Fortbildung

Pädiatrie: Epilepsie, Schmerz oder ADHS bei Kindern

Die Behandlung von Kindern mit Epilepsie, Schmerz oder ADHS stellt an Ärzte und Apotheker große Ansprüche. Letzten Endes ist aber für den Erfolg jeder Therapie die Mitarbeit der Eltern entscheidend. Auf einer Veranstaltung der Apothekerkammer Nordrhein über "kindgerechte Therapien" am 2. November 2005 in Neuss bildeten sich rund 400 Teilnehmer fort.
Prof. Dr. Wolfgang Kölfen

Kinder mit Epilepsie

Etwa 200.000 Kinder in Deutschland leiden an Epilepsie, und bei etwa 200 Kindern jährlich wird sie schon vor dem ersten Lebensjahr diagnostiziert, berichtete Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen aus Mönchengladbach in seinem Vortrag. Bei mehr als der Hälfte aller Fälle lassen sich keine Ursachen erkennen. Durch Unfälle oder als Folge von schweren Erkrankungen werden etwa 16% der Epilepsien verursacht. Perinatale Ursachen schlagen mit etwa 18% zu Buche, pränatale Gründe mit rund neun Prozent. Das Leitsymptom sind rezidivierende Krampfanfälle. Wenn also einmal ein Grand Mal auftritt, so bedeutet dies nicht gleich, dass das Kind eine Epilepsie hat.

Obwohl genetische Dispositionen bekannt sind, handelt es sich bei der Epilepsie nicht um eine Erbkrankheit. Epileptiker können ein weitgehend normales Leben führen, sich gemäß den STIKO-Empfehlungen impfen lassen, zur Schule gehen, Sport treiben – wobei Sportarten, die ein großes Sturzrisiko bergen, und Schwimmen wegen der Ertrinkensgefahr unter einem Anfall nicht zu empfehlen sind – und als Erwachsene auch Auto fahren, wenn sie mindestens ein Jahr Anfallsfreiheit nachweisen.

Therapie mit Antiepileptika

Die Therapiemöglichkeiten der Epilepsie sind im Kindesalter wegen fehlender Zulassung oder starker, schwer zu beherrschender Nebenwirkungen der Antiepileptika relativ beschränkt.

  • Bei idiopathisch generalisierten Grand-Mal-Anfällen erfolgt die Behandlung mit Valproinsäure. Allerdings zeigen sich hier häufig Gewichtsprobleme, die vor allem von Mädchen in der Pubertät schlecht akzeptiert werden. Zudem müssen Leber und Pankreas vor allem zu Beginn der Therapie engmaschig auf mögliche Unverträglichkeiten beobachtet werden.
  • Vigabatrin kann massive irreversible Visus-Einschränkungen verursachen und stellt bei Kindern, deren Gesichtsfeld man noch nicht untersuchen kann, ein großes Risiko dar.
  • Nebenwirkungen von Lamotrigin sind Kopfschmerzen, Erbrechen, Übelkeit und Somnolenz. Häufig reduzieren sich diese Probleme bei längerfristiger Einnahme. Deshalb soll Lamotrigin langsam aufdosiert werden. Es stellt dann eine gute Behandlungsoption dar.
  • Auch Topiramat zeigt gute Erfolge in der Therapie von Kindern. Die Compliance ist bei der Behandlung der Epilepsie besonders wichtig. Außerdem soll ein Anfallskalender geführt werden, um die Wirksamkeit der Therapie überprüfen und eventuell auch Auslösefaktoren identifizieren zu können – häufig sind dies fiebrige Infekte, Schlafentzug, flackerndes Licht oder Alkohol.

