Therapiegeschichte

Phytopharmaka im Wandel der Zeit

Die Kenntnisse über die Heilkräfte der Natur waren schon in Mesopotamien, im alten Ägypten und in der klassischen Antike vorhanden und wurden auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit tradiert und fortentwickelt. Mit dem Aufschwung der organischen Chemie im späten 19. Jahrhundert ging die Verwendung von Heilkräutern in der Therapie zwar rasch zurück, doch wurden die Vorteile der mild wirksamen und nebenwirkungsarmen pflanzlichen Arzneimittel vielseitig erkannt. Heutzutage haben Phytopharmaka aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen und Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung einen schweren Stand. Es liegt nun vor allem in der Hand des Apothekers, die Stellung der Phytopharmaka im Selbstmedikationsbereich zu stärken.

 

Von der Steinzeit zu den altorientalischen Hochkulturen

Schon vor 70.000 Jahren scheinen unsere Vorfahren einigen Pflanzen eine bestimmte Bedeutung beigemessen zu haben. In Gräbern einer Neandertaler-Siedlung in Shanidar im Nordosten Iraks fanden sich Pollenkörner von acht verschiedenen Pflanzen, von denen Achillea, Althaea, Senecio, Centaurea, Ephedra und Muscari heutzutage immer noch als Arzneipflanzen genutzt werden [1, 2]. Möglicherweise wurden sie den Toten wegen ihrer heilenden Wirkung auf ihrer Reise in eine andere Welt mitgegeben.

An verschiedenen Orten begannen Menschen mit der Pflanzenkultivierung, wie z. B. Papaver somniferum in einer Schweizer Siedlung (3200 – 2600 v. Chr.) [3]. An anderen Orten fanden sich Sambucus ebulus, Fumaria officinalis, Verbena officinalis, Saponaria officinalis und Menyanthes trifoliata [4].

Der assyrische König Assurbanipal ließ ca. 1600 v. Chr. in seiner Hauptstadt Ninive eine Bibliothek anlegen, welche die auf Tontafeln geschriebene "Abhandlung der medizinischen Diagnose und der Prognose" enthielt (Abb. 1). Die Texte beschreiben die Behandlung verschiedener Krankheiten mit Arzneipflanzen.

Auch das Gesetz des Hammurabi (ca. 1700 v. Chr.) beschreibt heilende Tätigkeiten wie beispielsweise die Nutzung einer mit Sesamöl getränkten antibakteriell wirksamen Wundauflage [5]. Die babylonische und syrische Medizin erlebten ihre Blüte im 2. vorchristlichen Jahrtausend.

Das am besten erhaltene Dokument der ägyptischen Medizingeschichte ist der Papyrus Ebers (ca. 1550 v. Chr., Abb. 2). Diese Sammlung von 800 Rezepten nennt ca. 700 Pflanzen [6]. Zu den allgemein genutzten Kräutern gehörten Sennes, Thymian, Wacholder, Weihrauch, Kreuzkümmel (alle für die Verdauung), Granatapfelwurzel und Bilsenkraut (bei Würmern) sowie für weitere Indikationen Eichengallen, Kiefernteer, Manna, Aloe, Kümmel, Koriander, Fenchel, Knoblauch, Zwiebel, Pfefferminze, Safran und Jujube [7].

Klassische Antike

Hippokrates (ca. 460 – 370 v. Chr.) kann als der erste bekannte "Naturheiler" Europas angesehen werden, da er einfache natürliche Heilmittel wie Essig, Honig, Kräuter und die Hydrotherapie anwendete. Riddle verglich vor knapp 20 Jahren alle 257 im Werk des Hippokrates genannten Drogen mit dem aktuellen Wissensstand und stellte fest, dass nur 27 von ihnen nicht mehr als Arzneidrogen anerkannt sind [8]. In seinem Werk "Erkundigungen über Pflanzen" beschrieb Theophrastus (372 – 287 v. Chr.) viele Pflanzenarten, deren Nutzung in der Medizin und ihren Anbau.

