Arzneimittel und Therapie

Anagrelid vermindert Thrombozyten

Anfang Januar wurde Anagrelid (Xagrid®) zur Behandlung der essenziellen Thrombozythämie in Deutschland eingeführt. In den USA ist die Substanz bereits seit sieben Jahren zugelassen. Seit 2000 hat Anagrelid den Orphan Drug Status und wird seither auch in Europa auf Basis des § 73.3 AMG in diesem Indikationsgebiet eingesetzt.

Die essentielle Thrombozythämie ist eine chronisch myeloproliferative Erkrankung. Charakteristisch sind stark vermehrte und deutlich vergrößerte Megakaryozyten, die in Gruppen auftreten und vermehrt Thrombozyten bilden. Wegen der erhöhten peripheren Thrombozytenzahl (über 500.000 Thrombozyten pro µl) besteht eine erhöhte Neigung zu arteriellen Thrombosen, und damit ist das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und Verschluss der Arterien an den Extremitäten gesteigert. Die am häufigsten auftretenden Beschwerden sind Mikrozirkulationsstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen und Sehstörungen.

Von der essenziellen Thrombozythämie sind in Deutschland ungefähr 9000 Patienten betroffen. Diese Erkrankung des Knochenmarks tritt meistens nach dem 50. Lebensjahr auf oder wird dann erkannt.

Bisherige Therapie: Hydroxyurea und Interferon alfa

Bisher wurde die essenzielle Thrombozythämie überwiegend mit Hydroxyurea und Interferon alfa oder – auf der Basis des § 73.3 AMG – mit Anagrelid (bisherige Bezeichnung Agrylin®) behandelt.

Hydroxyurea hemmt die Ribonukleotidreduktase und die DNA-Synthese. Als Folge sinkt die Zahl der Blutplättchen. Die Therapie wirkt nicht selektiv zytotoxisch. Hydroxyurea kann leukämogen wirken, was sich bei einer Monotherapie in einem Zeitrahmen von vier bis zehn Jahren nach Behandlungsbeginn manifestieren kann.

Interferon alfa wird – im Gegensatz zu Anagrelid und Hydroxyurea – parenteral appliziert und wirkt myelosuppressiv und immunmodulatorisch. Fieber und Fröstelgefühle sowie Erschöpfung sind die anhaltendsten und häufigsten Syndrome.

Hemmung der Phosphodiesterase

Anagrelid ist ein Imidazochinazolin, das für die Behandlung der essenziellen Thrombozythämie entwickelt wurde. Die Substanz wirkt über eine Hemmung der Phosphodiesterase. Der spezifische Wirkmechanismus, anhand dessen Anagrelid die Thrombozytenzahl verringert, ist allerdings bisher nicht geklärt. Allerdings wurde durch In-vitro- und In-vivo-Studien bestätigt, dass Anagrelid thrombozytenselektiv ist. In-vitro-Studien zur Megakaryozytopoese beim Menschen haben nachgewiesen, dass die hemmende Wirkung von Anagrelid auf die Thrombozytenbildung beim Menschen über eine Verzögerung der Megakaryozytenreifung und eine Verringerung ihrer Größe und Ploidie vermittelt wird. Hinweise auf ähnliche In-vivo-Wirkungen wurden bei Knochenmarksbiopsieproben behandelter Patienten beobachtet.

Keine zytotoxische Wirkung

Anagrelid wirkt im Gegensatz zu Hydroxyurea weder zytotoxisch noch mutagen. Die Substanz wird seit über 10 Jahren in einem breiten Spektrum von Patienten erfolgreich in der Behandlung der essenziellen Thrombozythämie eingesetzt. Sie wirkt in der postmitotischen Phase der Megakaryozyten-Entwicklung und reduziert deren Ploidie, Reife und Größe. Dadurch wird die Thrombozytenzahl verringert, ohne dass die anderen blutbildenden Zellen beeinflusst werden.

Hohe Responderrate

In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass Anagrelid in einer Dosis von 0,5 bis 1 mg vier mal täglich die Plättchenzahl innerhalb von vier Wochen um 50% bzw. auf weniger als 600.000 Thrombozyten/µl reduziert. Die Responderrate lag bei 93% der untersuchten Patienten. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass durch eine Behandlung mit Anagrelid in einem Beobachtungszeitraum von zwei bis sechs Jahren eine vollständige Remission mikrovaskulärer thrombotischer und hämorrhagischer Symptome erreicht wurde. Bei über 80% der Patienten wurde auch eine Reduktion der Plättchenaggregation beobachtet.

