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Für und Wider des Barmer Hausapothekenvertrags

NEUSS (im). Nicht alle Apotheker stehen vorbehaltlos zum neuen Barmer Hausarzt- und Hausapothekenvertrag, der offiziell am ersten März startet. Welche Auswirkungen gibt es für die Versicherten anderer Kassen? Und wie steht es um die Bürokratie, die lückenlose Arzneidokumentation oder Honorierungsdetails? Diese Fragen stellten Kollegen auf einem gemeinsamen Symposium von Apothekerkammer und -verband Nordrhein am 16. Februar in Neuss. Dort wurde deutlich, dass zur Zeit viele neue Verträge einzelner Kassen zu einzelnen Krankheiten regional aus dem Boden sprießen.

Apotheker wollen die Integrierte Versorgung mitgestalten, haben dabei aber die Qualität der Patientenversorgung und nicht in erster Linie Einsparungen im Blick. Das machten Anneliese Menge, Präsidentin der Apothekerkammer Nordrhein, und Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, vor den über 600 Symposiums-Teilnehmern deutlich.

Menge hob hervor, dass dies die bundesweit erste Veranstaltung von Apothekern für Apotheker zur Integrierten Versorgung sei. Preis nannte die flächendeckende Versorgung der Patienten als Ziel und stellte den Barmer Vertrag mit Apothekern und Hausärzten als positives Beispiel heraus. Zur Zeit, so Preis, entstünden daneben viele weitere einzelne Verträge, an deren Ausschreibung sich die Apotheker zum Teil beteiligten, so z. B. am Vertrag der Leistungsgemeinschaft Essen (siehe Kasten).

Sicht der Landesregierung

Für die Staatssekretärin Cornelia Prüfer-Storcks vom Landesgesundheitsministerium ist der Barmer Vertrag eine Chance zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung, die sie "unbedingt" für notwendig hält. Sie plädierte für die Evaluation der Integrierten Versorgung, um mögliche Verbesserungen für bestimmte Patientengruppen wie Asthmatiker festzuhalten. Prüfer-Storcks sagte den Apotheken eine Abstimmung mit den Füßen durch die Kranken voraus, weil diese bei Unzufriedenheit ihre Hausapotheke verlassen würden.

Eine Mehrbelastung durch den Barmer Vertrag gebe es für engagierte Offizinen, die auch heute schon ihre Kunden optimal betreuten, nicht. Mehrarbeit käme nur auf diejenigen zu, die sich bisher auf die reine Arzneiabgabe beschränkten. Die Staatssekretärin bezweifelte allerdings, dass die Apothekenbetriebsordnung mit ihren Regelungen zur Prüfung von Medikamenten noch zeitgemäß ist und schlug die Erweiterung auf die Beratung vor. Bereits im Studium gehöre der Anteil der Chemie zugunsten von mehr Pharmakologie abgesenkt.

AOK distanziert

Wilfried Jacobs von der AOK Rheinland machte aus seiner Kritik am Barmer Vertrag keinen Hehl. Bis zum Abschluss dieses Vertrags mit der Ersatzkasse hätten Krankenkassen und Pharmazeuten immer einheitliche Verträge verhandelt. Wenn jedoch ein solcher Einzelvertrag geschlossen werde, werde die AOK im Gegenzug reagieren und sich überlegen, mit welchen Apotheken sie künftige innovative Konzepte umsetzen wolle, worunter Jacobs vermutlich auch Versandapotheken verstand. Konkret planten die Ortskrankenkassen Verbesserungen bei der Arzneiversorgung von Pflegeheimbewohnern.

Flickenteppich droht

Laut Jacobs entstehen derzeit sehr viele Verträge für ältere multimorbide Patienten, für pflegebedürftige Hochbetagte sowie für Patienten mit besonderen Krankheiten wie zum Beispiel Schlaganfall, Hüft- oder Knieoperationen oder Demenz. Wie Jacobs sah auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Dr. Leonhard Hansen, die Vielzahl unterschiedlicher Verträge kritisch. "Konzentriert sich eine Krankenkasse auf eine Krankheit, zudem auf eine Stadt, geht der Überblick für Ärzte und Patienten verloren und alle werden verunsichert", sagte Hansen. Er plädierte wie Jacobs für gemeinsame Verträge mit allen Kassenarten.

Bei der Integrierten Versorgung müssten die Apotheken für eine nahtlose Patientenversorgung eingebunden werden und beispielsweise die Mediziner bei der Arzneiauswahl unterstützen. Inhaltlich sah Hansen im Barmer Hausarzt- und Hausapothekenvertrag nichts Neues. Selbstverständlichem werde nur eine neue Mütze übergestülpt. Abzulehnen sei, dass die Apotheken womöglich zur neuen Kontrollinstanz der Ärzte aufgebaut würden. Außerdem sei der Vertrag nur schwer in die Praxis umzusetzen. Hansen sagte den Apothekern voraus, sie würden zu Erfüllungsgehilfen der Ersatzkasse degradiert.

Funktionierende Strukturen würden ausgehebelt, wobei Hansen die Spezialisierung von Apotheken auf umliegende Facharztpraxen verstand. Wenn künftig ein Barmer Versicherter nach dem Besuch eines Neurologen statt der nächstgelegenen, darauf eingestellten Apotheke "seine" Hausapotheke aufsuchen müsse, bedeute das für ihn eine Verschlechterung, weil die das Arzneimittel vermutlich nicht vorrätig halte.