Die "Naturalis historia" von Plinius dem Älteren (ca. 24 – 79 n. Chr.) ist zwar nicht sehr kritisch, jedoch wertvoll wegen seiner Übernahme von Inhalten aus vielen nicht im Original überlieferten Werken. Unter anderem berichtete Plinius über Krateus, den ersten Phytotherapeuten, dessen illustriertes Werk nicht mehr erhalten ist.

Dioscorides (1. Jh.), der größte und einflussreichste medizinische Autor der Antike, war sehr wahrscheinlich Arzt in der römischen Armee und folglich ein weit gereister Mann. Aufgrund eigener Erfahrungen und Studien hat er den Gebrauch vieler Kräuter in seinem Werk "De materia medica" niedergelegt. Sein Einfluss reichte bis in das 17. Jahrhundert.

Arabische Periode

Im arabischen Einflussbereich blühten vom 7. bis 13. Jahrhundert alle Zweige der Wissenschaften. Viele der damaligen Arbeiten über Medizin und Pharmazie sind, zumeist in persischer Sprache, noch erhalten. Spanischen Moslems wie z. B. Abu Zakariya Yahya Ibn Muhammad Ibn al-Awwan (12. Jh.) trugen wesentlich zum Wissen auf dem Gebiete der Botanik bei, indem sie das "Herbarium" der Griechen um ca. 2000 Arten erweiterten. Weiterhin entdeckten sie die Zweihäusigkeit des Hanfs. In Cordoba, in Bagdad, in Kairo und in Fes entstanden botanische Gärten. Der Perser Ibn Sina (ca. 980 – 1037), genannt Avicenna, wirkte als Apotheker, Arzt, Philosoph und Diplomat an persischen Residenzen. Seine pharmazeutische Lehre war in der westlichen Welt bis in das 17. Jahrhundert von Bedeutung und ist im Orient noch heute von großem Einfluss.

Europäisches Mittelalter und frühe Neuzeit

Im Mittelalter gab es einige "Schulen" der Medizin, die wesentlich zur Weiterentwicklung der Phytotherapie beitrugen. In der Praxis übten häufig Frauen die Phytotherapie aus [9], und bereits Tacitus berichtete, dass bei den Germanen in der Schlacht verwundete Krieger von Müttern und Frauen verarztet wurden. Die Schule von Salerno schlug im 11. und 12. Jahrhundert die Brücke zur arabischen Heilkunde. Sie war durch die Arbeiten des christlichen Arztes Constantinus Africanus [10, 11] begründet worden. Hildegard von Bingen begann ca. 1150 mit der Abfassung ihrer natur- und heilkundlichen Schriften. Ihre Werke beruhen auf Beobachtungen, Erfahrungen der Volksmedizin, antiker Überlieferung sowie benediktinischer Tradition. Sie diktierte ihre Texte, da sie Analphabetin war.

Theophrast Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493 – 1541) legte in seinem Werk "Herbarius" ein System der heimischen Heilpflanzenkunde vor. Eins seiner Ziele war es, durch Destillation die Essenz der Pflanze, das "Arcanum", von den unbrauchbaren Bestandteilen zu trennen und so den reinen Wirkstoff zu gewinnen. Auf diese Weise erhielt er die ersten alkoholischen Pflanzenauszüge. Seine wohl bekannteste These lautet: Dosis facit venenum.

Hieronymus Bock (1498 – 1554) verfolgte das Ziel, einerseits die von Dioscorides beschriebenen Pflanzen zu identifizieren, andererseits ihre Eigenschaften zu charakterisieren. Bock systematisierte die Pflanzen nach den Kategorien Kräuter, Sträucher und Bäume und unterteilte jede Gruppe anhand ähnlicher Eigenschaften.

