Schwerpunkt

Vorbereitungen für den Ernstfall

Nach den großen Influenzapandemien in den Jahren 1918, 1957 und 1968 wird schon seit längerem mit einer neuen großen Grippepandemie gerechnet. Seit Jahren ergeht im Vorfeld jeder Grippesaison der Aufruf, sich vor einer Influenzainfektion durch eine Grippeimpfung zu schützen. In diesem Jahr ist nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts und der Weltgesundheitsorganisation das Risiko für eine Influenzapandemie so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Verantwortlich dafür ist das Vogelinfluenzavirus H5N1, das sich immer weiter ausbreitet.

Zunehmend infizieren sich Zugvögel wie Wildenten und Wildgänse mit dem Influenza-Virus vom Typ H5N1 ohne daran zu erkranken. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass das Virus mit der Herbstwanderung der Zugvögel nun auch Europa erreicht. Damit steigt in Europa nicht nur die Gefahr einer durch H5N1 hervorgerufenen Tierseuche. Durch Überspringen der Artgrenze zum Menschen und durch Rekombination mit menschlichen Grippeviren könnten dann auch in Europa hochgefährliche Mutanten entstehen, die eine weltweite Influenza-Epidemie auslösen könnten.

Die Geflügelpest, ausgelöst durch aviäre Influenzaviren vom Typ H5N1, hat sich seit 2004 massiv in Asien ausgebreitet. Anfang Mai 2005 verendeten in einem Vogelschutzgebiet am Quinghai-See in Nordchina erstmals Wildgänse durch eine neue aggressive Variante von H5N1. Inzwischen ist erwiesen, dass durch den gleichen Stamm im Juli in Sibirien eine Geflügelpest ausgelöst worden ist und dass ebenfalls ein Geflügelpestausbruch im Juli 2005 in Kasachstan auf dieses hochpathogene H5N1-Virus zurückzuführen ist. Es besteht der begründete Verdacht, dass die Viren durch infizierte Zugvögel aus Asien nach Russland und Kasachstan eingeschleppt worden sind [1]. Von dort aus könnten sie, so die immer wieder geäußerte Befürchtung, mit der Herbstwanderung der Zugvögel auch Europa erreichen. Das Friedrich-Löffler-Institut Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit mit Hauptsitz auf der Insel Riems beobachtet daher zur Zeit sehr genau die Flugrouten und untersucht verstärkt Zugvögel auf pathogene aviäre Influenzaviren, insbesondere auf das H5N1-Virus und dazugehörige spezifische Antikörper.

H5N1 im direkten Landeanflug?

Allerdings kommen Experten des Friedrich-Löffler-Instituts zu dem Schluss, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass hochpathogene H5N1-Viren mit Zugvögeln auf direktem Wege von Asien nach Europa gebracht würden [2]. In der Regel würden östlich vom Ural brütende Wasservögel nach Südosten und westlich vom Ural brütende Wasservögel in südwestliche Regionen ziehen. Da sich jedoch die Brutgebiete der Wasservögel überlappen, sei eine schrittweise Ausbreitung in Richtung Westen durch Enten denkbar. Eine aktuelle Gefährdungsabschätzung kann nach Meinung der Experten nur spekulativ sein, da die Datenlage hinsichtlich der in Russland tatsächlich infizierten Wildvogelarten völlig unklar sei. Zudem seien kaum Erkenntnisse über das Ausmaß des Vorkommens von Zugvögeln aus dem innerasiatischen und nordrussischen Raum in mitteleuropäischen Rast- und Überwinterungsgebieten vorhanden.

Illegaler Tiertransport gefährlicher als Zugvögel

Da Wildenten sehr scheu sind, halten die Experten des Friedrich-Löffler-Instituts es für wahrscheinlicher, dass sich ein hochpathogenes Vogelgrippevirus durch illegale Tiertransporte bzw. illegalen Tierhandel in Europa und Deutschland ausbreiten wird. Allerdings empfehlen sie Geflügelhaltern zur optimalen Risikovorsorge, ihre Bestände so abzuschirmen, dass direkte oder mittelbare Kontakte mit Wildvögeln minimiert bzw. ausgeschlossen werden.

