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Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft: Droht eine Influenza-Pandemie?

Eine kritische Bilanz der Diskussion um die drohende Influenza-Pandemie zog Prof. Dr. Theo Dingermann in seinem Vortrag am 25. Oktober 2005 im Biozentrum der Universität Frankfurt. Die Vortragsveranstaltung, die mit mehr als 400 Besuchern bestens besucht war, fand zu Ehren von Prof. em. Georg Schneider statt. Die hessische DPhG-Landesgruppe und die LAK Hessen hatten eingeladen, um dem früheren Ordinarius für Pharmazeutische Biologie nachträglich zu seinem 80. Geburtstag zu gratulieren.
Foto: Stark
Volles Haus: Die Festveranstaltung zum 80. Geburtstag von Professor Georg Schneider (1. Reihe, 2. v. li.) war sehr gut besucht.

 

Influenza-Epidemie unterschätzt

Viel konkreter als eine Pandemie ist – wie in jedem Jahr um diese Zeit – eine drohende Influenza-Epidemie. Diese Gefahr wird aber offensichtlich wie in jedem Jahr unterschätzt. Dabei ist die Zahl derjenigen, die an einer Virusgrippe sterben, dramatisch hoch. In der letzten Saison waren dies beispielsweise 15.000 bis 20.000 Deutsche. Zu großen Teilen wäre dies mit Sicherheit vermeidbar gewesen, hätte man die Impfempfehlungen der STIKO ernster genommen.

Zwischenzeitlich zählt die jährliche Influenza-Impfung zur Standardimpfung für Personen ab 60 Jahren. Sie ist darüber hinaus auch als berufliche Indikationsimpfung für Personen mit erhöhter Gefährdung, z. B. medizinisches Personal, und als Indikationsimpfung für Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen mit einer erhöhten gesundheitlichen Gefährdung infolge eines Grundleidens – wie z. B. chronische Lungen-, Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, Immundefizienz, HIV-Infektion – sowie für Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen eingestuft.

Die Influenza-Impfrate ist dennoch erschreckend niedrig, wobei gravierende Defizite besonders in den alten Bundesländern auffallen. Ein möglicher Grund, so Dingermann, mag darin liegen, dass man sich vielleicht zu sehr auf die verfügbaren modernen Neuraminidasehemmer verlasse. Diese sind zwar in Therapie und Prophylaxe wirksam, wie kürzlich zusammenfassend im New England Journal of Medicine berichtet wurde (A. Moscona [2005]. N. Engl. J. Med. 353, 1363 - 73).

Allerdings schützen diese Wirkstoffe in erster Linie vor einer Ausbreitung der Infektion, wohingegen die Beeinflussung des direkten Krankheitsgeschehens eher bescheiden ausfällt. Zudem wurde ein erster Fall von Oseltamivir-Resistenz beschrieben, was auch dazu anregen sollte, eine zusätzliche Bevorratung mit Zanamivir in Erwägung zu ziehen.

Pandemieplan

Obwohl es derzeit keinerlei Anzeichen für eine bevorstehende Pandemie gibt, lohnt es sich, über den Ernstfall nachzudenken und entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Deutschland hat sich dieser Forderung gestellt, indem ein detaillierter Pandemieplan erstellt wurde, dessen Lektüre auch für Apothekerinnen und Apotheker lohnenswert ist (www.rki.de/cln_011/nn_514600/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/Influenzapandemieplan.html).

Eine Pandemie könnte auftreten, wenn das Vogelgrippe-Virus durch einen Antigenshift seine Wirtsspezifität an den Menschen anpassen würde. Influenza-A-Viren enthalten segmentierte RNA-Genome, die sich bei einer simultanen Infektion eines Tieres oder eines Menschen mit einem humanen Grippevirus und einem Vogelgrippe-Virus neu kombinieren können. Dadurch ist es möglich, dass neuartige Viren entstehen, auf die das humane Immunsystem nicht vorbereitet ist.

H5N1-Virus extrem pathogen

Beunruhigend ist die Tatsache, dass das sich derzeit rasant ausbreitende Vogelgrippe-Virus vom Typ H5N1 extrem pathogen ist. 50% der bisher Infizierten sterben, und zwar innerhalb weniger Stunden bis Tage nach Auftreten der Symptome. Hohes Fieber, wässriger Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, Blutungen aus Mund und Nase, Atemnot, Tachypnö, Pneumonie sowie postmortal festgestellte blutig gefärbte, schaumige Flüssigkeit in der Lunge sind typische Symptome.

Das H5N1-Virus ist so pathogen, dass selbst eine effiziente Propagierung in angebrüteten Hühnereiern zur Herstellung eines Impfstoffs nicht möglich ist. Erst gezielt selektionierte Reassortanten, die nur die relevanten Neuraminidase- und Hämagglutinin-Segmente der H5N1-Variante enthalten, sind als Impfkeime für eine Impfstoffherstellung geeignet. Alternativ lassen sich auch rekombinante Antigene herstellen, für die allerdings derzeit wegen der Vorgaben des Gentechnikgesetzes in Deutschland noch keine Produktionsmöglichkeiten bestehen.

Impfverbot von Hühnern überdenken

Das Paul-Ehrlich-Institut hat der Bundesregierung eine Strategie zur Bereitstellung eines Pandemie-Impfstoffes für den Ernstfall empfohlen. Dieser Impfstoff wird – im Gegensatz zu den derzeitigen Spaltimpfstoffen – ein inaktivierter Virusimpfstoff sein, der zudem ein Adjuvans enthält. Mit einem solchen Impfstoff müsste zweimal geimpft werden, um einen sicheren Schutz zu entwickeln.

Ebenfalls zu überdenken wäre das in der Europäischen Union geltende Impfverbot von Hühnern. Durch eine solche Impfung, die in China bereits praktiziert wird, könnte die Ausbreitung der Vogelgrippe eingedämmt werden, und man könnte sich das prophylaktische Keulen Hunderttausender von Hühnern, Enten und Gänsen ersparen. Als Argument für das Impfverbot wird von Politikern vorgebracht, dass bei geimpften Tieren die immunologische Prüfung einer möglichen Infektion nicht mehr möglich sei. Allerdings lassen sich diese Bedenken durch moderne Impfstrategien leicht entkräften.

Die intensive Diskussion des Vortrags klärte noch offen gebliebene und weitergehende Fragen, mit denen die Kolleginnen und Kollegen in ihren Apotheken konfrontiert werden. Zum Schluss betonte Dingermann noch einmal, dass man die kommende Influenza-Epidemie mindestens genauso ernst nehmen solle wie eine denkbare Influenza-Pandemie. Panik sei unangebracht, was jedoch nicht bedeutet, dass man sich nicht mit dem Problem auseinandersetzen solle.

Prof. Dr. Holger Stark, Frankfurt

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