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Geld sparen mit Verblistern (DAZ-Interview)

(diz). Die zur kohl-Gruppe gehörende assist Pharma ist angetreten, Arzneimittel im Auftrag von Apotheken zentral zu verblistern. Mit der Verblisterung soll letztendlich eine patientenindividuelle Arzneimittelversorgung ermöglicht und gleichzeitig Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden. Wir sprachen darüber mit Edwin Kohl, Inhaber und Geschäftsführer der kohl-Gruppe, zu der auch das Re-Importunternehmen kohlpharma gehört.

 

DAZ:

Herr Kohl, assist Pharma sorgt für Gesprächsstoff. Sie haben dieses Unternehmen gegründet, um den Apotheken eine patientenindividuelle Verblisterung anzubieten. Wo liegt Ihrer Ansicht nach der Bedarf? Gibt es hierfür tatsächlich einen Markt?

Kohl:

Ich bin mir ganz sicher, dass es großen Bedarf nach individuell verblisterter Medikation gibt und dass dieser Bedarf noch gewaltig wachsen wird. Sonst hätte ich assist Pharma nicht gegründet.

Wir alle wissen, dass die Zahl der älteren Menschen rapide ansteigt und dass wir unter anderem auch deshalb mit immer weiter verbreiteten chronischen Erkrankungen fertig werden müssen. Die Zahl der über 80-Jährigen wird von heute etwa drei Millionen auf über neun Millionen in 2050 ansteigen. Im arithmetischen Mittel sind dies über 130.000 neue Mitglieder per annum im Club der über 80-Jährigen. Es kommt also jedes Jahr die Bevölkerung einer Stadt wie Saarbrücken hinzu.

Viele Aufgaben des täglichen Lebens können alte Menschen noch sehr lange selbst oder mit geringer Hilfe bewältigen. Die richtige Medikamenteneinnahme ist aber mitunter schwierig. Oft müssen vier, fünf oder mehr Arzneimittel zu unterschiedlichen Zeiten in der richtigen Menge eingenommen werden. Da kommt schnell etwas durcheinander. Folge ist eine nur noch beschränkte Compliance.

Folge ist dann auch, dass sich die gesundheitliche Situation der alten Menschen verschlechtert. Krankenhauseinweisungen oder eine intensivierte ambulante Therapie werden unvermeidlich und es entstehen zusätzliche Kosten. Jeder Apotheker weiß aus eigener Erfahrung, was Non-Compliance auslösen kann. Nehmen wir den Diabetes mellitus - die verbreitetste und teuerste chronische Krankheit. Schätzungen der International Diabetes Federation zufolge wird sich die Zahl der diagnostizierten Krankheitsfälle in Deutschland von heute fünf bis sechs Millionen auf etwa zehn Millionen innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln. Und damit verdoppeln sich auch die Kosten. Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, die Compliance zu vernachlässigen. Es ist kein Geld für die Folgekosten da.

DAZ:

Aber die alten Menschen werden doch auch von Familienmitgliedern oder professionellen Pflegekräften betreut. Der menschliche Kontakt ist doch viel besser als eine anonymisierte Verabreichung.

Kohl:

Völlig richtig. Der menschliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Aber er ist - wenn die Familie nicht zur Verfügung stehen kann - sehr teuer. Heute stehen im Bundesgebiet etwa 700.000 Plätze in Altersheimen zur Verfügung. Eine wesentlich größere Zahl ist kaum finanzierbar. Auch für die häusliche Versorgung werden die finanziellen Mittel immer knapper. Es gibt nur einen Ausweg: Wir müssen die Betreuer, wo es irgend geht, entlasten. Und die individuelle Verblisterung ist ein Beitrag hierzu.

Schweden gibt uns ein Beispiel. Dort werden zurzeit ca. 160.000 zumeist ältere Patienten mit individuell verpackten Medikamenten versorgt. Nach zehnjähriger Erfahrung hat man dort ermittelt, dass sich diese Patienten durchschnittlich 5 bis 6 Monate länger zuhause versorgen können und damit keine Kosten für einen Altenheimplatz verursachen. Die Ersparnisse für das Sozialversicherungssystem sind erheblich - ganz abgesehen von der gewonnenen Lebensqualität!

Als nächstes will man in Schweden die Patientengruppe der psychisch Kranken in die individuelle Verblisterung einbeziehen. Man verspricht sich davon, dass die bessere Compliance bei dieser in der Regel noch berufstätigen Zielgruppe die Krankheitstage und damit Kosten auf Seiten des Arbeitgebers und des Gesundheitssystems erkennbar verringert.

