Praxis

Schnelle Hilfe aus der Apotheke

Die Aufgabe der Apotheken ist die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Dazu gehören vielfältige Bemühungen um die Sicherheit bei ihrer Auswahl, Beschaffung und Anwendung. Manchmal werden Apotheken aber auch zur Anlaufstelle für gesundheitliche Probleme, bei denen die Arzneimittelanwendung eher im Hintergrund steht. Dabei kann es um Leben und Tod gehen.

In einer Apotheke in Erkelenz fragte ein bekannter Kunde nach einem Schmerzmittel für seine Frau, die Schmerzen im Bein hatte. Da die Patientin keine Rheumatikerin ist und in der Apotheke als keineswegs übertrieben empfindlich bekannt war, hinterfragte der Apotheker die Symptome und schöpfte den Verdacht, es könne eine Thrombose vorliegen. Er riet zur sofortigen Fahrt ins Krankenhaus mit möglichst schonendem Transport. Drei Wochen später kam die Frau aus dem Krankenhaus, bedankte sich und meinte, der Apotheker habe ihr das Leben gerettet. Im Samstagsnotdienst in einer Apotheke in Bonn bestätigte sich der Verdacht des Apothekers, dass die Bauchschmerzen eines jungen Mannes einen ernsten Grund hatten. Nach drei Wochen kam er aus dem Krankenhaus und berichtete, sein Blinddarm sei bei der Ankunft im Krankenhaus bereits durchgebrochen gewesen. Auch dieser Fall wurde als Lebensrettung eingestuft.

Nach einem Feiertagsgottesdienst wurde ein Apotheker in Heimbach in der Gemeinde angesprochen, um einen Blick auf die Hand einer jungen Patientin zu werfen, die sich zwei Tage zuvor bei Blumenarbeiten eine Stichwunde zugefügt hatte. Die Wunde war gereinigt und mit Rivanol® versorgt worden, ein Finger aber geschwollen und trotz der gelben Farbe des Rivanols® deutlich als gerötet zu erkennen. Bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass die Hand geschwollen und der Arm bis über den Ellenbogen von einem roten Netzwerk überzogen war. Der Apotheker vermutete eine Lymphangitis und riet trotz des Feiertages dringend zum sofortigen Arztbesuch. Der Arzt wies die Patientin sofort ins Krankenhaus ein, wo eine Aufenthaltsdauer von drei bis zehn Tagen in Aussicht gestellt wurde. Die Infektion war bereits bis zur Achsel fortgeschritten.

Einfach erreichbare Hilfe

Diese Beispiele zeigen, welche große Bedeutung eine niederschwellig erreichbare Anlaufstelle für die Bevölkerung hat, bei der ohne organisatorische Mühen nachgefragt werden kann, ob eine bestimmte Situation überhaupt medizinisch relevant ist und weiterer Maßnahmen bedarf. Wie in den Beispielen kann es dabei um erhebliche, sogar lebensbedrohliche Erkrankungen gehen. Denn offensichtlich werden auch schwere Erkrankungen und Notfälle von Laien nicht unbedingt erkannt.

Damit ist nicht gemeint, dass Apotheker eine Diagnose stellen sollen – sie müssen aber die Eigendiagnose der Patienten hinterfragen und sie müssen erkennen können, ob eine Erkrankung der Selbstmedikation zugänglich ist oder nicht. Dies ist die Grundvoraussetzung dafür, dass in Apotheken Arzneimittel für die Selbstmedikation angeboten werden – und darf nicht mit dem Stellen einer Diagnose verwechselt werden. Dazu gehören nicht nur Notfälle, sondern auch andere Situationen, in denen Patienten für Warnzeichen des Körpers sensibilisiert und auf mögliche Erkrankungen aufmerksam gemacht werden, wie bei einem Apothekenkunden in Heimbach. Er klagte über starkes Durstempfinden. Ein Blutzuckertest ergab 300 mg/dl Glucose. So wurde ein Diabetiker identifiziert und zum Hausarzt verwiesen.