Langsame Dosistitration

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (14%), Palpitationen (9%), Flüssigkeitsretention (6%), Übelkeit (6%) und Diarrhö (5%). Die Verträglichkeit kann durch eine langsame Dosistitration verbessert werden.

Die Anfangsdosis sollte maximal 1 mg Anagrelid/Tag betragen und im Wochenrhythmus um nicht mehr als jeweils 0,5 mg erhöht werden, bis die Thrombozytenzahl ausreichend reduziert ist. Die maximale Tagesdosis beträgt 5 mg. Bei der Mehrzahl der Patienten wird mit 1 bis 3 mg/Tag eine ausreichende Plättchenreduktion erreicht.

Anagrelid wird beim Menschen nach oraler Gabe zu mindestens 70% vom Magen-Darm-Trakt resorbiert. Bei nüchternen Probanden werden Spitzenplasmakonzentrationen ca. eine Stunde nach einer Dosis von 0,5 mg erreicht; die Plasma-Halbwertzeit ist kurz und beträgt ca. 1,3 Stunden. Anagrelid wird vorwiegend durch CYP1A2 metabolisiert; weniger als 1% wird unverändert im Urin ausgeschieden.

Bei Einnahme einer Anagrelid-Dosis von 0,5 mg nach einer Mahlzeit war die Bioverfügbarkeit 14% geringer als bei nüchterner Einnahme.

Aufgrund der positiv inotropen Wirkungen von Anagrelid sollten Patienten mit bestehenden oder vermuteten Herzerkrankungen vor Therapiebeginn mit Xagrid® einer kardiovaskulären Untersuchung unterzogen und auch während der Therapie regelmäßig überwacht werden. hel

Steckbrief: Anagrelid 

 

Handelsname/Hersteller: 
Xagrid (Shire Deutschland, Köln)

Einführungsdatum:
1. Januar 2005

Zusammensetzung:
Eine Kapsel enthält 0,5 mg Anagrelid als Hydrochlorid. Sonstige Bestandteile: Kapselinhalt: Povidon (E1201) Crospovidon, wasserfreie Lactose, Lactosemonohydrat, mikrokristalline Cellulose (E460), Magnesiumstearat. Kapselhülle: Gelatine, Titandioxid (E171). Druckfarbe: Schellack, Ammoniak-Lösung, Kaliumhydroxid (E525), Eisen(II,III)-oxid (E172). Packungsgrößen, Preise und PZN: 100 Kapseln, 553,98 Euro, PZN 4164572

Stoffklasse:
Zytostatika, andere antineoplastische Mittel; Phosphodiesterasehemmer

Indikation:
Zur Behandlung der essentiellen Thrombozythämie Dosierung: Die Anfangsdosis sollte maximal 1 mg Anagrelid/Tag betragen und im Wochenrhythmus um nicht mehr als jeweils 0,5 mg erhöht werden, bis die Thrombozytenzahl ausreichend reduziert ist. Die maximale Tagesdosis beträgt 5 mg.

Gegenanzeigen:
Schwere Nieren- oder Leberschäden.

Nebenwirkungen:
Kopfschmerzen, Palpitationen, Flüssigkeitsretention, Übelkeit, Diarrhö.

Wechselwirkungen:
Anagrelid hemmt die zyklische AMP-Phosphodiesterase III. Die Wirkung von Arzneimitteln mit ähnlichen Eigenschaften, wie etwa die inotropen Substanzen Milrinon, Enoximon, Amrinon, Olprinon und Cilostazol, könnte durch Anagrelid verstärkt werden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen:
Die Therapie erfordert eine enge klinische Überwachung des Patienten einschließlich vollständigem Blutbild (Hämoglobin und Leukozyten- und Thrombozytenzahl) und Tests zur Bewertung der Leberfunktion (ALT und AST) und der Nierenfunktion (Serumkreatinin und Harnstoff). Aufgrund der positiv inotropen Wirkungen sollten Patienten mit bestehenden oder vermuteten Herzerkrankungen vor Therapiebeginn einer kardiovaskulären Untersuchung unterzogen und auch während der Therapie regelmäßig überwacht werden.

1 Kommentar

Vertäglichkeitsüberprüfung

von Bauer am 30.11.2019 um 11:18 Uhr

Gibt es negative Folgen bei der glzt. Einnahme von Nexium (Protonenpumpenhemmer)?

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