Froese: Wettbewerb wird angestoßen

Dr. Peter Froese, Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Apothekerverbands, wies sämtliche Bedenken gegen den Barmer Vertrag zurück. Es sei richtig, die integrierte Versorgung pragmatisch anzugehen. Durch den neuen Vertrag werde der Wettbewerb angestoßen. Es sei Aufgabe der Apotheken, mit Ärzten und Kassen den "letzten Meter" der Arzneimittelversorgung medizinisch und wirtschaftlich effizient zu gestalten. Mit Nachdruck forderte Froese Rahmenverträge zur Arzneiversorgung in der integrierten Versorgung, um die flächendeckende Betreuung der Patienten zu erhalten, da der Versorgungsauftrag der Apotheken nach dem Apothekengesetz unverändert geblieben sei.

Hausärzte als Befürworter

Der erste Vorsitzende des Hausärzteverbands Nordrhein, Dr. Dirk Mecking, begrüßte erwartungsgemäß den Barmer Vertrag. Dieser binde Patienten an Hausarzt und Hausapotheke und schaffe Vertrauen. Der Vertrag sei offen für alle Hausärzte und Hausapotheker, deren Kommunikation untereinander verpflichtend festgezurrt wurde, und ermögliche ein innovatives Medikamentenangebot. Mecking erwähnte wie KV-Chef Hansen, dass die Anschubfinanzierung der neuen Versorgungsformen aus der ärztlichen Honorierung kommt (ein Prozent aus der Gesamtvergütung der Mediziner aus der ambulanten und Krankenhausbehandlung).

Bauchschmerzen der Basis

Auf der Veranstaltung äußerten etliche Apotheker Vorbehalte zum Barmer Hausapothekenvertrag, weil sie das Solo mit einer einzelnen Kasse ablehnen. Eine Kollegin fragte nach der negativen Wirkung auf ihre Kunden, die bei anderen Kassen versichert sind, ein anderer hielt die Vergütung nicht für kostendeckend angesichts der erforderlichen Dokumentationen. Der Jurist Dr. Guido Kirchhoff von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände aus Berlin räumte in einem anschließenden Forum Fragen der Kollegen aus, wie zum Beispiel die nach der Information von Arbeitgebern über die Medikationsliste.

Pharmazeuten hätten die Hoheit über die Liste und sollten diese den Arbeitgebern keinesfalls aushändigen, so Kirchhoff. Allerdings könne der nachfragende Patient die Auflistung seiner Präparate erhalten. Kirchhoff ging im übrigen von einer flächendeckenden Versorgung durch Ärzte und Hausapotheken zum Start im kommenden Monat aus. Laut Kirchhoff werden ab Mitte März die Namen der teilnehmenden Hausapotheken auf der Homepage der Barmer Ersatzkasse, der Marketing-Gesellschaft deutscher Apotheker (MGDA) sowie des Hausärzteverbands veröffentlicht.

Seinen Worten zufolge darf die MGDA fünf Prozent von der Gesamtsumme, die sie in der Gesamtrechnung aller teilnehmenden Apotheken an die Barmer auflistet, für Verwaltung und Problemlösungen abziehen. Deutlich wurde auch, dass weitere Fachärzte oder Ersatzkassen dem Vertrag beitreten dürfen, wenn die drei bisherigen Partner (Barmer, Hausärzte, Deutscher Apothekerverband) einverstanden sind.

Besondere Krankheiten im Fokus

Bei der Integrierten Versorgung stehen zur Zeit spezielle Krankheitsbilder im Vordergrund:

  • Schlaganfall
  • Krebs mit Operationen
  • Herzinfarkt/Herzinsuffizienz
  • Hüft-/Knieoperationen
  • Depressionen
  • Demenz
  • Eierstock-Karzinome
  • Diabetischer Fuß
  • Wundmanagement

Quelle: Wilfried Jacobs, AOK Rheinland

Integrierte Versorgung – jetzt geht es um Arzneimittel

Bei neuen Verträgen zur Integrierten Versorgung geht es nicht mehr nur um ausgewählte Krankheiten oder das Zusammenspiel von Krankenhaustherapie und ambulanter Behandlung, sondern verstärkt auch um die Medikamente. So haben zum Beispiel in Essen im vergangenen Herbst Ärzte, kardiologische Krankenhäuser und gesetzliche Kassen die Arzneimittelversorgung ausgeschrieben, berichtete der Vorsitzende des Apothekerverbands Thomas Preis am 16. Februar in Neuss.

In Essen hatte sich dafür eigens die "Leistungsgemeinschaft Essener Apotheken" unter Federführung des lokalen Apothekerverbands gegründet, um sich an der Ausschreibung zu beteiligen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass nur zwei bis drei Apotheken den Zuschlag erhalten und die Patienten mit KHK-Erkrankungen für ihre Arzneimittel quer durch die Großstadt fahren müssen. Es sollten keine künstlichen neuen Schnittstellen bei der Krankenversorgung entstehen, begründete Thomas Preis die Apothekeninitiative. So werde die Teilnahme aller Kollegen vor Ort sichergestellt. Das Ergebnis der Ausschreibung wird in Kürze erwartet.

 

Wenn etwas nach Logik riecht, ist es im Medizinbetrieb ausgesprochen schwer umzusetzen. 

Wilfried Jacobs, AOK Rheinland

Was sollen die Apotheker an ihre Schaufenster kleben, wenn es zu 80 Verträgen zur integrierten Versorgung wie mit der Barmer im Land kommt? 

Wilfried Jacobs, AOK Rheinland

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