Meinung

15 Jahre Einigungsvertrag – Ostdeutscher Systemwechsel bewahrt einheitliches deutsches Apothekensystem

Wer sich heute über langsam mahlende bürokratische Mühlen beklagt, wird bei einem Blick zurück auf die "revolutionären Zeiten" von 1990/91 sicher nachdenklich. Unter dem Druck der Ereignisse wurden damals ungeahnte Kräfte wach! Wie im gesamtwirtschaftlichen Gefüge trafen auch im Apothekenwesen fremde Welten aufeinander, nicht so sehr im pharmazeutischen Auftrag, wohl aber in Struktur, Besitzverhältnissen und Ökonomie der Apotheken in den bis dato existierenden zwei deutschen Staaten.

Im Westen galt das Prinzip des Einzelapothekers in seiner Apotheke mit Niederlassungsfreiheit. Im Osten waren Apotheken Bestandteil pharmazeutischer Zentren, die ganze Städte, in ländlichen Regionen ganze Kreise umfassen konnten. Der DDR-Apotheker war bis auf wenige Ausnahmen staatlicher Angestellter. Wesentliche Funktionen der Apotheken waren zentralisiert (z. B. Wareneinkauf, Großherstellung, Qualitätskontrolle).

Aber im Westen wie im Osten stand für den Apotheker der Patient mit seinem Anspruch auf Versorgung, Beratung und Qualität der Arzneimittel im Mittelpunkt der Bemühungen. Nur dieser Anspruch in seiner Gesamtheit rechtfertigte damals in West und Ost die akademische Ausbildung. Diese Prämisse gilt unverändert fort.

Zusammenführung der Systeme

Die unterschiedlichen Apothekensysteme galt es 1990 in kürzester Frist zusammenzuführen, denn zwischen dem "Treuhandgesetz zur Privatisierung des volkseigenen Vermögens der DDR" vom 17. Juni 1990 und der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 lagen gerade zweieinhalb Monate. Den Vätern des Einigungsvertrags gilt noch heute trotz mancher Mängel meine hohe Anerkennung. Ist es ihnen doch gelungen, den rechtlichen Rahmen der Umstellung des staatlichen Apothekenwesens der DDR in das Privateigentum bzw. das Eigentum von Krankenhausträgern (Krankenhausapotheken) zu schaffen. So konnten pragmatische Lösungen ohne größere Brüche in der Versorgung gewährleistet werden. Beispielhaft mag der damals neue § 28 a Apothekengesetz (Buchstabe D, Z. 21 a Einigungsvertrag) genannt werden, der unter Absatz 9 festlegte, dass der Verkauf oder die Verwaltung ehemals staatlicher Apotheken bis zum 31. Dezember 1992 nur an Apotheker aus der DDR erfolgen durfte. Damit wurde erreicht, dass in ganz überwiegender Anzahl die bisherigen Apothekenleiter ihre Apotheken erwerben konnten, ohne sich der Konkurrenz kapitalkräftiger Mitbewerber aussetzen zu müssen.

Neue Rechte und Pflichten

Mit der Privatisierung übernahmen diese Kolleginnen und Kollegen nicht nur neue Rechte im Hinblick auf die organisatorische, strukturelle, ökonomische und personelle Gestaltung ihrer Betriebe, sondern vor allem auch neue Verpflichtungen auf der Basis bundes- und länderrechtlicher Normen. Wurde das Bundesrecht im Arzneimittel-, Betäubungsmittel- und Apothekenrecht mit den Änderungen des Einigungsvertrags in den neuen Ländern übernommen (es musste aber sehr schnell "learning by doing" erfasst und umgesetzt werden), so waren Länderrecht und darauf aufbauend das Recht der neuen Selbstverwaltung zunächst zu schaffen.

Eine der großen Errungenschaften nach der Wiedervereinigung war das Prinzip der Subsidiarität: Was an der Basis geleistet werden kann, soll nicht "von oben" verfügt werden – ein Prinzip, das auch heute bei dem häufig beliebten Ruf nach dem Staat stärkerer Beachtung bedarf.

Dieses Prinzip der Subsidiarität wurde damals auch durch die Apothekerschaft der neuen Länder gelebt und durch sehr viele Kolleginnen und Kollegen sowie Standesorganisationen aus den alten Ländern unterstützt, ohne die der Adaptationsprozess sicher wesentlich verzögert worden wäre.

Bevor zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern 1993 sein Heilberufsgesetz erlassen hatte, gaben sich die hiesigen Apotheker auf Grundlage des Kammergesetzes der DDR vom 13. Juli 1990 eine Hauptsatzung, die eine eigene Standesvertretung rechtlich und praktisch begründete. In gleich verantwortungsbewusster Weise nahmen die Apotheker in Mecklenburg-Vorpommern die Bildung ihrer berufsständischen Versorgung in Angriff und erließen 1991 die Satzung der Apothekerversorgung. Das war gelebte Subsidiarität, die Entschlussfreudigkeit, Sachkenntnis, überregionale Denkweisen, Taktik, Durchsetzungsvermögen und oft auch langen Atem erforderten.