Leonhart Fuchs (1501 – 1566), dem zu Ehren die Gattung Fuchsia benannt wurde, gestaltete eins der schönsten Bücher mit ganzseitigen botanischen Illustrationen (Abb. 3 und Abb. 4). Zu den bereits von Dioscorides, Plinius und Galen beschriebenen Pflanzen nahm Fuchs in seinem Werk mindestens hundert weitere Pflanzen auf.

Der Weg in die Moderne

Vater der Isolierung organischer Substanzen aus pflanzlichem Material war der deutsch-schwedische Apotheker Carl Wilhelm Scheele (1742 bis 1786). Dem Paderborner Apothekergehilfen Friedrich Wilhelm Sertürner (1783 – 1841) gelang 1804 die Isolierung des Morphins aus Opium.

Der thüringische Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762 – 1836) ist ein Mitbegründer der Naturheilkunde. Er stellte den Naturarzt dem Schulmediziner gegenüber: Der Naturarzt will nichts weiter sein als Diener der Natur – der Schulmediziner dagegen hat sich an die Stelle der Natur gesetzt und will ihr Meister sein. Hufeland verstand sich als Helfer der Heilkraft der Natur. Hierbei bediente er sich aller ihm nützlich erscheinenden Methoden, ohne einem bestimmten System anzuhängen. Mit seinem 1797 erschienenen Hauptwerk "Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" – auch bekannt unter dem Kürzel "Makrobiotik" – wurde Hufeland weltberühmt [13].

Georg Dragendorff (1836 –1898) aus Rostock veröffentlichte "Die Heilpflanzen der verschiedenen Völker und Zeiten". Das Buch umfasst die Beschreibung von 12.700 Pflanzen und ist auch heute noch ein großes Werk der Pharmakognosie [14].

Abschließend sei der Arzt Rudolf Fritz Weiss (1895 – 1992) erwähnt. Sein 1944 in erster Auflage erschienenes "Lehrbuch der Phytotherapie" gab der so genannten Kräutermedizin wieder eine wissenschaftliche Richtung.

Die Arzneimittelgesetze von 1961 und 1976

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wurde in Deutschland dem besonderen Status von Arzneipflanzen schon 1901 mit einer kaiserlichen Verordnung, die den Handel mit vielen Drogen auch außerhalb der Apotheke regelte, Rechnung getragen [15].

In der Bundesrepublik Deutschland wurde dann mit dem 1. Arzneimittelgesetz (AMG) von 1961 eine einheitliche Grundlage für den Arzneimittelverkehr, für die Kennzeichnung und das Verfahren zur Registrierung von Arzneimitteln geschaffen (Tab. 1). Das Gesetz verpflichtete den Arzneimittelhersteller jedoch nicht, die Indikationen seines Präparates konkret zu belegen. Neu entwickelte Arzneimittel oder in ihrer Zusammensetzung geänderte Arzneimittel konnten damals schnell und unkompliziert mithilfe der Registriernummer auf den Markt gebracht werden. In der Zeitspanne von 1965 bis 1978 entstanden mehrere tausend neue Präparate, in erster Linie Kombinationspräparate.

Infolge des Contergan-Skandals wurden die Gesetzesvorgaben verschärft, sodass sich die Rechtslage in Deutschland mit dem 2. AMG von 1976 wesentlich veränderte:

  • Erstens wurden die Hersteller neuer Präparate verpflichtet, deren Unbedenklichkeit, Qualität und Wirksamkeit bei bestimmten Indikationen zu belegen. Danach wurden die Präparate zugelassen (Zulassungsnummer) und durften in den Markt eingeführt werden.
  • Zweitens sollten die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität der im Markt befindlichen ca. 140.000 Arzneimittel im Rahmen eines Nachzulassungsverfahrens belegt werden. Für die bei diesen Präparaten, insbesondere den Phytopharmaka, häufige "Indikationslyrik" lagen keine Wirksamkeitsnachweise vor.

