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Schweim übernimmt neuen Lehrstuhl (DAZ-Interview)

BONN (hb). Zum Jahresbeginn 2005 hat der vormalige Präsident des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte Prof. Dr. Harald Schweim den Lehrstuhl für Drug Regulatory Affairs (DRA) an der Universität Bonn übernommen. Es handelt sich um die erste Professur in diesem Spezialfach in ganz Europa. Die DAZ fragte Professor Schweim nach den zukünftigen Schwerpunkten und Zielen seiner Arbeit.

 

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Herr Professor Schweim, im Dezember 2004 sind Sie vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung zum Universitätsprofessor ernannt und an die Universität Bonn berufen worden. Hierzu zunächst einmal herzlichen Glückwunsch. Das Fach Drug Regulatory Affairs, das Sie nun vertreten werden, ist eine relativ neue Disziplin innerhalb der Pharmazie. Vielleicht umreißen Sie zunächst noch einmal kurz dessen Schwerpunkte.

Schweim:

Das Fach ist sehr breit angelegt. Es geht im Großen und Ganzen um sämtliche rechtlichen und regulatorischen Fragen rund um das Arzneimittel, angefangen von der Arzneimittelzulassung und den damit verbundenen mannigfaltigen Fragen in Bezug auf den Nachweis und die Darlegung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit über das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung, den Arzneimittelvertrieb, die Pharmakovigilanz, bis hin zur Pharmakoökonomie und Gesundheitspolitik, und zwar auf nationaler und internationaler Ebene. Angesichts dieser Fülle von Aufgabenfeldern spielt natürlich auch das Informationsmanagement eine wichtige Rolle.

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Was befähigt aus Ihrer Sicht gerade den Apotheker für diese Aufgaben?

Schweim:

Na ja, es geht schließlich bei allen diesen Fragen um das Arzneimittel. Aber der Apotheker ist auch wegen seiner breiten Ausbildung von der Chemie bis hin zur Rechtskunde der ideale Regulatory Affairs Manager in spe. Während die Pharmazie außerhalb der Apotheke aus meiner Sicht in den letzten Jahrzehnten leider viele Schlachten um Kompetenzfelder verloren hat – in der Chemie zum Beispiel die Synthese, die Analytik zum Teil, die klinische Chemie, und in der Technologie stehen die Physikochemiker und Ingenieure vor der Tür – erobern wir speziell auf diesem Berufsfeld zunehmend Terrain gegen andere Berufsgruppen. Unter den vielen verspielten Zukunftschancen und den wenigen sich neu entwickelnden ist gerade "Regulatory Affairs" für den Industriepharmazeuten eine große Chance.

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Die Disziplin ist an der Universität nicht neu. Bereits vor einigen Jahren hat die Deutsche Gesellschaft für Regulatory Affairs (DGRA) einen entsprechenden Weiterbildungsstudiengang mit dem Abschluss "Master of Drug Regulatory Affairs" an der Uni Bonn ins Leben gerufen, den Sie nun federführend betreuen sollen.

Schweim:

Das ist richtig. Die Einrichtung des Weiterbildungsstudiengangs habe ich als Vorsitzender der DGRA seinerzeit maßgeblich mitbetrieben. Er wurde bisher mit großem Erfolg von Prof. Dr. Karl-Werner Glombitza betreut und koordiniert, eine Aufgabe, die ich nun nach und nach von ihm übernehmen werde.

Der Studiengang war übrigens der erste Schritt hin zu einer wissenschaftlichen Durchdringung dieses Fachs. Bis dahin blieb den DRA-Praktikern und Experten nichts anderes übrig als "Learning by doing", und das nahm aufgrund der Komplexität der Materie meist sehr lange Zeit in Anspruch. Drei bis fünf Jahre mussten da schon veranschlagt werden, um eine für die Industrie wirklich verwertbare Kompetenz zu erzielen. Über den Weiterbildungsstudiengang geht das erheblich schneller.

Außerdem sind wir sehr stolz darauf, dass faktisch alle Absolventen ohne Probleme untergekommen sind oder vorher schon waren, das heißt, dass wir nicht etwa arbeitslose, sondern besonders gefragte Spezialisten "produzieren", für die der Abschluss vielfach mit einem deutlichen Karrieresprung verbunden ist.