DAZ:

Für dieses Versorgungskonzept brauchen Sie aber auch den Arzt und Apotheker. Wie sollen die eingebunden werden? Sollen auch Versandapotheken einbezogen werden?

Kohl:

Der Arzt ist sicherlich wichtig, aber für uns sind der Apotheker und die Apothekerin das entscheidende Bindeglied zum Patienten. Seit je her ist die optimale Versorgung des Patienten mit Arzneimitteln die klassische Apothekenaufgabe. Die Apothekerschaft fordert seit Jahrzehnten, hier eine bedeutendere Rolle zu übernehmen.

Mit der Blisterversorgung wird der Apotheke diese originäre Rolle wieder zuerkannt: Sie kontrolliert die Rezepte auf eventuell bestehende Wechselwirkungen, Doppelverordnungen oder Kontraindikationen. Nötigenfalls nimmt sie Rücksprache mit dem Arzt.

Die Apotheke bestellt wöchentlich den Blister für die jeweilige Folgewoche und führt das gesamte Restmengen-Management durch. Sie ist es auch, die bei auslaufenden Verordnungen mit dem Arzt wegen Folgeverordnungen Kontakt aufnimmt. In den seltenen Fällen, in denen der Arzt eine Medikation ändert, obwohl der Wochenblister schon ausgeliefert wurde, liefern wir Hilfsmittel, mit denen der Blister u. U. beim Patienten geöffnet, der Inhalt entnommen oder hinzugefügt und der Blister anschließend wieder verschlossen werden kann.

Selbstverständlich rechnet die Apotheke auch die Blister mit der Krankenkasse ab - tablettengenau! Natürlich werden wir den Apotheker für die Mehrarbeit mit einer entsprechend komfortablen Software unterstützen. Hier liegt einer der Schlüssel für den Erfolg des neuen Geschäftsmodells. Wir werden in enger Abstimmung mit erfahrenen Apothekern und Apothekerinnen eine maßgeschneiderte Software erarbeiten und ständig verbessern.

Die individuelle Verblisterung können wir nur zusammen mit dem Apotheker und der Apothekerin realisieren. Sie haben den direkten Kontakt zum Patienten, den wir dafür brauchen. Der Versandhändler z. B. wäre zu weit weg vom Patienten. Das Konzept steht und fällt eindeutig mit der Kooperationsbereitschaft der Apotheken.

DAZ:

Können Sie garantieren, dass der Inhalt der Blister genau der Bestellung der Apotheke entspricht?

Kohl:

Ja, das garantieren wir. Es versteht sich für uns von selbst, dass unsere Technologie voll validiert sein wird und mit modernsten Verfahren, z. B. NIR (Near Infra Red) und entsprechenden Lichtschranken, die Identität jedes verarbeiteten Arzneimittels und jeder erfolgte Abwurf dokumentiert wird. An der Entwicklung dieser Technologie haben wir jahrelang gearbeitet und entsprechende weltweite Patente beantragt.

Hier unterscheiden wir uns auch von anderen auf dem Markt befindlichen Technologien. In Schweden werden 140 Anlagen unterschiedlicher Hersteller eingesetzt, die Schlauchbeutel produzieren - bei uns meist als Baxter-Maschine bekannt. Ihre Abpackung ist aber nur schlecht validierbar. Deshalb muss jeder einzelne Schlauchbeutel von einem Apotheker in die Hand genommen und visuell kontrolliert werden, was natürlich hohe Kosten verursacht und eine Sisyphusarbeit ist.

DAZ:

Wie viele Patienten können Sie mit Ihrer Anlage versorgen?

Kohl:

Der erste Typ unserer Anlage produziert 50.000 Wochenblister täglich. Am Ende des ersten Geschäftsjahres sollen drei dieser Anlagen installiert sein. D.h., wir wollen dann unseren Partnerapotheken ermöglichen, über 100.000 Patienten täglich zu versorgen.

DAZ:

Welche Arzneimittel wollen Sie verblistern? Bedienen Sie sich Ihres Sortiments an Importpräparaten? Wollen Sie Bulkware von Herstellern beziehen? Kommen Klinikpackungen in Betracht oder entblistern Sie N1 bis N3-Packungen, um sie dann erneut zu verblistern?

