Fortbildung

suo succo – Inhalt und Wirkung der Pflanzen

Arzneipflanzen und biogene Arzneistoffe spielen weltweit eine große Rolle in der Gesundheitsversorgung und besitzen auch in der Zukunft ein großes Potenzial bei der Suche nach neuen Präparaten für die Therapie und Prophylaxe verschiedenster Krankheiten. Dies zeigten Vorträge, Diskussionsforen und Poster auf dem 53. Kongress der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA), der in Kooperation mit der Italienischen Gesellschaft für Phytotherapie vom 21. bis 25. August in Florenz stattfand und von etwa 700 Personen besucht wurde. Ein ehrgeiziges Ziel, das viele Forscher derzeit verfolgen, besteht darin, die ganze Palette der in einem Organismus vorkommenden niedermolekularen Verbindungen zu erfassen: das Metabolom.

Das Metabolom – eine chemische Momentaufnahme

Um die Gesamtheit der Gene zu beschreiben, schuf man den Terminus Genom, dessen wissenschaftlicher Erforschung sich die Genomics widmen. Entsprechend der Funktion der Gene und ihrer Produkte entstanden später die Termini Transkriptom, Proteom und schließlich Metabolom. Prof. Dr. Robert Verpoorte, der an der Universität Leiden die Sektion "Metabolomics" leitet, definierte das Metabolom als den chemischen Phänotyp eines Organismus, der zum Zeitpunkt der Analyse alle Metaboliten nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ erfasst. Die Metaboliten sind im Gegensatz zur DNA und zu den Proteinen niedermolekulare Verbindungen.

An sich sind Metaboliten für die Naturstoffchemiker nichts Neues, nur hat man früher für sie häufiger den Terminus Sekundärstoffe verwendet. Der Begriff Metabolomics setzt aber insofern einen neuen Akzent, als er die Abhängigkeit der Sekundärstoffe von der Enzymausstattung des Organismus und damit von der Aktivität seiner Gene impliziert. Als Beispiel für die Komplexität der Zusammenhänge nannte Verpoorte die Alkaloidsynthese in Catharanthus: Etwa 100 Proteine und 60 Gene sind darin involviert.

Erweitert hat der Begriff Metabolomics auch die Blickrichtung der Sekundärstoffforschung: Während man nach herkömmlicher Weise vom Endprodukt (Sekundärstoff) aus die verursachenden Prozesse und Substanzen zu beschreiben und zu identifizieren versucht, wobei man in den seltenen Fällen, wo man den Weg bis zu Ende geht, schließlich bei den Genen anlangt, so erforscht man heute auch in umgekehrter Richtung das in den einzelnen Genen steckende Potenzial, dessen Realisierung ja nicht nach einem festen Plan abläuft, sondern sehr stark von exogenen Faktoren abhängig ist. Vergleicht man die Pflanze mit einer chemischen Fabrik, in der eine begrenzte Anzahl von Produktionsmitteln vorhanden ist, so sind die möglichen Produktionsprozesse doch sehr variabel und die dabei hergestellten Produkte entsprechend vielfältig. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, diese Produktionsprozesse nicht nur zu verstehen, sondern auch gezielt in sie einzugreifen, sie zu variieren und zu optimieren.

Hauptkomponentenanalyse: PCA

Eine Pflanze enthält etwa 30.000 chemisch definierte Verbindungen, von denen viele nicht stabil sind. Es ist weder möglich noch sinnvoll, in einem Extrakt das ganze Metabolom auf einmal zu erfassen. Da die Ergebnisse chromatographischer Methoden schlecht reproduzierbar sind, erfolgt die erste grundlegende Analyse eines Extraktes heute in der Regel mit der Kernresonanz-(NMR-)Spektrometrie und der Massenspektrometrie (MS) in Verbindung mit einer statistischen Auswertung. Diese Hauptkomponentenanalyse (Principal component analysis, PCA) identifiziert jeweils etwa hundert gut dokumentierte Verbindungen, die in Substanzbibliotheken enthalten sind.