Schneller als der Notarzt

In anderen Fällen ist die Diagnose soweit offensichtlich, dass es sich um einen ernsten Fall handelt. Dann ist eine möglichst schnelle Hilfeleistung gefragt. Manchmal ist die Apotheke dabei sogar schneller als der Notarztwagen, und es können schon wichtige Vorbereitungen für die Behandlung getroffen werden. So verabreichte eine Apothekerin einem Diabetiker in der Nachbarschaft einer Erfurter Apotheke eine orale Glucoselösung und bot damit die kurzfristig entscheidende Hilfe. Der ebenfalls gerufene Notarzt traf erst später ein. In einer Apotheke in Montabaur konnte ein Allergiker nach einem Wespenstich mit einem Anaphylaxiebesteck versorgt werden, was der später eingetroffene Notarzt ausdrücklich lobte. In einem Vorort von Viersen kam ein Patient, der eine halbe Stunde zuvor aufgrund einer Verordnung ein Antibiotikum erhalten hatte, mit Anzeichen einer allergischen Sofortreaktion zurück in die Apotheke. Da der behandelnde Arzt nur zwei Minuten mit dem Auto entfernt war, wurde der Patient mit dem Apothekenfahrzeug dorthin gefahren und zugleich der Arzt telefonisch informiert. Die ärztliche Behandlung konnte damit schneller beginnen, als es bei einer Fahrt ins Krankenhaus möglich gewesen wäre.
 

Arzneimittelsicherheit

Im Rahmen einer Serie zur Arzneimittelsicherheit, die im Jahr 2003 in der DAZ erschien, hatten wir dazu aufgerufen, Fälle zu dokumentieren, bei denen durch Interventionen in Apotheken wesentliche Beiträge zur Arzneimittelsicherheit geleistet wurden. Dazu gehören sowohl Korrekturen fehlerhafter Verordnungen als auch besondere Distributions- oder Serviceleistungen. Auch der Apothekerverband Nordrhein hat mehrfach zur Sammlung solcher Fälle aufgerufen. Die Auswertung der zahlreichen daraufhin eingegangenen Meldungen wird im Rahmen der hier vorliegenden Serie veröffentlicht. Die bisher veröffentlichten Folgen sind in DAZ 36, 38, 40, 42, 43, 46 und 48 erschienen.

Quantitative Daten

Die zahlreichen Meldungen, die beim Apothekerverband Nordrhein und bei der DAZ über die Problemfälle des Apothekenalltags eingegangen sind und bisher in dieser Serie vorgestellt wurden, vermitteln einen Überblick über die große Vielfalt der auftretenden Probleme. Sie machen deutlich, dass die meisten Fälle nur vor Ort im persönlichen Kontakt mit Patienten und Ärzten zu klären oder überhaupt erst als Problem zu erkennen sind. Die ungezielte Sammlung von Meldungen aus Apotheken in ganz Deutschland über einen langen Zeitraum erlaubt aber keine gesicherte Aussage über die Häufigkeit solcher Ereignisse. Aus wenigen Apotheken wurden jedoch Angaben zur Häufigkeit bestimmter Ereignisse gemeldet, und in einer Apotheke wurde sogar ein ganzer Feiertagsnotdienst systematisch in einer kleinen Studie ausgewertet. Diese Daten zeigen, dass die vorgestellten Fälle keine außergewöhnlichen Ausnahmen, sondern überwiegend der ganz normale Apothekenalltag sind. So wurde aus einer Apotheke in Köln über mindestens 30 falsch ausgestellte Rezepte pro Monat berichtet, beispielsweise mit falschen Arzneimitteln, falschen Angaben zur Stärke oder Verordnungen für falsche Patienten. Aus einer Apotheke in Düsseldorf wurde berichtet, dass fast täglich falsch ausgestellte Rezepte über Insulin vorgelegt werden.