Pflanzliche Arzneimittel und chemisch-synthetische Arzneimitteln wurden hinsichtlich der beiden Punkte gleichgestellt. Für die Synthetika waren die Anforderungen relativ leicht zu erfüllen, da sie mit labortechnischen, wissenschaftlich entwickelten Methoden überprüft und nachvollziehbar wiederholt werden können. Viel schwieriger gestalteten und gestalten sich dagegen die Untersuchungen an Arzneipflanzen oder Phytotherapeutika.

Da Heilpflanzen Vielstoffgemische sind, ist die Analytik sehr aufwendig und komplex. Auch die Wirkweise einer Heilpflanze lässt sich in den meisten Fällen nicht auf einen oder mehrere Wirkstoffe beschränken, sondern wird von Begleitstoffen mitbestimmt (Synergie), was eine klassisch schulmedizinisch ausgerichtete Studie erschwert. Viele der mittelständischen Unternehmen, die damals betroffen waren, wären logistisch und finanziell nicht in der Lage gewesen, die gesetzlichen Forderungen zu erfüllen, und hätten ihre Präparate vom Markt nehmen müssen.

Die Kommission E

Der Gesetzgeber hatte diese Problematik erkannt und zunächst eine zwölfjährige Übergangsfrist für die Erstellung der Unterlagen vorgesehen. Weiterhin wurden vom Gesundheitsministerium 1978 mehrere Kommissionen ins Leben gerufen, die Kontroll- und Koordinationsaufgaben hatten. Die Kommission E (genaue Bezeichnung: Zulassungs- und Aufbereitungskommission Phytotherapeutische Therapierichtung und Stoffgruppe) war für die Phytopharmaka zuständig. Sie bestand aus insgesamt 24 Sachverständigen wie Ärzten, Apothekern, Heilpraktikern, Pharmakologen, Toxikologen und Biostatistikern. Unter ihnen war Prof. Dr. Heinz Schilcher ein vehementer Verfechter der rationalen Phytotherapie, der von der ersten Amtsperiode im Jahr 1978 über 20 Jahre in dieser wie auch der Kommission für traditionelle Arzneimittel (s. u.) mitarbeitete.

Die Kommission E hatte die Aufgabe, Belege für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneipflanzen, Drogen und Phytotherapeutika zu erarbeiten und dieses wissenschaftliche Erkenntnismaterial in Aufbereitungsmonographien zu veröffentlichen. Der pharmazeutische Hersteller konnte sich auf diese Monographien beziehen und musste lediglich den präparatespezifischen Nachweis der pharmazeutischen Qualität für die bekannten Stoffe erbringen. Aufgrund der schwierigen und arbeitsaufwendigen Zusammenstellung des wissenschaftlichen Materials zog sich die Bewertung der Kommission E dahin.

Bis 1994 wurden etwa 330 Monographien von den wichtigsten pflanzlichen Arzneidrogen (z. T. auch fixe Kombinationen) erstellt, von denen 60% positiv bewertet wurden. Es wurden jedoch keine pflanzlichen Arzneispezialitäten (Fertigpräparate) bearbeitet, sodass die Nachzulassung eines Großteils der pflanzlichen "Altarzneimittel" weiterhin gefährdet war. Die Präparate wurden entweder auf Standardzulassungen umgestellt, auf Monopräparate reduziert oder ganz vom Markt genommen.

Änderungen von Rezepturen

Auf Druck der Zulassungsbehörde BfArM und zur Erhaltung der GKV-Erstattungsfähigkeit wurden die Zusammensetzungen vieler Phytopharmaka qualitativ und/oder quantitativ z.T. erheblich verändert. Die für den Verbraucher minimalen Namensänderungen (z. B. Zusätze wie "N" oder "S") führten dabei zu Verwirrung und zu Beschwerden in der Apotheke. Doch sind die geänderten Zusammensetzungen nicht immer schlechter als die ursprünglichen Varianten. Einige Präparate haben hierdurch sogar eine therapeutische Aufwertung erfahren (Beispiele in Tab. 2).