Da die NMR- und MS-Techniken in letzter Zeit enorme Fortschritte gemacht haben – erwähnt sei die Möglichkeit, in der CapNMR kleinste Probenmengen von nur 5 µl zu messen – und auch preiswerter geworden sind, werden sie immer häufiger eingesetzt. Die Effizienz der PCA belegten mehrere Referenten an verschiedenen Beispielen, z. B. auch bei der Aufspürung von Drogenverfälschungen. So beginnen auch kommerzielle Betriebe, die PCA zur Qualitätskontrolle von Drogen einzusetzen.

Will man das Metabolom einer Pflanze ergründen, kann eine PCA nur ein erster Schritt sein. Für weitergehende Untersuchungen bleiben chromatographische Methoden unerlässlich.

Pharmakologische Tests und Fluxomics

Kann das Metabolom das pharmakologische Potenzial einer Pflanze umschreiben? Verpoorte verneinte diese Frage. Durch das High Throughput Screening (HTS) können zwar sehr viele Metaboliten in kurzer Zeit auf ihre Wirksamkeit an bestimmten Targets getestet werden. Aber mit diesen Verbindungen ist das pharmakologische Potenzial der Pflanze nicht ausgeschöpft, denn sie kann Prodrugs enthalten, die erst nach Interaktionen in einem anderen Organismus ihre Wirkung entfalten. So würde man beim HTS eines Weidenrindenextraktes die Wirkungen der Acetylsalicylsäure nicht feststellen können, weil diese darin als unwirksames Glucosid Salicin enthalten ist.

Bei jedem HTS handelt es sich um einen reduktionistischen Ansatz, der nur einen Teil der pharmakologisch-toxikologischen Realität widerspiegelt. Verpoorte rief dazu auf, wieder in stärkerem Maße holistische Testsysteme an ganzen Organismen anzuwenden, um neue Wirkstoffe zu finden. Zudem forderte er, die Momentaufnahme des Metaboloms um die zeitliche Dimension zu erweitern, das heißt, Art und Geschwindigkeit der Stoffumwandlung unter bestimmten Bedingungen oder in bestimmten Entwicklungsphasen zu beobachten. Auch dafür gibt es bereits neue Termini: Die Gesamtheit dieser Prozesse, die stets im Fluss sind, heißt Fluxom und die Erforschung des Fluxoms entsprechend Fluxomics (auch definiert als: Real time metabolomics).

Doch scheint die Begriffsbildung in diesem Bereich noch nicht abgeschlossen zu sein: Jedenfalls bevorzugen Wissenschaftler, die besonderen Wert darauf legen, die situationsbedingten Änderungen des Metaboloms quantitativ zu erfassen, dafür den Terminus Metabonomics.

Phytomedizin weltweit

Die WHO hat im Mai 2005 einen "Global atlas of traditional, complementary and alternative medicine" herausgegeben, der die überragende Bedeutung pflanzlicher Arzneimittel in den meisten Teilen der Welt sowohl in prozentualen als auch in absoluten Zahlen belegt. Wie Prof. Dr. Rudolf Bauer, Graz, berichtete, beträgt der Marktwert der weltweit pro Jahr umgesetzten Präparate etwa 60 Mrd. US-Dollar. Die Gründe für den hohen Stellenwert der Phytomedizin sind allerdings regional unterschiedlich: Während Patienten in der Dritten Welt oft keine andere Wahl haben, weil chemisch definierte Wirkstoffe nicht verfügbar oder für sie nicht erschwinglich sind, steht in westlichen Ländern die Anwendung von Phytopharmaka zur Krankheitsvorbeugung oder Linderung leichter Beschwerden im Vordergrund. Auch alternative Heilverfahren wie Homöopathie, Aromatherapie, traditionelle chinesische Medizin (TCM) und Akupunktur spielen in den reichen Ländern eine größere Rolle.

