, flössen in Deutschland nur 95 Euro pro Einwohner in F&E, erklärte Dr. Dierk Beyer von der BCG. Gelänge es, diesen Rückstand aufzuholen, könnten in den kommenden knapp zehn Jahren rund 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Um dies zu erreichen müssten allerdings die öffentlichen Fördermittel auf ein internationales Niveau angehoben werden - dazu wären für die biomedizinische Forschung zusätzlich 900 Mio. Euro nötig. Zudem müssten staatliche Anreizsysteme etabliert werden, die Wissenscluster in bestimmten Regionen bzw. in klar definierten Segmenten fördern.

Auch der Wissenstransfer zwischen akademischen Wissenszentren und Industrie müsste verbessert und der Wettbewerb innerhalb und zwischen den Universitäten gefördert werden. Gemessen an der "Prozessqualität" - das heißt der Frage, wie gut sich Ideen umsetzen lassen - steht Deutschland vergleichsweise nicht ganz so schlecht da. Dennoch sieht die BCG auch hier Handlungsbedarf: Beispielsweise müsse die Zulassungsbehörde für Arzneimittel optimiert und die Infrastruktur für klinische Forschung verbessert werden. Um das Marktumfeld in Deutschland zu verbessern, hält es die Unternehmensberatung unter anderem für nötig, größere Spielräume für die Marktpreisbildung bei neuen Produkten zu schaffen: Dies stärke die Innovationsbereitschaft ohne dass dabei Subventionen flössen.

Deutschland ließ Chancen verstreichen

Die zweite vorgestellte Studie wurde von der Unternehmensberatung A.T. Kearney und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) durchgeführt. Auftraggeber waren hier 17 internationale forschende Pharmaunternehmen mit Unterstützung der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland (AmCham). Auch diese Studie kommt zu dem Schluss, dass die innovative Pharmaindustrie den Standort Deutschland in erheblichem Umfang stärken kann. Sie zeigt insbesondere auf, dass hierzulande viele Chancen ungenutzt blieben: Hätte Deutschland etwa seinen Anteil an den globalen industriellen F&E-Aufwendungen im Pharmasektor von 13 Prozent im Jahr 1973 gehalten und wäre nicht auf den heutigen Wert von 7 Prozent zurückgefallen, gäbe es heute rund 35.000 Arbeitsplätze mehr in Deutschland.

Um die Innovationslücke zu schließen, müssten in Deutschland hypothetisch rund 2,5 Mrd. Euro mehr in die Forschung investiert werden, erklärte Dr. Thomas Reiß vom ISI. Wenn man jetzt Veränderungen einleiten und die Rahmenbedingungen verbessern würde, könnten der Studie zufolge innerhalb der nächsten 15 Jahre rund 27.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland entstehen. Nötig wäre nach Auffassung von A.T. Kearney und dem ISI insbesondere, dass leistungsfähige Infrastrukturen für klinische Forschung geschaffen werden. Zudem müssten bürokratische Hemmnisse für klinische Studien abgebaut werden. Die Studie mahnt zudem eine bessere Verzahnung von Forschungs-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik an.

VFA: Deutschland kann wieder Spitze werden

"Diese Ergebnisse unterstreichen, wie die deutsche Volkswirtschaft vom globalen Wachstumsmarkt Gesundheit profitieren könnte, wenn sie für ihre forschende Pharmaindustrie bessere Rahmenbedingungen schaffen würde", kommentierte VFA-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer die Studienresultate. Um Deutschland nach vorne zu bringen, sollte daher ein Sofortprogramm aufgelegt werden, das die klinische Forschung fördert und den Wissenstransfer zwischen akademischer und industrieller Forschung professionalisiert. Die Förderung dürfe allerdings nicht nach dem "Gießkannenprinzip" erfolgen. Notwendig sei die Fokussierung auf wenige, aber international bedeutende Standorte in Deutschland. So habe Deutschland etwa im Bereich der Leukämie weltweit eine Führungsrolle übernommen. Yzer appellierte zudem an die Bundesregierung, das Errichtungsgesetz für eine neue Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur (DAMA) wieder aufzugreifen und voran zu bringen.

Auch Fred B. Irwin von der AmCham ist überzeugt, dass Deutschland mit "ein paar Änderungen" wieder zum "Pharmaland Nr. 1" werden könnte. Er zeigte sich verständnislos, dass man die pharmazeutische Industrie hierzulande nicht so ernst nehme, wie es etwa in den USA der Fall ist. Ein Wirtschaftsbereich mit Wachstumsraten von 8 bis 11 Prozent bei stabilen Preisen muss aus seiner Sicht mit einer nachhaltigen Innovationspolitik und zukunftsweisenden Rahmenbedingungen gestützt werden.

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