Artgrenzen sind kein Hindernis

Das H5N1-Virus ist durchaus in der Lage, Artgrenzen zu überwinden. Neben Vogelarten kann es auch Säugetiere wie Tiger, Leoparden, Hauskatzen und Schweine infizieren. In Südostasien werden mehr als 100 Infektionen bei Menschen auf H5N1 zurückgeführt, 57 Menschen starben daran. Bislang ist eine Übertragung von Mensch zu Mensch nur bei zwei Erkrankungen in einer Familie in Thailand belegt. Alle anderen Infektionen werden auf engen Kontakt zu infiziertem Geflügel zurückgeführt. Diese Situation könnte sich schlagartig ändern, wenn H5N1 mit einem humanen Influenzavirus in Kontakt kommen würde. Durch Neukombination könnten dann hochpathogene Influenzaviren entstehen, die mühelos von Mensch zu Mensch übertragen werden könnten. Einem solchen Virus wären nahezu alle Bevölkerungsteile der Erde schutzlos ausgesetzt, da sie noch nie mit ihm in Kontakt gekommen sind. Es könnte eine Pandemie auslösen, deren Folgen nur schwer zu kalkulieren sind. Hochrechnungen gehen von einer Million bis zu 100 Millionen Toten weltweit aus.

Nach Auffassung des Robert Koch-Instituts und der Weltgesundheitsorganisation ist das Risiko für eine Influenzapandemie zurzeit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Doch wie kann man sich schützen? Was ist im Falle des Auftretens eines neuen, hochpathogenen Influenzavirus zu tun, für das es noch keinen Impfstoff gibt?

Nationaler Pandemieplan soll Schaden begrenzen

In Nature und Science veröffentlichte Modellrechnungen kommen zu dem Schluss, dass bei rechtzeitigem Einsatz von Medikamenten und weiteren Maßnahmen wie Absage aller Massenveranstaltungen und Schließen von Schulen und Kindergärten eine Influenzawelle zu stoppen sei. Die Maßnahmen müssten aber schon ergriffen werden, wenn weniger als 50 Menschen erkrankt sind. Eine weitere wichtige Voraussetzung: Es müssen genügend Medikamente zur Verfügung stehen und sofort an die betroffenen und gefährdeten Personen verteilt werden. Dazu sind Vorbereitungen notwendig, die Bund und Länder zurzeit auf der Basis eines vom Robert Koch-Instituts erarbeiteten Pandemieplans entwickeln [3]. Der vor kurzem veröffentlichte Aktionsplan (Teil III des Pandemieplans) legt den Rahmen für ein möglichst bundesweit koordiniertes Vorgehen im Falle einer Influenzapandemie fest. Er fordert ein phasenspezifisches Vorgehen und gibt vor, welche Maßnahmen abhängig von der jeweiligen Situation ergriffen werden müssen.

Wichtige Vorbereitungen in der interpandemischen Periode

In der interpandemischen Periode (Phase 1 und 2), in der definitionsgemäß noch keine neuen Influenzasubtypen beim Menschen aufgetreten sind, liegt der Schwerpunkt auf vorbereitenden Maßnahmen. Der Bund muss die rechtlichen Voraussetzungen beispielsweise für nationale und internationale Flugverbote, Reiseverkehrbeschränkungen, Arztmeldepflicht und Einstufung der Gefahrenklasse schaffen. Die rechtlichen Bestimmungen müssen mit den Ländern abgestimmt werden.

Eckpunkte für den Ausbau einer Surveillance von Bund und Ländern unter Federführung des Robert Koch-Instituts müssen erarbeitet werden. Zudem sind geeignete Maßnahmen zu treffen, die im Ernstfall die schnelle Entwicklung und ausreichende Produktion eines Impfstoffs ermöglichen. Eine zentrale Frage ist die, welche Bevölkerungsgruppen bei knappen Vorräten an Impfstoffen und Medikamenten zuerst behandelt und geschützt werden sollen. Oberste Priorität sollen die für die öffentliche Ordnung und die Krankenversorgung zuständigen Berufsgruppen haben. Das sind schätzungsweise sieben Millionen Menschen.

Da die Umsetzung in den Verantwortungsbereich der Länder fällt, müssen Länder und Gemeinden entsprechend vorbereitet werden. Auf Länderebene muss die Krankenhausnotfallplanung angepasst oder gegebenenfalls neu etabliert werden. Im Ernstfall muss ein Konzept zum Management der Pandemiesituation vorliegen. Der Handlungsablauf muss klar sein, Ausstattung und Bevorratung mit Medikamenten und Geräten müssen organisiert sein, das Personal muss entsprechend geschult worden sein.

Wird bei einem Menschen ein neuer Influenzasubtyp isoliert, ist die pandemische Warnperiode Phase 3 erreicht, bei Auftreten von stark lokalisierten Infektionen bei wenigen Menschen die pandemische Warnperiode Phase 4. Hier fordert der Plan auf Bundesebene

  • eine kontinuierliche, der Situation angepasste Information der Länder,
  • die Festlegung und regelmäßige Abstimmungen von Sprachregelungen auf der Ebene der Bundesbehörden unter Einbeziehung der Länder,
  • die Überprüfung der Kapazitäten zur virologischen Surveillance,
  • die Vorbereitung von Presseerklärungen, Hintergrundinformationen für Presse, Ärzteschaft und Bevölkerung.

Die Länder haben die Aufgabe, relevante Institutionen entsprechend zu informieren.

