DAZ aktuell

Barmer setzt weiter auf Präsenzapotheke (DAZ-Interview)

hvj | Während es seitens der deutschen Apotheker vermehrt kritische Stimmen zum Barmer Hausarzt-/Hausapothekenvertrag gibt (s. DAZ Nr. 38/2005, S. 40), sind solche Töne von den Verantwortlichen der Barmer Ersatzkasse derzeit nicht zu hören. Werden die Bedenken der Apothekerschaft geteilt oder ignoriert? Sieht man sich auf dem richtigen Weg? Und wohin führt diese erste sektorübergreifende Patientenversorgung? Die DAZ hat sich mit Detlef Böhler, Abteilungsleiter ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung der Barmer und Mitinitiator dieser ersten integrierten Versorgungsform, unterhalten.

DAZ

Herr Böhler, ist die Barmer mit dem Projekt des bundesweiten Hausarzt-/Hausapothekenvertrags zufrieden?

Böhler:

Über 1,4 Millionen Barmer-Versicherte haben sich bis jetzt eingeschrieben. Das bedeutet, beinahe ein Viertel aller teilnahmeberechtigten Mitglieder nimmt dieses Angebot wahr. Des Weiteren kooperieren über 80 % der öffentlichen Apotheken mit uns. Wir sehen das als einen großen Erfolg an.

DAZ

Wobei sich die Begeisterung bei den Apothekern mittlerweile in Grenzen hält.

Böhler:

Es wäre fatal zu glauben, es mit diesem ersten Hausapothekenvertrag allen Beteiligten von Anfang an recht machen zu können. Doch etwas verwunderlich finde ich die Reaktionen einiger Apotheker schon.

DAZ

Was konkret meinen Sie?

Böhler:

Es ist doch noch gar nicht lange her, da wurde von der gesamten Apothekerschaft die Genehmigung des Versandhandels von Arzneimitteln als Anfang vom Ende der freiberuflichen Individualapotheke gesehen. Auch gab es einen großen Aufschrei unter Ihren Kollegen, nachdem einige Krankenkassen ihren Mitgliedern empfohlen hatten, bei ausländischen Apotheken ihre Medikamente zu beziehen. Jetzt initiiert die Barmer zusammen mit dem Deutschen Apothekerverband in Form des Hausarzt-/Hausapothekenvertrages erstmalig eine Aktion mit einem klaren Bekenntnis gegen die Versand- und für die Präsenzapotheke, und schon gibt es wieder Kritik. Irgendwie ist das nicht so ganz verständlich, oder?

DAZ

So ganz stimmt das nicht. Die Kritik richtet sich doch hauptsächlich gegen die angeblich zu geringe Entlohnung und nicht grundsätzlich gegen dieses Projekt?

Böhler:

Ich habe in dem oben erwähnten Artikel (DAZ Nr. 38/2005, S. 40) keinen konkreten Alternativvorschlag hierfür gelesen. Welchem Betrag entspräche denn eine angemessene Honorierung – den Imagegewinn der Apotheker, die Kundenbindung und die Vorteile unserer Kooperationsverträge mit den führenden Generikaherstellern für Lagerhaltung usw. natürlich gegengerechnet?

DAZ

Wie hoch würden Sie denn den Imagegewinn für die Apotheker ansetzen?

Böhler:

Sehr hoch, denn die Vereinbarung mit der Barmer ist doch das beste Argument für Ihren Berufstand, um der ständigen Polemik gegen Apotheker ("Schubladenzieher", "Distributeure") entgegentreten zu können. Pharmazeutische Betreuung und Beratung sind Kernkompetenzen der Apotheker. Und der Barmer-Vertrag erkennt dies nicht nur an, er vergütet sogar erstmalig die entsprechenden Apothekerleistungen.

DAZ

Es wird Ihrerseits aber nicht bestritten, dass der vom Apotheker betriebene Aufwand für das Erstellen und Pflegen eines Medikamentenprofils mit dem aktuellen Honorar nicht abgedeckt werden kann?

Böhler:

Unbestritten ist, dass das gepflegte Medikamentenprofil eines chronisch Kranken dazu beitragen kann, die medizinische Versorgungsqualität und die Arzneimittelsicherheit zu verbessern und die Ausgaben zu optimieren, daran wollen wir den Apotheker angemessen beteiligen. Doch hat diese Dienstleistung der Apotheken auch einen anderen Aspekt: Ausländische Versandapotheken bieten das Führen solcher Medikamentenprofile schon seit längerem an, freiwillig und ohne Honorar. Mit unserem Vertrag haben wir hier Chancengleichheit für deutsche Apotheken geschaffen, indem jetzt jede Barmer Hausapotheke hier das gleiche Leistungsspektrum anbietet. Die strategische Bedeutung des Vertrages ist doch nicht so schwer ersichtlich.

DAZ

Warum arbeitet dann die Barmer nicht mit Versandapotheken, sondern mit den deutschen Apotheken vor Ort zusammen?

Böhler:

Es gibt viele Gründe, warum wir uns für das bewährte System der Präsenzapotheken entschieden haben. Das Qualitätssiegel "Barmer Hausapotheke" verbindet in bundesweit einmaliger Weise Pluspunkte: Mit ihrem "Arzneiservice" hilft die Barmer Hausapotheke u. a. Versicherten, ihre Medikation (eingeschlossen die Selbstmedikation) über einen längeren Zeitraum durch einen Apotheker seines Vertrauens vor Ort bewerten zu lassen. Aufbauend auf dem Arzneiservice bietet die Hausapotheke Patientengruppen ein pharmazeutisches Management an. Davon profitieren zum Beispiel Asthmapatienten, die mit Hilfe des Apothekers die Anwendung ihres Inhalators trainieren können.