Die EU-Richtlinie 2004/04/EC, die noch in diesem Jahr in deutsches Recht zu überführen ist, legt fest, dass die Sicherheit traditioneller Arzneimittel als gegeben anzunehmen ist, wenn sie mehr als 30 Jahre lang angewendet wurden und darüber hinaus innerhalb der EU mindestens 15 Jahre lang angewendet wurden, ohne dass bedenkliche Nebenwirkungen bekannt geworden sind. Bauer gab jedoch zu bedenken, dass auch solche Zubereitungen ein toxisches Potenzial in sich bergen können, wenn dieses auch nur durch die Interaktion mit einem einzigen Arzneistoff oder bei kontinuierlicher Anwendung zutage treten mag. Er erinnerte daran, dass man die Toxizität der Pyrrolizidinalkaloide (PA) erst spät entdeckte, obwohl PA-haltige Pflanzen in Europa jahrhundertelang als Tee zubereitet und konsumiert wurden.

Die Gefahrenquellen der Drogenverfälschungen und Kontamination sind allgemein bekannt, und manche Gefahr für den Patienten kann der Apotheker vor Ort abwenden; so kann ein dünnschichtchromatographischer Test auf Aristolochiasäure, die in Zubereitungen der TCM enthalten sein kann, in jeder Apotheke durchgeführt werden. Für die potenzielle Toxizität einer Arzneidroge kann aber auch ihre spezielle Aufbereitung vor der Weiterverarbeitung eine Rolle spielen. So sind Eisenhutknollen, die im Rohzustand das äußerst giftige Diterpenalkaloid Aconitin enthalten, in China eine gängige Arzneidroge, weil die Knollen durch ein spezielles Verfahren entgiftet werden, bevor sie in den Markt kommen. Ein solcher kulturell geprägter Umgang mit Arzneidrogen geht leicht verloren, wenn die Droge in einen anderen Weltteil exportiert wird, sodass sie erst dort gefährlich wird.

Bauer plädierte dafür, alle traditionellen Phytopharmaka biologischen und mikrobiologischen Tests zu unterziehen, und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch um ihr therapeutisches Potenzial besser auszuschöpfen. Im Idealfall kann sich die Chance bieten, ein traditionelles Mittel auf das Niveau eines rationalen Präparates zu heben. Dafür ist es allerdings erforderlich, dass die pharmazeutische Industrie und klinische Mediziner die Anregungen der Arzneipflanzenforscher aufgreifen.

Chinesischer Drogenschatz

Jede Kultur hat ihre eigenen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit und den Möglichkeiten des Menschen, diese Zustände zu verändern. In China gilt die TCM nicht nur als Heilverfahren, sondern als kulturelles Erbe, das dementsprechend zu schützen und zu fördern ist. Die TCM verfügt über mehr als 12.000 Drogen, darunter 1581 tierische und 80 mineralische. Ungeachtet der Eigenschaften, die die TCM den einzelnen Drogen zuschreibt, bemühen sich westlich ausgebildete Forscher in China darum, deren chemisch definierte Wirkstoffe zu identifizieren und ihre physiologischen Wirkmechanismen aufzuklären. De-an Guo, Abteilungsleiter am Institut für Pharmazie der Universität Beijing, gab einen Einblick in das Forschungsprogramm und zeigte am Beispiel einiger neuer Arzneimittel die bisherigen Erfolge auf:

  • Der Chinesische Beifuß (Artemisia annua) enthält Artemisinin, das heute ebenso wie sein partialsynthetisches Derivat Artemether gegen Malaria zum Einsatz kommt und die Palette der Malariamittel wesentlich erweitert hat.
  • Das aus dem Färberwaid (Isatis tinctoria) gewonnene Indirubin dient zur Behandlung der Leukämie.
  • Schisandrin aus Schisandra chinensis ist ein Mittel gegen Hepatitis C.

Viele TCM-Drogen befinden sich noch in den frühen Stadien der klinischen Testung, die meisten sogar noch in der präklinischen Phase. Ein aussichtsreicher Kandidat für einen neuen biogenen Arzneistoff ist die Salvianolsäure aus dem Chinesischen Salbei (Salvia miltiorrhiza), die die Thrombozytenaggregation hemmt und bei myokardialer Ischämie wirksam ist.