Kohl:

Wir konzentrieren uns zunächst auf multimorbide Patienten mit den typischen Volkskrankheiten: Diabetes, Bluthochdruck usw. Entsprechend gestaltet sich unser Sortiment: eine große Zahl von Generika, aber natürlich auch moderne Präparate mit Patentschutz. Auf Importe werden wir aus technischen Gründen und wegen der nicht jederzeit zu gewährleistenden Verfügbarkeit verzichten. Wir haben auch Technologien dafür entwickelt, traditionelle Blisterpackungen - wie z. B. auch in Schweden oft der Fall - zunächst zu entblistern. Sinnvoll ist das nicht. Wo möglich werden wir von den Herstellern zugelassene Großgebinde beziehen. Bulkware ist nicht verkehrsfähig und kommt daher aus rechtlichen Gründen genauso wenig in Betracht wie Klinikware.

DAZ:

Wie stellt sich die rechtliche Situation aus Ihrer Sicht dar? Fungieren Sie beim Verblistern im Auftrag als Hersteller oder Dienstleister? Kohl: Wir sind Lohnfertiger für unseren Auftraggeber, die Apotheke. Insofern ist Herstellung und Dienstleistung kein Widerspruch. Unser Produkt ist gleichermaßen eine Rezeptur wie ein von der Zulassungspflicht befreites Fertigarzneimittel. Insoweit hat die 14. AMG-Novelle hier Klarheit geschaffen.

DAZ:

Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass Apotheken und Heime auf das Verblisterungsangebot einsteigen werden. Immerhin kostet das Verblistern Geld und muss von irgend jemandem bezahlt werden.

Kohl:

Am Ende werden wir circa 70 Mio. Euro in die Technologie und Gebäudeausstattung und weitere 30 Mio. Euro in unser Warenlager investiert haben. Natürlich möchten wir, dass sich dieser Betrag amortisiert und dass auch die Zusatzleistung der Apotheke angemessen bezahlt wird. Zweifellos brauchen wir eine politische Entscheidung zur Honorierung der individuellen Verblisterung. Bisher haben wir bei allen Parteien offene Ohren für dieses Konzept gefunden. Insbesondere auch deshalb, weil es hilft, Geld zu sparen: weniger Verschlimmerung von Erkrankungen, weniger Krankenhauseinweisungen durch bessere Compliance, weniger Verwurf von Arzneimitteln und vor allem längeres Wohnen zuhause. Wegen des Finanzierungsmodells stehen wir mit allen relevanten Stellen in Verhandlung.

DAZ:

Reicht ein Sortiment von etwa 400 festen oralen Arzneimitteln zur Versorgung der betroffenen Patienten aus?

Kohl:

Wir versorgen nur mit festen oralen Formen und bieten ausschließlich Therapeutika für chronische Erkrankungen an. In unserem Modellversuch im Saarland kommen wir mit knapp 250 Arzneimitteln aus, um etwa 500 Bewohner von vier Altenheimen zu versorgen. Da bleibt noch eine Menge Reserve, um zusätzliche innovative Arzneimittel aufzunehmen. Nicht ohne Grund haben wir außerdem unsere Anlage modular gestaltet. Wenn der Markt mehr als 400 Arzneimittel verlangen sollte, sind wir in der Lage, darauf zu reagieren.

DAZ:

Lässt sich denn wirklich im Gesundheitswesen mit Verblistern Geld sparen?

Kohl:

Wie gesagt: Ein eindeutiges Ja! Und wir setzen an der richtigen Stelle an: nicht bei der Einschränkung von Leistungen, sondern bei der Verbesserung der Qualität. Hier liegt das Einsparpotenzial der Zukunft. Wer ausgepresste Zitronen auspressen will, wird nicht viel Erfolg haben. Nicht ohne Grund greifen die Schweden seit langer Zeit zur patientenindividuellen Versorgung - wenn auch über Baxter-Systeme, die noch mit hohem Personalaufwand verbunden sind. Wir können mit unserem High-tech-System weit höhere Patientenzahlen besser und kostengünstiger versorgen. Wir sollten uns aber auch etwas mehr von dem sektoralen Denken lösen. Nicht an der Arzneimittelversorgung, sondern mit der Arzneimittelversorgung müssen wir sparen! Mit der individuellen Verblisterung hat die Apotheke eine historische Chance, sich als Treuhänder für die Qualität der Arzneimittelversorgung zu positionieren.

DAZ:

Herr Kohl, wir bedanken uns für das Gespräch.

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