 

Kinder ernst nehmen

Kranke Kinder bedürfen einer besonderen Zuwendung in der Apotheke. Der Apotheker kann ihnen helfen, mit ihrer Krankheit verantwortlich umzugehen. Zudem hat der Apotheker auch in der Prävention eine wichtige Aufgabe, die er in Kindergärten, Schulen und Selbsthilfegruppen wahrnehmen sollte. Aus der Ansprache von Wolfgang Gröning, Fortbildungsausschussvorsitzender der AK Nordrhein

Dr. Jens Berrang

Schmerzmittel auch für die Kleinsten

Das Schmerzmittel-Schema der WHO gilt – mit Ausnahme von ASS, das bei Kindern das Reye-Syndrom auslösen kann – auch für Kinder, wie Dr. Jens Berrang aus Homburg/Saar in seinem Vortrag ausführte. Von den NSAR (Schmerzmittel der Gruppe I) eignen sich Paracetamol und Metamizol – bei Beachtung der Nebenwirkungen – besonders gut für die Therapie von Kindern.

In der Praxis zeigt sich, dass die von den Herstellern in den Beipackzetteln angegebenen Dosierungen für eine optimale Schmerzreduktion bei Kindern mit Tumoren oder anderen schmerzhaften Erkrankungen – darunter auch Migräne – zu gering sind. So muss Ibuprofen für eine effektive Schmerzstillung in drei bis vier Dosen von 30 bis 40 mg je Kilogramm Körpergewicht verabreicht werden.

Von den stark wirksamen Opiaten (Schmerzmittel der Gruppe III) sind für Kinder Morphin, Hydromorphon, Levomethadon und Fentanyl geeignet. Levomethadon wird vor allem dann eingesetzt, wenn die Analgesie durch Morphin und Hydromorphon nicht mehr ausreicht. Fentanyl kann intravenös, transdermal (als Pflaster) oder sogar als Lutscher – insbesondere bei kurzfristigen Schmerzzuständen – appliziert werden.

Als wichtigste Nebenwirkung von Opiaten muss die Obstipation von Beginn an behandelt werden. Alle anderen Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Schläfrigkeit verschwinden meist nach kurzer Dauer. Ein immer wieder erwähntes Problem, die Atemdepression, tritt bei Kindern nur bei einer Überdosis auf. Normalerweise triggert der Schmerz das Atemzentrum, sodass er einer Atemdepression gegensteuert.

Kopf-, Wachstums- und Bauchschmerzen

Mit Smiley-Skalen oder anderen Gesichtern, die verschiedene Gemütszustände zeigen, kann man bei Kindern ab dem Vorschulalter recht gut die Schmerzen erfragen. Für Säuglinge gibt es die Kindliche Schmerz- und Unbehagensskala (KUSS), die festgelegte Regungen wie Weinen, Grimassen, verzogener Mund sowie Haltung von Rumpf und Beinen erfasst.

Typische Schmerzen im Kindesalter sind Kopf-, Wachstums- und Bauchschmerzen. Kopfschmerzen lassen sich mit Ibuprofen gut behandeln, mit Ausnahme der Spannungskopfschmerzen, die meist unzureichend mit Arzneimitteln zu behandeln sind. Entspannungstechniken und "bunte Gedanken" (Ablenkung von der ständigen Beschäftigung mit dem Schmerz) unterstützen die Arzneitherapie.

Die Migräne ist bei Kindern nur zu einem kleinen Teil von einer Aura begleitet; sie dauert zwischen zwei und 72 Stunden und ähnelt ansonsten weitgehend den Symptomen der Erwachsenen. Hier ist die Gabe von Dimenhydrinat oder Domperidon und von Paracetamol oder Ibuprofen sinnvoll. Bei besonders starken Anfällen kann Imigran 10 mg für Kinder ab 12 Jahren eingesetzt werden.

Es gibt darüber hinaus gute Erfahrung mit Sumatriptan bei jüngeren Kindern. Wachstumsschmerzen in den Unterschenkeln müssen differentialdiagnostisch von anderen Erkrankungen abgegrenzt werden, wenn die Schmerzen überdurchschnittlich stark oder besonders häufig auftreten. Sie sind am besten durch die Massage der Ober- und Unterschenkelmuskulatur zu bekämpfen, die Eltern recht einfach erlernen können. Arzneimittel sind nicht angezeigt. Meist verschwinden die Schmerzen nach wenigen Monaten.

