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Neuraminidasehemmer – gefährliche Off-label-Verordnung (Kommentar)

Die Angst vor der Vogelgrippe treibt die Menschen scharenweise in die Arztpraxen. Sie lassen sich gegen Influenza impfen, viele in der trügerischen Hoffnung, so vor dem gefährlichen Vogelgrippevirus geschützt zu sein. Und sie verlangen nach den in allen Medien immer wieder vorgestellten Grippemitteln, den Neuraminidasehemmern Tamiflu® und Relenza®. Das ist nur zu verständlich, zumal ständig darauf hingewiesen wird, dass die bisherige Vorsorge nicht reicht. Die Bundesregierung hat für 10 % der Bevölkerung Medikamente geordert. Das Robert Koch-Institut fordert eine Bevorratung für 20 % der Bevölkerung und betont, dass im Ernstfall in jedem Fall Prioriäten gesetzt werden müssten. Grippemittel für alle werde es nicht geben. Selbst wenn genügend Grippemittel produziert werden könnten, sie wären schlicht und ergreifend unbezahlbar. Vorsorge ist also höchstens für diejenigen getroffen, die Krankenversorgung und öffentliche Ordnung sicherstellen müssen.

Wer möchte sich angesichts dieses Szenarios noch auf die Politik verlassen? Da versucht man doch lieber selbst, sich für den Ernstfall zu rüsten und bittet den Arzt um eine Verschreibung der Präparate. Für die Ärzte ist das nicht unproblematisch. Oseltamivir (Tamiflu®) ist nur zugelassen zur Therapie bei Influenzasymptomen und zur Prophylaxe, wenn Kontakt zu Influenzakranken bestand, Zanamivir (Relenza®) nur zur Influenzatherapie. Möchte ein Patient vorsorgen, muss der Arzt den Neuraminidasehemmer "off-label", also außerhalb der zugelassenen Indikation, auf Privatrezept verordnen. Das geschieht immer häufiger und ist nicht ohne Gefahren. Vielleicht wird noch darauf hingewiesen, vor Einnahme Rücksprache mit dem Arzt zu halten. Doch im Regelfall muss davon ausgegangen werden, dass bei den ersten Erkältungssymptomen vorschnell nach dem Wundermittel gegen Grippe gegriffen wird. Im günstigsten Fall wird dann der Neuraminidasehemmer eingesetzt, ohne dass eine Influenzainfektion vorliegt. Das ist angesichts der knappen Ressourcen schon schlimm genug.

Hat sich allerdings der Patient mit einem hochgefährlichen Influenzavirus infiziert, müsste er so schnell wie möglich isoliert werden. Behandelt er sich stattdessen selbst, kann er das Virus weiter verbreiten, denn auch unter einer Therapie mit Neuraminidasehemmern ist der Betroffene infektiös. Darüber hinaus gibt es noch eine weitere nicht zu unterschätzende Gefahr der "Off-label-Gabe", vor der das Robert Koch-Institut warnt: Die unkontrollierte Einnahme der Neuraminidasehemmer könne die Bildung von Resistenzen gegen Human-Influenzaviren fördern. Es rät daher von der Off-label-Verordnung ab.

Vor diesem Hintergrund ist die jetzt praktizierte Off-label-Verordnung zumindest fahrlässig. Sinn und Zweck der Verschreibungspflicht wird ad absurdum geführt, Bemühungen um einen optimalen Infektionsschutz werden so konterkariert. Was könnte man tun? Eine praktikable Lösung könnte so aussehen: Die off-label verordneten Neuraminidasehemmer werden ortsnah in einer Apotheke für den Patienten hinterlegt und erst abgegeben, wenn

  • von ärztlicher Seite grünes Licht gegeben wurde
  • ein in der Apotheke durchgeführter Schnelltest eine Influenza-Infektion bestätigt oder
  • im Rahmen des Pandemieplans eine Prophylaxe indiziert ist. 

Damit wäre dem Patienten gedient, der Arzneimittelsicherheit und dem Infektionsschutz.

Doris Uhl

Dr. Doris Uhl, Stuttgart, ist Apothekerin und freie Mitarbeiterin der Deutschen Apotheker Zeitung

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