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Soviel zur praktischen Ausbildung. Wo werden Sie ihre persönlichen wissenschaftlichen Schwerpunkte setzen?

Schweim:

In den nächsten drei Jahren habe ich in erster Linie vor, das Thema "off-label-use" im Rahmen eines Forschungsprojektes regulatorisch aufzuarbeiten. Weitere Themen, die ich mittelfristig angehen möchte, sind die Modulation regulatorischer Prozesse und Fragen der Beziehungen zwischen Regulation und Pharmakovigilanz. Zusätzlich werden wir uns um Anbindung an andere Forschungsprojekte bemühen, Angebote für die Industrie machen und im Rahmen von Doktorarbeiten Einzelfragen bearbeiten.

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Besteht denn hier Bedarf, wenn die Absolventen ihr berufliches Fortkommen schon mit dem Masterabschluss sichern können?

Schweim:

Das scheint tatsächlich der Fall zu sein. Ohne dass ich große Werbung gemacht hätte, habe ich bereits fünfundzwanzig Anfragen für Promotionen, überwiegend nebenberuflich, vorliegen. Wenn sich nur die Hälfte davon realisieren sollte, ist das für mich eine begründete Hoffnung, dass sich das Fach bereits in nächster Zeit tatsächlich auf wissenschaftliche Beine stellen lässt. Eine wichtige administrative Voraussetzung hierfür, die entsprechende Ergänzung der Promotionsordnung, habe ich in der letzten Sitzung der Fachgruppe Pharmazie an der Uni Bonn bereits auf den Weg gebracht.

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Wie stellen Sie sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit vor?

Schweim:

Gerade im Zulassungsgeschäft ist Interdisziplinarität lebenswichtig. Die Fachdisziplinen und Methoden, die dabei angewendet werden, stammen aus der Naturwissenschaft, aber auch aus dem juristischen, medizinischen und empirisch-sozialwissenschaftlichen Bereich. Hinzu kommen bibliometrische und informationstechnische Methoden. Wir haben also ein breites interdisziplinäres Feld zu beackern. Vor allem mit der juristischen Fakultät und mit der Fakultät Medizin sind wir schon im Gespräch. Weitere Anknüpfungspunkte sehe ich für die nächste Zeit konkret mit dem für mich bereits angestammten Gebiet der Medizininformatik sowie mit Consumer Health Care.

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Welche Rolle wird die DGRA für den Lehrstuhl spielen?

Schweim:

Als Gründungsmitglied und bisheriger Vorsitzender der DGRA bin ich der Fachgesellschaft sehr verbunden und strebe vor diesem Hintergrund selbstverständlich eine enge Zusammenarbeit an. Wie ich den Mitgliedern der DGRA kürzlich mitgeteilt habe, bin ich allerdings bei der Vorstandssitzung der Fachgesellschaft am 13. Januar 2005 von meinem Amt als Vorsitzender zurückgetreten. Nach allgemeinem Vereinsrecht und nach der Satzung der DGRA dürfen die Vorstandsmitglieder keinen "unmittelbaren oder mittelbaren" Vorteil aus dieser Tätigkeit ziehen.

Der Lehrstuhl wird aber auch für Drittmittelprojekte und industriegestützte Vorhaben offen sein. Diese sind sogar ausdrücklich erwünscht und erforderlich, um das Fach zu etablieren. Um hier eine saubere Grenze zu ziehen, kommt die Mitarbeit im Vorstand der DGRA daher für mich leider nicht mehr in Frage.

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Wie steht es mit dem Fach "Drug Regulatory Affairs" international? Wo haben und suchen Sie kompetente Partner?

Schweim:

Der Lehrstuhl in Bonn ist meines Wissens derzeit in Europa tatsächlich der einzige mit der offiziellen Widmung "Drug Regulatory Affairs". An dem Thema arbeiten aber auch Fachkollegen in Paris, Cardiff, Toulon und Barcelona. Darüber hinaus wird im Rahmen des Projektes EUDIPHARM in Brüssel, an dem ich ebenfalls beteiligt bin, ein European Diploma in Pharmaceutical Medicine angeboten, ein etwas unglücklicher Titel für eine Qualifikation, die ebenfalls in unsere Richtung geht.