Das Hin und Her der Nachzulassung

Mit der 5. AMG-Novelle gab es weitere einschneidende Veränderungen im Nachzulassungsverfahren. Einerseits wurden die Hersteller aufgefordert, den Wirksamkeitsnachweis selbst zu erbringen ("Beweislastumkehr"), andererseits eröffnete § 109a AMG die Möglichkeit einer "traditionellen" Nachzulassung. D. h. es konnte eine vereinfachte Nachzulassung für Phytotherapeutika gestellt werden, deren Wirksamkeit durch langjährig dokumentierte Erfahrungen belegt werden konnte, was eine neu eingerichtete Kommission zu bestätigen hatte. Diese Arzneimittel müssen Kennzeichnungen wie "Traditionell verwendet" und "zur Stärkung oder Kräftigung von ...", "zur Besserung des Befindens bei ..." bzw. "zur Vorbeugung gegen ..." tragen (Tab. 3).

Weiterhin räumte der Gesetzgeber den pharmazeutischen Herstellern die Möglichkeit ein, Präparate bis zum 31. 12. 2004 im Markt zu lassen, wenn sie bis zum 31. 12. 1996 den Verzicht auf die Nachzulassung erklärten. Dieser Passus musste jedoch mit der 10. AMG-Novelle aufgrund von Beanstandungen der Europäischen Kommission wieder aufgehoben werden, sodass solche Arzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen wieder in das Nachzulassungsverfahren, mit allen Konsequenzen für den pharmazeutischen Unternehmer, integriert werden können (Tab. 1).

Nachdem die Kommission E die Erarbeitung von Monographien eingestellt hat, setzen heutzutage andere Vereinigungen die Erfassung und Aktualisierung des wissenschaftlichen Erkenntnismaterials fort. Zu diesen gehören die Kooperation Phytopharmaka, die vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BIP) und dem Verband der Reformwarenhersteller e.V. (VRH) getragen wird, sowie die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP). Sie liefern damit eine wichtige Informationsquelle, die sowohl wissenschaftliche als auch regulatorische Aspekte berücksichtigt [16].

Aktuelle Qualitätsanforderungen an Phytopharmaka

Im Zuge der rechtlichen Umwälzungen wurden neue Qualitätsstandards entwickelt, die, damals aus der Not geboren, heute zu den Grundlagen der Definition eines modernen Phytopharmakons gehören. Zum einen wird der Herstellungsprozess eines Präparates mit Herstellverfahren, Drogenmaterial, Auszugsmittel und auch technischen Anlagen genau beschrieben und festgelegt. Man erhält einen standardisierten Extrakt, der durch Leitsubstanzen und ein bestimmtes Droge-Extrakt-Verhältnis (DEVnativ) definiert ist.

Insbesondere Leitsubstanzen dienen heute zur Steuerung des Prozesses. Kennt man die wirksamkeitsbestimmende Substanz oder Substanzgruppe, so kann zum anderen der Extrakt auf einen bestimmten Gehalt dieser Substanzen, z. B. durch Zugabe indifferenter Füllstoffe, eingestellt, d. h. normiert werden.

Durch europäische Direktiven wie z. B. die Richtlinie 75/318/EWG "Qualität pflanzlicher Arzneimittel" (1988) und den Anhang 7 des EU-GMP-Leitfadens (1991) wurden die Anforderungen an Lagerung, Produktionsbereiche sowie Dokumentation, Arzneipflanzensammlung, -anbau und Qualitätskontrolle konkretisiert. In den 90er-Jahren übernahm die "Herbal medicinal products working party" (HMPWP) bei der EMEA die Harmonisierung und weitere Präzisierung der Qualitätsanforderungen. So muss beispielsweise die konkrete Menge der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffgruppe definiert und entsprechend auf der Packung angegeben werden.

Weiterhin sind Arzneidrogen generell auf Rückstände von Pestiziden, Begasungsmitteln, giftigen Metallen, möglichen Verunreinigungen und Verfälschungen zu überprüfen. Und für Stabilitätsstudien ist neben der Quantifizierung von Leitsubstanzen der Stabilitätsbeleg anhand von aussagefähigen Fingerprint-Chromatogrammen gefordert [18, 19, 20].