DAZ

Sehen Sie einen Qualitätsunterschied zwischen Barmer Hausapotheken und anderen, die an diesem Vertrag nicht teilnehmen?

Böhler:

Prinzipiell ist hier kein Zusammenhang zu sehen, denn die Qualität einer Apotheke richtet sich an den verschiedensten Kriterien aus. Lassen sie es mich so sagen, eine Barmer Hausapotheke garantiert die vereinbarte Qualität und den abgestimmten Service.

DAZ

Ist die Kommunikation zwischen den am Hausarzt-/Hausapothekenvertrag teilnehmenden Ärzten und Apothekern nicht noch verbesserungsfähig. Die Ärzte können nicht immer wissen, in welcher Apotheke ihre Patienten eingeschrieben sind. Im Gegensatz zu anderen Systemen wie Payback arbeitet man bei diesem Kooperationsprojekt noch "offline". Was ist hier geplant?

Böhler:

Der Vertrag fördert die Kooperation zweier Heilberufe, die sich bisweilen auch kritisch gegenüberstanden. Bei 18.000 eingeschriebenen Apotheken und über 36.000 teilnehmenden Hausärzten muss das Miteinander zunächst geübt werden. Dies hat sicherlich seine Zeit gebraucht. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Kommunikation laufend verbessern wird. Technisch werden durch die Einführung des elektronischen Rezeptes Verbesserungsmöglichkeiten entstehen

DAZ

Nun haben Sie die Apotheker durch den Hausarzt-/Hausapothekenvertrags zu kostenlosen Homeservice und Rabatten verpflichtet, was vielen Apothekern sauer aufstößt. Musste das sein?

Böhler:

War es nicht die Argumentation Ihrer Standesvertretung u. a. auch gegen den Versandhandel, dass kostenlose Arzneimittellieferungen bis ans Krankenbett von den Apothekern im Einzelfall eine Selbstverständlichkeit für jede Apotheke sind? Gibt es denn hier wirklich Auswüchse der Bequemlichkeit von unseren Versicherten, die den Apothekern Serviceleistungen in unangemessener Weise abverlangen? Mir ist in dieser Hinsicht kein Fall bekannt. Zu den Rabatten: Nicht wir, sondern der Gesetzgeber hat die Preisbindung für OTC-Präparate abgeschafft. Dies zu ignorieren, wäre realitätsfremd. Unsere Vereinbarung mit dem Deutschen Apothekerverband stufe ich als moderat und als nicht ruinös für die Apotheken ein. Darüber hinaus gewähren in der täglichen Praxis viele Apotheken ihren Kunden über unsere Vereinbarung hinausgehende Einkaufsvergünstigungen.

DAZ

Was dürfte denn Ihrer Meinung nach in erster Linie die über eine Million Versicherten zur Teilnahme am Hausarzt-/Hausapothekenvertrag bewegt haben? Vielleicht der Erlass der Praxisgebühr?

Böhler:

Zu dieser Frage liegen noch keine konkreten Ergebnisse vor, aber so viel lässt sich jetzt schon sagen: Bestimmt nicht der kostenlose Homeservice und die in Aussicht gestellten Rabatte in der Apotheke. Nein, vielmehr glaube ich, dass bestehende Vertrauensbeziehungen zu den Apothekern vertieft werden wollten, weiterhin ein sehr großes Interesse an Arzneimittelsicherheit besteht und die Bevölkerung eine noch hochwertigere pharmazeutische Betreuung wünscht. Auch sei hier erwähnt, dass eine hervorragende Öffentlichkeitsarbeit des Trios Hausapotheke, Hausärzte und Barmer seit Dezember 2004 dieses Projekt unterstützt hat.

DAZ

Also ist dieser Vertrag doch der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Apothekerschaft und der Barmer?

Böhler:

Die Barmer und die deutschen Apotheker verbinden viele gemeinsame Projekte, u. a. auch die Prävention und Gesundheitsförderung. Der von der Barmer ausgelobte Erfolgsbonus für gesundheitsbewusstes Verhalten basiert z. B. auf Check-up-Ergebnissen, die in Barmer Hausapotheken erworben werden. Dieser Weg ebnet hunderttausend gesunden Menschen den Weg in die Apotheken. Ein neuer Kundenkreis entsteht.

DAZ

Es ist noch gar nicht lange her, da war das Verhältnis zwischen Apothekern und Krankenkassen sehr belastet. Ist mit dem Barmer Hausapothekenmodell eine neue Epoche des harmonischen Miteinanders eingeläutet worden?

Böhler:

Ob es eine neue Epoche des harmonischen Miteinanders ist, weiß ich nicht. Wir befinden uns in einer Vertragspartnerschaft, in der trotz manchmal abweichender Interessen konstruktiv und vertrauensvoll Lösungen zu Gunsten unserer Versicherten und der Kunden der Apotheken gesucht und umgesetzt werden.

DAZ

Herr Böhler, wir danken für dieses Gespräch!

Detlef Böhler arbeitet seit 1981 bei der Barmer Ersatzkasse. Seit 1988 ist er in der Hauptverwaltung tätig. 1995/1996 war Detlef Böhler für fast ein Jahr zum Bundesministerium für Gesundheit unter Minister Seehofer nach Bonn abgeordnet. Seit 1999 leitet er die Abteilung "Allgemeine Leistungen" und seit 2001 der Abteilung "Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Arznei- und Heilmittel".

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.