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Koalitionsverhandlungen: Union und SPD vertagen Gesundheitsreform

BERLIN (ks). Über eine gemeinsame Gesundheitsreform werden Union und SPD wohl erst im kommenden Jahr entscheiden. Der bayerische Staatskanzleichef Erwin Huber (CSU) sagte am Rande der Koalitionsverhandlungen am 7. November in Berlin, der Bereich Gesundheit werde zwar nicht komplett aus den Koalitionsverhandlungen ausgeklammert, über Strukturveränderungen werde man "aber sicherlich weiter beraten müssen" – voraussichtlich im Jahr 2006.

Es war eigentlich absehbar: Das Gesundheitsprämienmodell der Union und das Bürgerversicherungskonzept der SPD sind nicht unter einen Hut zu bekommen. Tagelang diskutierten die Fachpolitiker der Arbeitsgruppe Gesundheit, wie man dennoch Reformen auf den Weg bringen kann. Handfeste und richtungsweisende Ergebnisse blieben allerdings bislang aus. Das gleiche gilt für die Pflege.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wies am 4. November darauf hin, dass die Gesundheitspolitik "einer der schwierigsten Gestaltungsbereiche" sei. Dennoch kämen die Verhandlungspartner von CDU/CSU und SPD einschließlich der Länder in der zuständigen Arbeitsgruppe Schritt für Schritt voran. "Zu Pessimismus besteht kein Anlass", betonte Schmidt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Olaf Scholz, erklärte am 
7. November, man sei bei den Themen Gesundheit und Pflege zwar in vielen Bereichen sehr weit gekommen, aber auch er bestätigte, dass man sich in punkto Finanzierung nicht einig werden konnte. Und so ist kaum zu erwarten, dass am Ende der Woche detaillierte Ziele zur Gesundheitspolitik in den Koalitionsvertrag fließen.

Gemeinsame Ziele abseits der Finanzierung

Ende vergangener Woche sickerte durch, dass die Großkoalitionäre im Arzneimittelbereich erneut auf Kostendämpfung setzen (siehe AZ Nr. 45/2005, S. 1). So sollen unter anderem Naturalrabatte verboten werden und die Arzneimittelpreise für zwei Jahre festgeschrieben werden. Einigkeit konnte auch darüber erzielt werden, dass die Prävention weiter ausgebaut werden soll – die Arbeit am Präventionsgesetz, das vor der Wahl im Vermittlungsausschuss des Bundesrats hängen geblieben war, soll alsbald wieder aufgenommen werden. Auch die Umstrukturierung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in eine moderne Arzneimittel-Agentur soll vorangebracht werden. Bei den Arzthonoraren wollen SPD und Union ebenfalls Veränderungen vornehmen. Dabei soll die Arbeit der Ärzte stärker pauschal vergütet werden. Auch die Möglichkeiten zum Abschluss von Einzelverträgen zwischen Kassen und Ärzten sollen ausgebaut werden. Beide Parteien wollen zudem die Privatversicherungen dazu anhalten, für eine Übertragbarkeit der Altersrückstellungen zu sorgen. Darüber hinaus sollen Fusionen zwischen gesetzlichen Kassen unterschiedlicher Art erlaubt werden.

Kinderversicherung aus Steuermitteln

Was Finanzierungsfragen betrifft, zeichneten sich zu Wochenbeginn allerdings nur wenige Einigungschancen ab. So steht etwa die teilweise Abschaffung der kostenlosen Mitversicherung von Ehepartnern zur Disposition. Vorbild ist das Ehegattensplitting des Einkommensteuerrechts. Betroffen wären Paare, bei denen der Alleinverdiener brutto mehr als 3525 Euro im Monat verdient. Weitgehende Einigkeit soll auch darin bestehen, die Kinder-Mitversicherung künftig aus Steuergeldern zu finanzieren. Dies würde den Bundesetat um zwölf bis 15 Mrd. Euro jährlich belasten – die Beitragssätze der gesetzlichen Kassen könnten aber um bis zu zwei Prozent sinken.

Höhere Mehrwertsteuer kommt

Während man in der Gesundheitspolitik noch vor vielen offenen Fragen steht, konnte in einigen anderen Bereichen Einvernehmen erzielt werden. So soll etwa das gesetzliche Renteneintrittsalter allmählich von 65 auf 67 Jahre steigen. Absehbar ist zudem, dass die Mehrwertsteuer erhöht wird – voraussichtlich auf 19 Prozent. Eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Arzneimittel, wie ihn viele Beteiligte des Gesundheitswesens fordern, ist offenbar kein Thema bei den Großkoalitionären. Angesichts des Milliarden-Haushaltslochs wird der Bund kaum auf diese Einnahmen verzichten wollen, auch wenn die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Kassen durch eine höhere Mehrwertsteuer weiter wachsen werden. Die SPD – im Wahlkampf strikte Gegnerin einer Mehrwertsteuererhöhung – will im Gegenzug dafür sorgen, dass auch die Reichen stärker zur Kasse gebeten werden.

Im SPD-Wahlmanifest war die Rede davon, Einkommen ab 250.000 Euro/Jahr (Ledige) bzw. 500.000 Euro/Jahr (Verheiratete) mit einer Sondersteuer von drei Prozent zu belegen – zu Wochenbeginn war ein um drei Prozent erhöhter Spitzensteuersatz ab einem Jahreseinkommen von 130.000 Euro für Ledige und ab 260.000 Euro für Verheiratete im Gespräch. Der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) wies allerdings zurück, dass die SPD die "Reichensteuer" zur Bedingung für eine höhere Mehrwertsteuer mache. Einig wurden sich die Verhandlungspartner auch darüber, dass die Ausgaben für Forschung schrittweise erhöht werden sollen. Vom Jahr 2010 an sei geplant, drei Mrd. Euro für Forschung in Deutschland auszugeben, sagte CDU-Generalsekretär Volker Kauder. Auf dem Weg dahin solle dieses Ziel in den Haushalten nach und nach erreicht werden.

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