Topoisomerasehemmer gegen Krebs

Frau Dr. Deniz Tasdemir erhielt den diesjährigen Egon Stahl-Preis in Silber, den die GA zur Förderung besonders verdienter habilitierter Nachwuchswissenschaftler vergibt. Nachdem Tasdemir in der Türkei Pharmazie studiert hatte, kam sie als Doktorandin zu Prof. Dr. Otto Sticher an der ETH Zürich und gründete 2001 – nach ihrer Promotion und einem längeren Forschungsaufenthalt in den USA – eine Arbeitsgruppe am Institut für Organische Chemie der Universität Zürich. In der Egon Stahl Award Lecture gab sie einen Überblick über neue Mittel und Wege zur Krebstherapie und zur Bekämpfung der Malaria.

Ein Prinzip moderner Krebstherapeutika ist die Hemmung der Topoisomerasen, die das Makromolekül DNA aus der kompakten Struktur der Doppelhelix entknäueln und relaxieren, um ihre Transkription und Replikation zu ermöglichen (Topoisomerase I), bzw. sie danach wieder in den spiralförmigen Zustand überführen (Toposiomerase II, auch: Gyrase). Als biogene Hemmstoffe jeweils eines der beiden Enzyme sind z. B. das Alkaloid Camptothecin und das Podophyllotoxin-Derivat Etoposid in die Therapie eingeführt.

Als Fundgrube für neue Topoisomerasehemmer erwiesen sich Schwämme, z. B. Vertreter der in den tropischen und subtropischen Meeren weitverbreiteten Gattung Xestospongia. In ihnen wurde die neue Wirkstoffgruppe der tetrazyklischen Pyridoacridin-Alkaloide entdeckt, die in Zellkulturen eine beachtliche Zytotoxizität gegenüber Krebszellen zeigen. Der aussichtsreichste Kandidat für weiterführende Untersuchung ist das Amphimedin.

FabI gegen Malaria

Schätzungsweise 500 Mio. Menschen sind an Malaria infiziert und 2 Mio. sterben alljährlich an der Krankheit, die durch Plasmodien, parasitische Protozoen, verursacht wird. Für die Ätiologie der Erkrankung bedeutete es einen großen Schritt vorwärts, als 1996 der Apicoplast in bestimmten Protozoen entdeckt wurde, die seither zum neu geschaffenen Phylum Apicoplexa gezählt werden (darunter auch Plasmodium). Beim Apicoplasten handelt es sich um eine den Chloroplasten der Pflanzen ähnliche Organelle, die für die Plasmodien lebenswichtig ist, wobei ihre physiologische Funktion allerdings bisher noch nicht bekannt ist. Die Gene, die die für den Aufbau des Apicoplasten bestimmten Bausteine codieren, bilden ein ideales Target zur Vernichtung der Plasmodien, weil sie kein Pendant im menschlichen Genom haben. Folglich verursachen Wirkstoffe, die die Expression dieser Gene spezifisch hemmen, mit großer Wahrscheinlichkeit keine unerwünschten Wirkungen beim Menschen.

Abgesehen vom Apicoplasten weisen Plasmodien – wie auch Bakterien, Pflanzen und Algen – einen weiteren grundlegenden Unterschied gegenüber eukaryontischen Zellen auf, indem sie Fettsäuren mithilfe andersartiger Enzyme synthetisieren, nämlich der Fettsäure-Synthasen vom Typ II (statt Typ I), die wiederum durch ein Schlüsselenzym, die Enoyl-(Acyl-carrier-protein-)- Reductase, reguliert werden. Die für die Synthese dieser Enzyme und damit letztlich für die Fettsäuresynthese (engl. Kürzel: Fab) verantwortlichen Gene wurden 1998 entdeckt. Auf ihrer Hemmung beruht z. B. die antiplasmodische Wirkung von Isoniazid und Triclosan, die im Englischen als Fab Inhibitors (FabI) bezeichnet werden.

