Die Seite 3

Große Worte

Klaus G. Brauer

"Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit". Klingt doch richtig schön, die Überschrift über dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Auf 191 Seiten verabschieden sich die ungleichen Partner von ihren unvereinbaren, vollmundigen Versprechungen aus dem Wahlkampf. Schröder hat jetzt die Koalition, die er eigentlich schon 1998 wollte. Aber er verliert sein Amt. Merkel ist dafür die Siegerin im großkoalitionären Krötenschlucken. Aber sie darf Kanzlerin werden. Kein leichter Start: die Staatsverschuldung ist aus dem Ruder gelaufen, der Haushalt verstößt gegen die Verfassung und die Vorgaben der EU, bei der Arbeitslosigkeit ist Besserung nicht in Sicht. Für die unterfinanzierten anderen Sozialkassen (Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung) besteht kaum Hoffnung auf Einnahmeverbesserungen. Dafür wären wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze erforderlich. Die Koalitionsabsprachen geben wenig Anlass, darauf zu hoffen. Im Gegenteil: Vor allem die Mehrwertsteuererhöhung wirkt wie ein Förderprogramm für die Schwarzarbeit.

Immerhin wird im Koalitionsvertrag anerkannt, dass die Finanzierungsprobleme der Krankenversicherung entscheidend auch von der Einnahmeseite abhängen. Die Konzepte zur Lösung des Problems – die "Solidarische Gesundheitsprämie" (CDU/CSU) auf der einen, die "Bürgerversicherung" (SPD) auf der anderen Seite – sind "nicht ohne weiteres miteinander vereinbar", wie selbst im Koalitionsvertrag konzediert wird. Man wolle in 2006 gemeinsam eine Lösung des Problems finden. Darauf zu hoffen, ist allerdings mutig – jedenfalls wenn die Koalition hierbei ähnlich oberflächlich und unüberlegt vorgeht wie bei den Vorhaben, die jetzt als Eilmaßnahme für den Arzneimittelbereich vorgesehen sind. Dort steht auf dem Programm: Verbot der Gewährung von Naturalrabatten an Apotheker, Preissenkung der Generika um 5%, generelles Verbot von Preiserhöhung bei Arzneimitteln für zwei Jahre. Das ist Populismus pur. Von ökonomischem Sachverstand ist es nicht beseelt.

Bei nicht so genauem Hinsehen mag man für ein Verbot, zumindest für eine Beschränkung von Naturalrabatten Verständnis haben. Hier kann sich ein Konflikt mit der Arzneimittelpreisverordnung ergeben. Die Dimension und Bedeutung der Naturalrabatte in der Apotheke wird jedoch maßlos überschätzt. Die meisten Angebote, die die Gemüter erhitzen, stehen auf dem Papier; nutzen lassen sie sich bei ökonomischer Nutzen-Risiko-Abwägung nicht. Entscheidend ist, was hinten heraus kommt – wusste schon Altkanzler Kohl. Selbst unter Einrechnung aller Naturalrabatte ist der Rohertrag der Apotheken durch Beitragssatzsicherungsgesetz und GKV-Modernisierungsgesetz gefährlich gesunken. 2004 betrug er noch 24,3% vom Bruttoumsatz (28,2% vom Umsatz ohne MWSt. – nach 30,3% in 2002). Bei Apotheken mit einem größeren Anteil höherpreisig verordnender Fachärzte (Neurologen, Pulmologen, Diabetologen etc.) ist der Absturz noch heftiger. Von 100 Euro Umsatz bleibt der Durchschnittsapotheke inzwischen noch ein betriebswirtschaftliches Ergebnis von 40 Cent.

Schlimmer noch: Die nur noch für verschreibungspflichtige Arzneimittel geltende neue Arzneimittelpreisverordnung erlaubt im GKV-Sektor keine Kostendeckung mehr. Die Mengenentwicklung in diesem Sektor lässt eine weitere Verschärfung erwarten. Wir werden noch zu spüren bekommen, was es heißt, bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln weitgehend von der Entwicklung des Marktes abgekoppelt und auf eine Anpassung der Margen durch die Politik angewiesen zu sein.

Aufmerksamkeit verdient auch die bisher nicht beachtete Aussage im Koalitionsvertrag, es solle geprüft werden, wie eine Verwendung von nicht verabreichten Opiaten und anderen Medikamenten nach dem Tod eines Patienten in Hospizen und Heimen möglich wird. Hier stellen sich viele pharmazeutische und rechtliche Fragen. Sie zu übergehen, wäre fahrlässig. Man könnte sie aber wohlwollend prüfen, wenn die Arzneimittel nur in der Obhut von sachkundigem Pflegepersonal waren und wenn die heimversorgende Apotheke erneut zwischengeschaltet wird, um Verwechselungen und Qualitätsmängel auszuschließen (was, nebenbei gesagt, wie bei der Erstabgabe mit der Packungspauschale honoriert werden müsste).

Reformaktionismus ohne nüchterne Politik-Folgenabschätzung – das war nicht erst seit Rot-Grün das Markenzeichen der bundesdeutschen Gesundheitspolitik. Dass sich gerade die Große Koalition aus dieser Tradition verabschiedet, war und ist kaum zu erwarten. Zu erwarten ist eher, dass auch diese Koalition versuchen wird, am Arzneimittelsektor ihr Mütchen zu kühlen. Wären doch nur alle Sektoren so wunderbar transparent wie der Arzneimittelbereich!

Klaus G. Brauer

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