Chronische Bauchschmerzen haben zu 90 bis 95% keine erkennbare Ursache. In solchen Fällen sollen die Eltern und andere enge Bezugspersonen das Kind nicht nach seinen Bauchschmerzen fragen, sie also nicht thematisieren. Das Kind hingegen darf natürlich sagen, dass es Bauchschmerzen hat, und wenn sich das Problem nicht auswächst, muss es lernen, damit umzugehen. Etwa die Hälfte der betroffenen Kinder wird die Beschwerden – mehr oder weniger ausgeprägt – auch im Erwachsenenalter haben.

ADHS – vor allem ein gestörtes Sozialverhalten

Kinder mit ADHS zeigen Aufmerksamkeitsdefizite, einen ausgeprägten Bewegungsdrang und ein gestörtes Sozialverhalten, wie Dr. med. Ullrich Raupp aus Wesel in seinem Vortrag erläuterte. Die Ursachen dieser Erkrankung, die Jungen viermal häufiger betrifft als Mädchen, sind nicht klar zu umreißen. Eine genetische Disposition, Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, Nicotin, Alkohol oder Drogen in der Schwangerschaft, Allergien, zu viel Zucker in der Ernährung, Konservierungs- und Farbstoffe sowie psychosoziale Ursachen spielen eine Rolle. Wenn eine genetische Disposition und pränatale Risikofaktoren vorliegen, ist das familiäre Umfeld entscheidend. Wächst das Kind in einem für seine Entwicklung positiven Umfeld auf, prägt sich die Veranlagung zu ADHS, wenn überhaupt, nur subklinisch aus.

Die Behandlung von Kindern mit ADHS beginnt mit der Aufklärung, Beratung und einem "Training" der Eltern. Mit einer psychotherapeutischen Behandlung der Kinder lassen sich eventuell auftretende Komorbiditäten wie Tic-Störungen, Ängste, Enuresis oder Depressionen in den Griff bekommen. Therapieansätze, die sich in den vergangenen Jahren als ungeeignet erwiesen haben, sind die phosphatarme Diät, Festhaltetherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie und Entspannungsverfahren.

Eine lebenslange Therapie mit Methylphenidat dürfte nur in wenigen Fällen notwendig sein, so Dr. Raupp. Meist reguliert sich das Problem in der Pubertät, weil dann die Jugendlichen, wenn sie ein gutes soziales Netz haben, mit ihrem Problem umzugehen gelernt haben. Im Allgemeinen ist ein Auslassversuch nach zwei Jahren sinnvoll.

Medikamente gegen ADHS

Auf Besonderheiten der medikamentösen Therapie des ADHS ging Prof. Dr. Jörg Breitkreutz aus Düsseldorf ein. Neben den Stimulanzien Methylphenidat und Amphetamin werden auch Atomoxetin, trizyklische Antidepressiva und sogar homöopathische Präparate wie Zappelin®, das unter anderem Calcium hypophosphorosum D4 und Valeriana D6 enthält, eingesetzt.

Der Wirkmechanismus von Methylphenidat ist nicht eindeutig geklärt. Vermutlich stellt es durch eine Hemmung der Wiederaufnahme des Noradrenalins und eine komplette Entleerung der Dopaminspeicher ein gestörtes Gleichgewicht der Neurotransmitter im Gehirn wieder her. Wegen der relativ kurzen Halbwertszeit von nur zwei Stunden müssen unretardierte Präparate alle vier Stunden eingenommen werden.