Fab-Inhibitoren gibt es auch in der Natur. Viele ubiquitär verbreitete Flavonoide wie z.B. Luteolin oder Quercetin zählen dazu; das diesbezüglich potenteste Flavonoid scheint das (–)-Catechin-gallat zu sein. Interessante Fab-Inhibitoren hat Tasdemir aber hauptsächlich in einigen Schwämmen gefunden. Das pharmakologische Screening richtet sich nun darauf, für eventuelle klinische Tests Substanzen mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu finden.

Antiangiogenese gegen Krebs

Wenn ein Tumor in das Stadium getreten ist, dass er diagnostiziert werden kann, ist es für eine erfolgreiche kurative Therapie oft schon zu spät. Die rationale Krebstherapie richtet sich daher zunehmend auf die frühen Phasen und Prozesse der Kanzerogenese, beispielsweise die Angiogenese. Jeder Tumorzellhaufen ist anfangs im gesunden Gewebe isoliert und in seiner weiteren Entwicklung beschränkt. Um weiter wachsen zu können, braucht er Nährstoffe, die er nur aus dem Blut erhalten kann. Anders gesagt: Er braucht den Anschluss an das Gefäßsystem, den er nur durch die Bildung einer neuen Kapillare (Angiogenese) erhalten kann. Verschiedene körpereigene Substanzen hemmen bzw. fördern die Angiogenese und reagieren dabei zugleich auf besondere physiologische Zustände (z. B. proangiogenetische Bedingungen bei Hypoxie); von außen zugeführte Substanzen können ebenfalls in diesen komplexen Mechanismus eingreifen.

Ein antiangiogenetischer Effekt ließ sich bei zahlreichen Verbindungen, die den unterschiedlichsten chemischen Klassen angehören, feststellen. Dr. Clarissa Gerhäuser, Heidelberg, berichtete über ihre Versuche mit Xanthohumol, einem prenylierten Chalkon im Hopfen, und Sulfuraphan, einem in Kohlgemüse vorkommenden Isothiocyanat. In einem In-vitro-Modell zeigte sich, dass beide Substanzen die Proliferation, Migration und Differenzierung von Endothelzellen, die die Angiogenese einleiten, unterdrücken. In-vivo-Versuche an Mäusen, denen Mammakarzinomgewebe transplantiert worden war, bestätigten den antikarzinogenen Effekt. Da klinische Versuche sich aus ethischen Gründen verbieten, könnten solche Tierversuche geeignet sein, erfolgreich getestete Substanzen zur Krebsprophylaxe zu empfehlen.

600 Poster

Mehr noch als die über 60 Referate dokumentierten die nahezu 600 präsentierten Poster das Ausmaß, die Vielfalt und die Internationalität der aktuellen Arzneipflanzenforschung. Zugleich spiegelten die Poster auch die Zukunftsaussichten des Faches wider, weil durchwegs junge Nachwuchswissenschaftler an den jeweiligen Forschungen mitgewirkt hatten.

Bezüglich der einzelnen Forschungsrichtungen überwogen Untersuchungen zur biologischen Aktivität von Pflanzenextrakten oder daraus isolierten Substanzen mithilfe der verschiedenen etablierten Testsysteme. In dem Maße, wie die Kenntnis über die potenziell pathogene Funktion von körpereigenen Enzymen gewachsen ist, wird zunehmend auf die spezifische Hemmung bestimmter Enzyme getestet. So ist die Topoisomerasehemmung einer Verbindung, wie oben ausgeführt, ein Hinweis auf ihre antikanzerogene Wirkung. Pflanzliche Hemmstoffe der Cyclooxygenasen erscheinen derzeit als besonders lohnendes Forschungsobjekt, weil chemisch definierte Substanzen mit diesem Wirkmechanismus wegen ihrer (zu) starken Nebenwirkungen in die Kritik geraten sind. Auch die Elastasen sind als Targets zur Entzündungshemmung wieder stärker in das Blickfeld getreten; insbesondere phenolische Verbindungen zeigen hier ein pharmakologisch interessantes Profil.