Die Folgen all dieser neuen Anforderungerungen an pflanzliche Arzneimittel einschließlich der neuen Arzneimittelprüfrichtlinien (12. AMG-Novelle, 2004) sind gravierend. Der Druck auf die Hersteller, qualitativ hochwertige Präparate bei gleichzeitig moderaten Preisen anzubieten, ist enorm gewachsen. Unter diesen schwierigen Bedingungen ist leider mit einem weiteren Rückgang der Umsätze und damit möglicherweise auch mit dem Verschwinden pflanzlicher Arzneimittel zu rechnen. Es liegt vor allem in der Hand des Apothekers, im Rahmen seiner beratenden Tätigkeit in der Selbstmedikation den Stellenwert pflanzlicher Arzneimittel zu sichern und zu erhalten.

 

Die Folgen des GMG

Seit 1. April 2004 besteht durch das GMG (GKV-Modernisierungsgesetz) ein Verbot, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, zu denen auch die meisten der ca. 2000 zugelassenen pflanzlichen Arzneimittel gehören, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abzugeben. Zugleich trat als Ausnahme von dieser Regel eine Liste der nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V erstattungsfähigen, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel in Kraft. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen demnach bei schwerwiegenden Erkrankungen zu Lasten der GKV verordnet werden, wenn sie als Therapiestandard gelten. Dazu gehören

  • Flohsamenschalen, nur zur unterstützenden Quellmittel-Behandlung bei Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom und HIV-assoziierten Diarrhöen,
  • Ginkgo biloba-Blätter-Extrakt, nur zur Behandlung der Demenz,
  • Hypericum perforatum-Extrakt, nur zur Behandlung mittelschwerer depressiver Episoden,
  • Mistel-Präparate, parenteral verabreicht, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren, d. h. zur Verbesserung der Lebensqualität.

Ausgenommen von diesem Abgabeverbot sind Kinder unter 12 Jahren bzw. bei Vorliegen von Entwicklungsstörungen unter 18 Jahren.

Nicht in die Ausnahmeliste aufgenommen wurden unter anderem folgende pflanzlichen Präparate:

  • Gynäkologika im Klimakterium (z. B. Traubensilberkerze- oder Soja-Präparate) sowie bei prämenstruellem Syndrom (z. B. Mönchspfeffer-Präparate),
  • Prostatatherapeutika bei BPH (z. B. Sabalfrüchte-, Brennnesselwurzel- oder Kürbissamen-Präparate).

Patienten, die die nebenwirkungsarmen Präparate über Jahre eingenommen hatten und zusammen mit dem behandelnden Arzt mit dem Therapieerfolg zufrieden waren, müssen diese bewährten Präparate mit nachgewiesenem positivem Nutzen-Risiko-Verhältnis nun selbst zahlen. Unabhängig von der Zumutbarkeit der zusätzlichen finanziellen Belastung ohne eine gleichzeitige Entlastung (die Versicherungsbeiträge wurden nicht gesenkt) ist die BPH beispielsweise eine ernst zu nehmende Erkrankung, die sich unbehandelt verschlimmert und damit zu erhöhten Behandlungskosten zulasten der GKV führen kann. Inwieweit der Ausschluss dieser Präparate langfristig zu Einsparungen bei den Krankenkassen führt, ist fragwürdig.

Auch bei banalen Harnwegsinfekten, wo sich bislang u. a. Präparate aus Goldrutenkraut-, Birken- und Bärentraubenblättern oder Hauhechelwurzel sehr bewährt hatten, konnte ein geändertes Verhalten beobachtet werden. Eine frühzeitige Durchspülungstherapie dient der Infektreduktion und erübrigt die Einnahme von Antibiotika. Seit April 2004 werden jedoch vermehrt Antibiotika verordnet, sicherlich zum Teil dem Wunsch der Patienten entgegenkommend, die persönliche finanzielle Belastung gering zu halten.