Als Retardpräparate sind in Deutschland Concerta® und Medikinet® retard zugelassen. Sie haben eine hohe Bioverfügbarkeit, besitzen unbedenkliche und kindgerechte Hilfsstoffe, lassen sich einfach dosieren und sicher und bequem verabreichen. Bei Concerta® befinden sich in der Kapselhülle 22% der Wirkstoffdosis, die rasch anflutet. Im Kapselinneren sind die restlichen 78% von einer semipermeablen Membran umgeben. Tritt Wasser aus dem Magen-Darm-Trakt in das Kapselinnere, löst sich der Wirkstoff allmählich auf und dringt durch eine winzige, mit Laser vorgestanzte Öffnung nach außen. Die Kinetik entspricht etwa der dreimaligen Gabe eines nicht retardierten Präparates. Wegen der langen Wirksamkeit treten aber auch die unerwünschten Wirkungen noch abends auf (s. Kasten).

 

Unerwünschte Wirkungen

Methylphenidat reduziert deutlich den Appetit; diese Wirkung ist bei den meisten ADHS-Kinder unerwünscht, weil sie schlank sind. Der typische Methylphenidatpatient isst abends viel, wenn die Wirkung des Medikaments nachlässt. Das Abendessen sollte reich an Kohlenhydraten sein, da viel Eiweiß und Fett zu Schlafstörungen führen kann, was die ADHS-Effekte wieder verstärkt.

Medikinet® retard enthält Wirkstoff-Mikropellets in der Kapsel, von denen die Hälfte mit einem magensaftresistenten Lack überzogen ist (nicht mit einem "retardierenden" Lack, wie in der Broschüre beschrieben). Bei der Freisetzungskinetik können große individuelle Unterschiede auftreten. Dies liegt insbesondere an den sehr unterschiedlichen pH-Werten im Magen. Zudem beeinflussen Nahrung und Getränke die Resorption in großem Umfang. In den USA wurde ein transdermales Applikationssystem für Methylphenidat entwickelt (MethyPatch®), das aber bislang keine praktische Bedeutung hat.

Nach Meinung von Dr. Raupp sind unretardierte Methylphenidatpräparate für Kinder am besten geeignet, denn die Retardpräparate fluten erst nach etwa 90 bis 120 Minuten an, sodass viele Patienten morgens zusätzlich ein schnelllösliches Präparat nehmen müssen. Außerdem sei der regulierende und erzieherische Effekt der mehrfach täglichen, regelmäßigen Einnahme eines Arzneimittels nicht zu unterschätzen. Nur für Kinder, bei denen das schnelllösliche Methylphenidat überschnell anflutet und der Wirkspiegel innerhalb 90 Minuten wieder deutlich abfällt, seien Retardpräparate sinnvoll.

 

Risiken gering 

Sowohl Prof. Breitkreutz als auch Dr. Raupp schätzen das Risiko hinsichtlich der Hepatotoxizität des Methylphenidats als gering ein. Beide sehen aufgrund der bereits seit 1942 bestehenden Erfahrungen und der Studienlage auch keine Risiken, unter Methylphenidat eine Sucht oder ein Parkinsonoid zu entwickeln.

Atomoxetin umstritten

Atomoxetin (Strattera®) ist in den USA mit großem Erfolg eingeführt worden. Dies liegt nach Ansicht von Dr. Raupp daran, dass Atomoxetin – im Gegensatz zu Methylphenidat – kein Betäubungsmittel ist, denn die amerikanische Gesellschaft habe Vorbehalte gegenüber Betäubungsmitteln, auch wenn sie als Arzneimittel eingesetzt werden.

Wegen der langen Halbwertszeit von Atomoxetin reicht eine einmalige Dosis am Tag aus. Die optimale Wirkung tritt jedoch erst nach etwa vier bis sechs Wochen ein, während Methylphenidat ab dem Tag der ersten Einnahme wirkt. Als Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer kann Atomoxetin suizidales Verhalten begünstigen oder auslösen. Dies hat der Hersteller in einem Rote-Hand-Brief vom 29. September 2005 bestätigt (vgl. DAZ Nr. 40 Seite 56).

Constanze Schäfer

 

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