Enzymhemmer lassen auch für die Zukunft hoffen, dass es gelingt, neurodegenerative Krankheiten wie die Alzheimer-Erkrankung erfolgreich zu therapieren. Die größte Herausforderung dürfte hier allerdings nicht pharmakologischer, sondern technologischer Art sein: Wie muss der als geeignet erkannte Wirkstoff verpackt werden, damit er die Blut-Hirn-Schranke überwindet?

Viele Naturstoffe reagieren nicht mit Enzymen, sondern mit Zellbestandteilen oder Antikörpern und stimulieren so das Immunsystem. Die Wirkung einzelner Verbindungen lässt sich durch Bindungsstudien in In-vitro-Testsystemen messen, ein wichtiger Schritt vor der Durchführung tierpharmakologischer Tests.

Ein zweiter thematischer Schwerpunkt der Arzneipflanzenforschung ist nach wie vor die Identifizierung und chemische Charakterisierung neuer Naturstoffe. Es fiel auf, dass zur Strukturaufklärung die NMR nahezu routinemäßig eingesetzt wird, was die pharmazeutischen Biologen oft zwingt, mit Chemikern zusammenzuarbeiten. Übrigens lassen sich chemische Entdeckungen auch heute noch in Pflanzen machen, die als gut erforscht gelten; so fand man in nahen Verwandten unseres Knoblauchs (Gattung Allium) erstmals die Dithiodipyrrole.

Die Aufklärung der Biosynthesewege von Wirkstoffen scheint ein eher kleines, aber feines Gebiet der Arzneipflanzenforschung zu sein. Einerseits sind die Prozesse auf proteomischer (enzymatischer) Ebene bei den wichtigsten Wirkstoffgruppen großenteils bekannt, andererseits ist der Brückenschlag zur genomischen Ebene oft recht mühsam.

Traditionsgemäß durften die Kongressteilnehmer nach dem Ende der Präsentation das ihrer Meinung nach beste Poster wählen. Diesmal gab es drei Preisträger, und zwar jeweils eine Person aus dem Gastgeberland Italien, aus Griechenland und aus Mali in Westafrika.

Ehrungen durch die GA

Den mit 5000 Euro dotierten Egon Stahl-Preis in Gold, der nun zum dritten Mal verliehen wurde, erhielt Prof. Dr. Detlef Gröger, Halle, für sein wissenschaftliches Lebenswerk. Nachdem Gröger 1954 seine Ausbildung als Apotheker abgeschlossen hatte, stieß er zur Arbeitsgruppe von Kurt Mothes am Institut für Kulturpflanzenforschung in Gatersleben sowie an der Universität Halle und wurde dort 1957 promoviert. 1961, als in Berlin die Mauer gebaut wurde, befand er sich gerade als Postdoc in den USA, kehrte aber aus Loyalität zu seinem Lehrer Mothes in die DDR zurück. 1963 habilitierte er sich in Halle mit seinen Forschungen über die Ergotalkaloide aus dem Mutterkornpilz (Claviceps purpurea), 1971 wurde er zum Professor an der Akademie der Wissenschaften der DDR ernannt, und ab 1972 unterrichtete er im Fach Pharmazeutische Biologie. Zuletzt forschte er in Halle am Leibniz-Institut für Pflanzenbiologie, 1994 trat er in den Ruhestand.

Gröger hat wesentlich zur Aufklärung der Biosynthese der verschiedenen Ergotalkaloiden beigetragen und dabei insbesondere den Prozess der sterischen N-Methylierung des chemischen Grundgerüstes erforscht. Ein zweites Hauptforschungsgebiet waren die Acridonalkaloide, wobei ihm erstmals die Klonierung der Acridon-Synthase gelang; darüber hinaus arbeitete er über zahlreiche andere Alkaloidgruppen. Methodisch befand er sich stets auf der Höhe seiner Zeit, so bei der Verwendung von radioaktiv markierten Präkursoren zur Erforschung von Biosynthesewegen mittels NMR, in der Nutzung der Zellkulturtechnik, bei der Isolierung und Charakterisierung von Enzymen und schließlich auch bei ihrer Klonierung, wobei er konsequent den Weg von der Biochemie zur Molekularbiologie beschritt. Gröger verfasste etwa 260 Publikationen und erhielt 20 Patente.