In einer Apotheke in Rehau wurden an einem Samstagvormittag in der Zeit von 8 bis 13 Uhr acht Vorgänge mit besonderem Handlungsbedarf dokumentiert: Das Organisieren einer Sonderlieferung eines ausgefallenen Insulins für eine frisch aus dem Krankenhaus entlassene Patientin, ein "vergessenes" Rezept bei einer Dauermedikation, eine telefonische Notfallverordnung eines Arztes, ein unleserliches Rezept, das mit Hilfe der Kundendatei entziffert werden konnte, eine teilweise unklare Verordnung, die durch Hinterfragen der Diagnose interpretiert werden konnte, ein angeblich defektes, tatsächlich aber falsch bedientes Blutdruckmessgerät, dessen Handhabung erklärt wurde, und zwei besonders aufwändige Beratungsfälle – alles jeweils keine "dramatischen" Fälle, aber die Dokumentation vermittelt einen Eindruck von der Häufigkeit solcher Leistungen, die sonst unerwähnt bleiben.

Ein Notdienst in Mönchengladbach

Noch mehr als an einem Samstagmorgen auf dem Lande geschieht in einem ganztägigen Feiertagsnotdienst in einer Großstadt. Einen bemerkenswerten Eindruck davon bietet eine Erhebung, die Apotheker Hans-Georg Busen in der Löwen-Apotheke Mülfort in Mönchengladbach angefertigt hat. Obwohl der dokumentierte Tag, der 1. November 2001 (Allerheiligen, Feiertag in Nordrhein-Westfalen), bereits einige Zeit zurückliegt, soll dies hier wegen der aussagekräftigen quantitativen Auswertung dargestellt werden. Innerhalb von 24 Stunden wurden 129 Kundenkontakte erfasst, davon 97 bis 18.30 Uhr und sechs nach Mitternacht. Dabei wurden 41 Rezepte für Kinder und 13 für Erwachsene beliefert, davon eine ausländische Verordnung. 21 sichere Präparatewünsche wurden im Rahmen der Selbstmedikation erfüllt und 22 Selbstmedikationspatienten mit Symptombeschreibung beraten, hinzu kamen sechs telefonische Beratungen. 24-mal wurde ein Arzneimittel empfohlen, in drei Fällen wurde von einem gewünschten Präparat abgeraten, 16-mal wurde zu einem Arztbesuch geraten und dreimal wurde zur Prävention von Erkrankungen beraten.

Gelöste ...

Soweit die Daten über die Inanspruchnahme des Notdienstes, die einen Eindruck davon vermitteln, welche quantitative Bedeutung der Apothekennotdienst für die Versorgung der Bevölkerung hat. Welche Probleme dabei zu überwinden waren, zeigen die weiteren Ergebnisse der Erhebung aus Mönchengladbach: In 20 Fällen wurde generisch substituiert, in drei weiteren Fällen war dies ausdrücklich nicht zugelassen. Es wurden drei Antibiotikasäfte zubereitet.

Fünfmal konnte durch ausführliche Überzeugungsarbeit und Erläuterung der Wirkungsweise des Arzneimittels die Compliance gerettet werden, sieben weitere Fälle wurden als besonders eingehende Beratung klassifiziert, davon ein Fall, bei dem die Verschreibungspflicht der "Pille danach" ausführlich begründet und die Patientin an den ärztlichen Notdienst verwiesen wurde, und zwei "intensive Läuseberatungen". In einem dieser Fälle befand sich eine Viertelstunde lang eine sechsköpfige Familie in der Offizin. Viermal waren besondere sprachliche Hindernisse zu überwinden, auch mit Zeichensprache. Zweimal verordneten Ärzte telefonisch Arzneimittel, in einem Fall wurde ein gefaxtes Rezept entziffert, das in einem Altenheim nicht gelesen werden konnte, in diesem und einem weiteren Fall wurde ein Heim beliefert. Dreimal wurde erklärt, wie der ärztliche Notdienst zu erreichen ist. Dazu gehörte regelmäßig auch die für die Patienten meist befremdliche Erklärung, warum in den Apotheken nicht bekannt ist, welcher Arzt den Notdienst versieht, und dass die Notdienstzentrale angerufen werden muss.

