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Nutzen für die Patienten statt Sparen für die Politik (Kommentar)

Der Streit um tatsächliche oder nur vermeintliche Arzneimittelinnovationen ist längst zum Lieblingsthema der Kritiker im Gesundheitswesen geworden. Nachdem das GMG zunächst die Apotheken mit Versand, Filialen und neuer Preisbildung getroffen hat, scheint nun die Pharmaindustrie mit der Nutzenbewertung der Arzneimittel an der Reihe zu sein. Die Marketingbudgets der Industrie und bis zu sieben Beraterbesuche pro Tag für einen Arzt, wie sie Systemkritiker und Regierungsberater Glaeske ermittelt haben will, stimmen durchaus nachdenklich. Nach Einschätzung von Glaeske bringen viele Innovationen nur einer kleinen Patientengruppe zusätzlichen Nutzen, wie er beim NZW in Hamburg erläuterte. Daher sollten auch nur diese Patienten das teurere Arzneimittel erhalten. Das klingt logisch und vernünftig.

In dieser Rechnung fehlt aber die Pharmaindustrie, denn aus den dann verringerten Umsätzen ergeben sich geringere Gewinne. Die hohen Gewinne der Pharmaindustrie im Vergleich zu anderen Branchen sind aber nötig als Ausgleich für das enorme Risiko der Fehlentwicklung, das es beispielsweise in der Auto-, Stahl- oder Nahrungsmittelindustrie so nicht gibt. Das ist das eherne Gesetz des Kapitalmarktes: jedes Risiko hat seinen Preis.

Die Rechnung könnte daher nur aufgehen, wenn die Preise der innovativen Arzneimittel, die nur bei wenigen Patienten großen Nutzen bringen, dann noch viel höher sein dürften als das heute üblich ist. Der Kuchen dürfte nicht kleiner werden, er wäre nur anders zu verteilen. Das wäre ganz im Sinne der Pharmakoökonomie, solange für den hohen Preis ein hoher Nutzen geboten wird. Dies nachzuweisen, wäre Sache der Industrie – das Geld ginge in die nutzenorientierte Forschung und nicht in das Marketing. Das wäre ein optimaler ökonomischer Anreiz, ganz im Sinne der Patienten, die dann genau das Arzneimittel bekämen, das ihnen optimal hilft.

Wieviel hier noch zu tun ist, war im wissenschaftlichen Teil des NZW zu hören. Zumindest in der Onkologie steht die Therapieindividualisierung erst am Anfang. Bisher sind die Erfolge eher dürftig, aber zytologische und besonders genetische Kriterien versprechen neue Ansätze für individuell abgestimmte Therapien. Neben sehr viel Grundlagenforschung und klinischen Erfahrungen wird dies aber auch viele neue Arzneistoffe mit differenzierten Wirkungsmechanismen erfordern. Denn ohne breite Arzneimittelauswahl kann es keine Vielfalt der individuellen Therapien geben.

Für die Pharmaindustrie bedeutet dies viel Arbeit und das Ende des Traumes vom Blockbuster, der das Geld über Jahre fließen lässt. Stattdessen müssten viele hochpreisige Produkte mit kleinen Indikationsgebieten für den nötigen Gewinn sorgen.

Für die künftigen Patienten wäre dies eine große Hoffnung, nur eines kann man damit nicht: Sparen. Sicher ist es sinnvoll, das Geld für das jeweils nützlichste Arzneimittel einzusetzen, aber davon wird die Leistung, die das System erbringt, nicht weniger – im Gegenteil: Ein System, das mehr Nutzen bringt, sollte auch mehr kosten dürfen. Das müssten auch die Politiker verstehen, denn das ist gerade das Ergebnis ihrer Kosten-Nutzen-Logik.

Thomas Müller-Bohn

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