Zum neuen Ehrenmitglied der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) wurde Prof. Dr. Dr. h. c. Adolf Nahrstedt, Münster, ernannt. Nahrstedt studierte Pharmazie in Freiburg, wurde dort 1971 promoviert und nahm seit 1972 alljährlich an den GA-Kongressen teil, von zwei Ausnahmen abgesehen. Nach seiner Habilitation im Fach Pharmazeutische Biologie (1976) war er zunächst Professor an der TU Braunschweig, seit 1986 an der Universität Münster, wo er zugleich dem Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie als Direktor vorstand, bis er letztes Jahr in den Ruhestand trat. Nahrstedt hat seine Forschung sowohl der Aufklärung der komplexen Wirkmechanismen klassischer Arzneipflanzenextrakte, z. B. aus Crataegus, Hypericum und Salix, gewidmet als auch biochemische, physiologische und pharmakologisch-toxikologische Aspekte von Sekundärstoffen in Pflanzen und Insekten (z. B. cyanogene Glykoside) untersucht. Er hat an die 200 Publikationen verfasst und etwa 50 Schüler zur Promotion geführt.

Besondere Verdienste hat sich Nahrstedt als Mitherausgeber (seit 1984) sowie Herausgeber (1993 – 2004) der Zeitschrift Planta Medica erworben, deren Jahresumfang er während dieser Zeit sukzessive erweitert hat. Mit dieser "Nebenbeschäftigung" hat er ein gewaltiges Arbeitspensum bewältigt. So hat er allein in den zwölf Jahren als verantwortlicher Herausgeber weit über 7000 eingereichte Aufsätze gelesen und kritisch bewertet und ein Drittel davon nach entsprechender Bearbeitung publiziert.

Neuer Vorstand

Turnusgemäß wurde in Florenz der Vorstand der GA neu gewählt. Der Präsident Prof. Dr. Rudolf Bauer, seine Stellvertreterin Prof. Dr. Brigitte Kopp und die Geschäftsführerin Dr. Renate Seitz wurden wiedergewählt. Zum zweiten Stellvertreter wurde Prof. Dr. Wolfgang Blaschek gewählt, nachdem sein Vorgänger Prof. Dr. Wolfgang Kreis nicht mehr für dieses Amt kandidierte. Dr. Volker Christoffel übernahm von Dr. Gudrun Abel das Amt des Schatzmeisters.

Die GA, die ihre Wurzeln in Deutschland hat, aber in ihrer über 50-jährigen Geschichte zu einer internationalen Organisation geworden ist, wird ihren nächsten Jahreskongress in Helsinki veranstalten.

Iris – eine Pflanze, drei Namen

Es ist nicht verwunderlich, dass Florenz, die "blühende" Stadt, eine Lilie im Wappen trägt. Diese im Mittelalter – neben der Rose – am meisten besungene Blume ist allerdings nicht von der toskanischen Landschaft über die prächtigen Gärten der Bürger ins Stadtwappen gelangt, sondern geht auf das Wappen des französischen Königshauses zurück. Zudem ist das reale Vorbild dieser stark stilisierten heraldischen Lilie eher eine Schwertlilie, also eine Iris.

 

Das passt umso besser zu Florenz, mag man denken, wurde doch die Iris florentina jahrhundertelang in der Umgebung als Arzneipflanze kultiviert, und zwar in einer solchen Quantität und Qualität, dass die Stadt sogar Pate stand, als die Pflanze ihren wissenschaftlichen Namen erhielt. Doch halt: Was aus dem Wurzelstock der von Linné unwidersprochen als Iris identifizierten Pflanze mit Hilfe der Florentiner Flaschen destilliert wurde, bezeichneten die Pharmazeuten als Veilchenöl. So tragen Droge und Stammpflanze in Fachkreisen bis heute den Namen Veilchenwurz oder Veilchenwurzel.

 

Fazit: Ein und dieselbe Pflanze, aber botanisch, heraldisch und pharmazeutisch drei verschiedene Pflanzennamen.

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