 

Foto: DAZ Archiv
PRINZIP SUBSIDIARITÄT Es zählt zu den großen Errungenschaften nach der Vereinigung – das Prinzip 
Subsidiarität: Was an der Basis geleistet werden kann, soll nicht „von oben“ verfügt werden.

Verantwortung für Demokratieverständnis

Der Blick über den Tellerrand – das war und ist natürlich für viele praktisch tätige Kolleginnen und Kollegen, besonders in strukturschwachen Regionen, ein schwieriges Unterfangen. Diese Feststellung habe ich hin und wieder bestätigt gefunden, wenn es um bundespolitische Entwicklungen, zum Beispiel zur Entlastung der GKV, ging, die dann natürlich Rückwirkungen auf die eigene Apotheke hatten.

Aber auch manche Maßnahmen der Rechtsaufsicht im Bereich der Überwachung durch das Land oder prinzipielle Verfahrensweisen der Kammer im übertragenen Wirkungsbereich (beispielsweise Dienstbereitschaft und Rezeptsammelstellen) fanden und finden nicht immer den Beifall der betroffenen Apotheker. Deshalb waren und sind Aufklärung und demokratische Meinungsbildung unverzichtbar.

Da besonders die Apothekenleiter in ihren Wirkungsbereichen auch Multiplikatoren der öffentlichen Meinungsbildung sein können, trugen und tragen sie Verantwortung für das regionale Demokratieverständnis, sie sind also direkt oder indirekt an der Gestaltung ihres Umfeldes beteiligt. Die Effektivität dieses Handelns hängt natürlich stark von der eigenen Bereitschaft ab, sich einzubringen. Hier sind meines Erachtens noch viele Ressourcen ungenutzt. Sowohl das Ehrenamt außerhalb der Apotheke als auch die Bereitschaft, in Kammer und Verband aktiv mitzuwirken, ist entscheidend für die Funktionalität der Selbstverwaltungsorgane und damit für deren Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Weisheit, dass der Rückzug auf das eigene Tagesgeschäft Aktivitäten zugunsten der Allgemeinheit und damit weiterführenden Gestaltungswillen einengt, ist nicht neu. Glücklicherweise gibt es viele Gegenbeispiele, die sich jedoch in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Kammerversammlung Mecklenburg-Vorpommern überwiegend auf ältere Jahrgänge beschränkte. Aber auch hier hat ein Umdenken eingesetzt. Grundsätzlich muss gelten: "Die Fähigsten in die Kammerversammlung"!

Kammern nicht überfordern

Subsidiarität hat auch ihre Grenzen: Sie endet bei originären hoheitlichen Aufgaben des Staates. Nicht alle Aufgaben im Vollzug des Apothekenrechts dürfen der Standesvertretung zugeordnet werden, auch wenn diese es wünschen sollte. Beispielsweise sind Apothekenbetriebserlaubnisse und Approbationen staatliche Verwaltungsakte, die dem Gebot der bundesweit abgestimmten Gewährleistung des Zuverlässigkeitsprinzips bei der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung verpflichtet sind. Vergessen wir nicht, dass die Kammern in ihrer Doppelfunktion als Interessenvertretung und Behörde nicht überfordert werden dürfen!

Eine Erfolgsstory

15 Jahre nach dem Zusammenschluss der zwei deutschen Staaten ist festzustellen, dass unser Apothekenwesen in ganz Deutschland weder in struktureller Hinsicht noch in der Erfüllung seines Versorgungsauftrags wesentliche Unterschiede aufzeigt. Das ist eine Erfolgsstory, an der nicht nur die durch den Wandel besonders Betroffenen mitgewirkt haben, sondern auch viele Verantwortungsträger und engagierte Mitstreiter anderer Bereiche. Es gibt also Grund für Dank und Anerkennung, auch bei Wichtung der zurzeit gesundheitspolitisch schwierigen Rahmenbedingungen. Allerdings erscheint es geboten, die Struktur des Apothekenwesens im dislozierten niedergelassenen Bereich kritisch zu hinterfragen. Wenn wir zum Beispiel die Bemühungen der Ärzte betrachten, ihre Praxen in verschiedenen Gesellschaftsformen zu optimieren, oder wenn wir die Trägerkonzentration im Krankenhausbereich und die politischen Trends hin zu Gesundheitszentren (Polikliniken) verfolgen, so scheint es geboten, zumindest über alternative Strukturkonzepte zur flächendeckenden hochqualifizierten und ökonomisch sinnvollen Arzneimittelversorgung in der Zukunft nachzudenken.

Klaus-Dietrich Fischer

Klaus-Dietrich Fischer, Apotheker, war von 1965 bis 1990 Apothekenleiter und später Direktor des Pharmazeutischen Zentrums des Medizinischen Dienstes des Verkehrswesens, Direktion Schifffahrt, in der ehemaligen DDR. 1991 bis 2002 war er Referent für Arzneimittel- und Apothekenwesen sowie stellv. Leiter der Gesundheitsabteilung im Sozialministerium Mecklenburg-Vorpommern. Von 2002 bis 2004 deren Leiter. Seit 2005 ist er in Pension.

 

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