... und ungelöste Probleme

Wie problematisch eine Beratung sein kann, zeigt das Beispiel eines Gesprächs mit einem Taxifahrer, der den Notdienst kurz nach Mitternacht aufsuchte und ein Mittel gegen Zahnschmerzen holen sollte. Auf die Frage "für wen?" antwortete er: "Für eine Frau". Auf die Gegenfrage, ob sie möglicherweise schwanger sei, gab er die Antwort: "Ja, das sollte ich sagen". In vier Fällen musste für Patienten beraten werden, die nicht selbst in der Apotheke anwesend und nicht telefonisch zu erreichen waren, so auch in einem weiteren "Taxi-Fall". Auch in anderen Fällen konnten bei der Beratung nicht alle Aspekte geklärt werden. Insgesamt wurde dreimal "unwohles Gefühl" protokolliert, doch erschien die Abgabe des Selbst- medikationsarzneimittels dabei jeweils eher angemessen, als auf ein Gefühl hin die Abgabe zu verweigern. Ein anderer Problemfall musste regelmäßig ungelöst bleiben: Siebenmal wurde Kindernahrung verlangt. Da diese Produkte mit kurzer Laufzeit praktisch nur im Notdienst nachgefragt werden, ist dieser Wunsch nicht zu erfüllen. In eine ähnliche Kategorie der selbst verschuldeten Notfälle können sechs Rezepte eingestuft werden, die verspätet eingelöst wurden.

Nicht immer wird der Notdienst als besondere Dienstleistung gewürdigt, in Einzelfällen wird auch versucht, die Ausnahmesituation zu missbrauchen. Drei Fälle wurden in dieser Hinsicht kategorisiert, darunter eine durchschaubare telefonische Frage, ob ein genanntes codeinhaltiges Schmerzmittel verschreibungspflichtig sei.

Auch über wirtschaftliche Aspekte des Notdienstes geben die gesammelten Daten Auskunft: Drei Fälle wurden als "guter Umsatz" klassifiziert. In vier Fällen fielen dagegen besonders hohe Logistikkosten an. Einige Arzneimittel wurden noch im Notdienst beschafft, darunter ein ausgefallenes Insulin für eine Dialysepatientin. Ein wirtschaftlicher Gewinn war dieser Notdienst demnach nicht, so dass auf eine entsprechende gesellschaftliche Würdigung zu hoffen bleibt.

Konsequenzen

Die quantitative Auswertung der Beratungsfälle in einem eintägigen Notdienst zeigt, dass die in dieser Serie vorgestellten Leistungen der Apothekenteams in den unterschiedlichsten Problemsituationen keine seltenen Sonderfälle, sondern Alltag sind. Obwohl sich viele andere Veröffentlichungen und berufspolitische Aktivitäten zunehmend auf neue Leistungen im Rahmen der Hausapothekenmodelle und bei der pharmazeutischen Betreuung beziehen, sollte die Bedeutung der Apotheken für die Arzneimittelsicherheit in ganz "normalen" Versorgungssituationen nicht gering geschätzt werden. Für die Arzneimittelsicherheit eines großen Teils der Bevölkerung sind diese Leistungen möglicherweise bedeutsamer als die langfristig organisierte Betreuung ausgewählter Patienten. Dies zu verdeutlichen, war das Ziel dieser Serie. Diese Serie konnte nur entstehen, weil viele Apothekerinnen, Apotheker und ihre Teams dokumentiert und gemeldet haben, was sie in ihrem Alltag erlebt haben. Dafür sei allen Einsendern nochmals herzlich gedankt.

Thomas Müller-Bohn

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