Die Ärzteschaft sieht sich aufgrund des GMG dazu genötigt, bei vielen Indikationen ausschließlich verschreibungspflichtige Arzneimittel zu verordnen. Patienten, die die pflanzlichen Präparate nicht selbst zahlen wollen oder können, sind vor die Alternative gestellt, die Therapie abzubrechen oder auf chemisch-synthetische Präparate mit z. T. deutlich schlechterem Nutzen-Risiko-Verhältnis auszuweichen.

Der Apotheker ist gefragt

Aufgrund der neuen Gesetzeslage trägt der Verbraucher mehr Eigenverantwortung für seine Gesundheit. Derzeit neigt er eher zum Kauf preiswerter Arzneimittel aus Massenmärkten, die jedoch qualitativ minderwertig sind. Auf dem Lebensmittelsektor ist dagegen ein eindeutiger Trend zu qualitativ hochwertigeren und damit teureren Produkten feststellbar. Der Apotheker hat nun als Arzneimittelexperte die Chance, auch bei Phytotherapeutika das Qualitätsbewusstsein des Verbrauchers zu stärken. Einerseits trägt er so zum Erhalt der langen Tradition der Therapie mit pflanzlichen Arzneien bei, andererseits sichert er die Institution "Apotheke" als Ort kompetenter Gesundheitsberatung.

 

Literatur
[1] Solecki, R. S.: Shanidar, the First Flower People. Knopf, New York 1971. [2] Wolters, B.: Die ältesten Arzneipflanzen – Phytotherapie der Altsteinzeit. Dtsch. Apoth. Ztg. 139, 3675-3682 (1999). [3] Merlin, M. D.: On the trail of the ancient opium poppy. Associated University Presses, Cranbury 1984. [4] Sigerist, H. E.: A History of Medicine, Vol. 1. Oxford University Press, New York 1951. [5] Avalos, H.: Health Care and the Rise of Christianity. Hendrickson Publishers, Peabody 1999. [6] Ebbell, B.: The Papyrus Ebers. The greatest Egyptian medical document. Levin & Munksgaard, Copenhagen 1937. [7] Bryan, C. P.: Papyrus Ebers. D. Appleton & Co, New York 1931. [8] Riddle, J. M.: Folk Tradition and Folk Medicine: Recognition of Drugs in Classical Antiquity, in: Scarborough J. (ed.): Folklore and Folk Medicines. American Institute of the History of Pharmacy, Madison 1987. [9] Payne, J. F.: English Medicine in the Anglo-Saxon Times. Clarendon Press, Oxford 1904. [10] Park, R: An Epitome of the History of Medicine, 2nd ed. F. A. Davis Co., Philadelphia 1902. [11] Burnett, C., Jacquart, D.: Constantine the African and 'Al Ibn al-'Abb as al-Ma g usi: The Pantegni and related texts. Brill Academic Publishers, Leiden 1994. [12] www.orchids.de/shop/fuchs/fuchs.html. [13] www.m-ww.de/persoenlichkeiten/hufeland.html. [14] Pharmazie 1952 (8), 498 – 502. [15] Blasius, H., Müller-Römer, D., Fischer, J.: Arzneimittel und Recht in Deutschland. WVG, Stuttgart 1998. [16] Gaedcke, F., Steinhoff, B.: Phytopharmaka – Wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen für die Entwicklung, Standardisierung und Zulassung in Deutschland und Europa. WVG, Stuttgart 2000. [17] Veit, M.: Einführung in die Phytotherapie. www.za-sinzig.de/vl/Einleitung. [18] CPMP/QWP/2819/00 – Note for Guidance "Quality of herbal medicinal products". [19] CPMP/QWP/2820/00 – Note for Guidance "Specifications: Tests procedures and acceptance criteria for herbal drugs, herbal drug preparations and herbal medicinal products". [20] EMEA/HMPWP/31/99 Rev. 3: Points to consider on "Good agricultural practice and good collection practice for starting material of herbal origin".

 

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