Ich bin außerdem Projektleiter für Deutschland im Rahmen der "Aufbauhilfe" in den neuen EU-Mitgliedstaaten wie Polen und Lettland und werde voraussichtlich im Rahmen eines EU-Programms zur engeren Zusammenarbeit mit den Mittelmeer-Anrainerstaaten engere Kontakte mit der jordanischen Petra-Universität in Amman aufbauen.

Mein Wunschtraum auf lange Sicht wäre ein internationaler Studiengang unter Beteiligung von Europa, den USA und Japan.

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Die Weiterentwicklung des Arzneimittelrechts ist für das Fortbestehen und die wirtschaftliche Entwicklung der Pharmaindustrie von essentieller Bedeutung. Inwieweit gedenken Sie, über den Lehrstuhl auf nationaler und internationaler Ebene auch arzneimittelpolitisch meinungsbildend zu wirken?

Schweim:

Mit Sicherheit werden wir versuchen, uns am Prozess der Erstellung europäischer Guidelines zu beteiligen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Für die nahe Zukunft liegt es mir besonders am Herzen, angemessene regulatorische Rahmenbedingungen für die Compliance-Förderung sowie auf dem Gebiet der Biogenerics herzustellen.

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Welche Bedeutung hat das Fach für den Offizinapotheker?

Schweim:

Wir Pharmazeuten sollten uns wesentlich über unsere Kernkompetenz definieren, und die liegt sicherlich in den stofflichen Eigenschaften von Arzneimitteln. Ich meine, wer nichts von Chemie versteht, der versteht auch nichts von Arzneimitteln. Vom Apotheker als "Barfußarzt" halte ich persönlich nicht viel. Gleichwohl darf diese Kernkompetenz nicht dazu führen, die Berufswirklichkeit zu verkennen, und die fordert von uns doch noch einiges mehr.

Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass ich hier in Bonn außerordentlich aufgeschlossene Kolleginnen und Kollegen angetroffen habe. Die Bonner haben sich schon in manchen Punkten als Speerspitze für Innovationen erwiesen, so zum Beispiel durch die erste Professur für klinische Pharmazie. Sie haben den Diplomstudiengang entwickelt und die Graduiertenkollegs auf die Beine gestellt. Dies war auch ein wichtiger Grund dafür, dass der DRA-Weiterbildungsstudiengang hier seine Heimat gefunden hat.

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Sehen Sie auch Möglichkeiten der Verknüpfung mit der regulären Apothekerausbildung?

Schweim:

Auch wenn die Bedeutung von Regulatory Affairs hier in Bonn schon früh erkannt wurde, sehe ich aus Kapazitätsgründen für die nahe Zukunft leider noch keine Möglichkeit, das Fach im Grund- oder im Hauptstudium des Apothekers zu verankern. Mittelfristig vielleicht, wenn sich die Approbationsordnung der Apotheker ändern sollte oder im Rahmen der Wahlpflichtfach-Diskussion.

Wir sind allerdings dankbar für jeden wissenschaftlichen Input aus der Praxis, etwa wenn es um Fragen der Packungsbeilage, der Compliance oder um die Auswirkungen der Herausnahme der nicht-rezeptflichtigen Arzneimittel aus der Kassenerstattung auf die Arzneimittelsicherheit geht. Insofern sollten wir die Pharmaziestudenten so früh wie möglich für solche Fragestellungen sensibilisieren.

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Wer etwas auf die Beine stellen möchte, braucht entsprechende Sachmittel und finanzielle Ressourcen. Sind Sie mit der Ausstattung des Lehrstuhls zufrieden? Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Schweim:

Es ist ja bekannt, dass die Universitäten heute chronisch unterversorgt sind. Ich muss zunächst zufrieden sein, mit dem was man mir bieten kann, obwohl es, ehrlich gesagt, weniger ist, als ich erwartet hatte. Ich kämpfe bei der Universitätsverwaltung noch um die Bereitstellung der benötigten Räumlichkeiten. Glücklicherweise wird das Bundesministerium für Gesundheit den Lehrstuhl im Rahmen des genannten Forschungsprojektes zum Off-label-use mit einem namhaften Betrag auch für Personal unterstützen, der die nächsten drei Jahre abdecken soll. Danach müssen wir selber schwimmen.

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Herr Professor Schweim, vielen Dank für dieses Gespräch. Wir wünschen Ihnen für Ihre neue Aufgabe viel Erfolg.

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