Kommt es zu lokalisierten Mensch-zu-Mensch-Übertragungen (pandemische Phase 5) oder zu zunehmenden und fortdauernden Übertragungen in der Allgemeinbevölkerung (pandemische Phase 6), müssen weitergehende Maßnahmen ergriffen werden.

Endet die erste Pandemiewelle, müssen Vorbereitungen für die zweite zu erwartende Pandemiewelle ergriffen werden. Die Impfstoffproduktion muss fortgeführt und bisher ungeimpfte und nichterkrankte Personen geimpft werden. Bei Auftreten der zweiten Pandemiewelle sind dann wieder Maßnahmen wie bei der ersten Pandemiewelle zu ergreifen.

Hoffnungsträger Neuraminidasehemmer

Bis zum Vorliegen eines wirksamen Impfschutzes gegen einen neuen Influenzasubtyp ist der Einsatz der Neuraminidasehemmer Oseltamivir und Zanamivir die wichtigste Säule einer medikamentösen Therapie- und Prophylaxestrategie (Tab. 1). Neugebildete Influenzaviren sind zunächst über Rezeptoren mit der Wirtszellmembran verbunden. Mit Hilfe ihres in der Hülle lokalisierten Enzyms Neuraminidase können sie die Rezeptoren der Wirtszellmembran abbauen und sich so von der Wirtszelle lösen.

Oseltamivir und Zanamivir blockieren nun die Neuraminidase und verhindern damit die Ablösung neugebildeter Viren von der Wirtszelle. Die Viren bleiben an der Zelle haften und können keine neuen Zellen infizieren. Oseltamivir und Zanamivir binden an das aktive Zentrum der Neuraminidase, das trotz der hohen Mutationsrate der Influenzaviren bei allen Influenza-A- und Influenza-B-Viren identisch ist und mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei einem Pandemiestamm so aussehen wird. Daher wird von einer hohen Wirksamkeit bei geringer Gefahr einer Resistenzentwicklung ausgegangen.

Resistenzentwicklung nicht auszuschließen

Auszuschließen ist eine Resistenzentwicklung jedoch nicht. Das zeigt eine im letzten Jahr im Lancet publizierte Untersuchung aus Japan [4]. Bei neun von 50 Kindern, die Oseltamivir wegen des Verdachts auf eine Virusgrippe eingenommen hatten, wurden Veränderungen der viralen Neuraminidase nachgewiesen. Die Arbeitsgruppe hatte bei den 50 Kindern ausgeschiedene Viren vor und während der Behandlung mit Oseltamivir isoliert und sequenziert. Die Isolate mit den veränderten Neuraminidaseeigenschaften waren bis zu 100.000fach weniger empfindlich auf Oseltamivir als das ursprüngliche Virus.

Da vor allem kleinere Kinder, die möglicherweise das erste Mal eine Influenzainfektion durchgemacht haben, von der Resistenzentwicklung betroffen waren, wird spekuliert, dass eine längere Virusausscheidung die Resistenzentwicklung begünstigt haben könnte. Eine fehlende Immunität ist dafür verantwortlich, dass die Viren auch unter Therapie länger ausgeschieden werden. Welche Relevanz diese Beobachtung für die Therapie und Prophylaxe mit Neuraminidasehemmer haben wird, ist unklar.

Nutzen nicht unumstritten

Der Nutzen eines breiten Einsatzes von Neuraminidasehemmern ist nicht unumstritten. Im Pandemieplan wird davon ausgegangen, dass bei einer Therapie mit diesen Substanzen die Hälfte aller Todesfälle zu verhindern sei und eine zusätzliche Prophylaxe von ausgewählten Bevölkerungsgruppen nochmals zu einer 10%igen Reduktion der Todesfälle führen würde. Das Arzneitelegramm kommt zu dem Schluss, dass diese Zahlen nicht nachzuvollziehen seien, da Daten zum Einfluss von Neuraminidasehemmern auf die Sterblichkeit von Grippekranken fehlten. Auch die Reduktion von Sekundärkomplikationen wie Lungenentzündungen sei unzureichend belegt [5].

Wichtig ist in jedem Fall, dass eine Therapie und Prophylaxe mit den Neuraminidasehemmern rechtzeitig eingeleitet wird. Eine Therapie sollte innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome begonnen werden, eine Prophylaxe möglichst 48 Stunden nach Auftreten der ersten Grippesymptome im Umfeld der Betroffenen. Eine schnelle Diagnosestellung ist daher zwingend. Hilfreich kann hier ein Schnelltest sein (Now Flu A & Flu B, Quick S-Influ A/B, QuickVue Influenza A+B), mit dem sich Apotheken ausreichend bevorraten sollten.

Schutz für die gesamte Bevölkerung ist unbezahlbar

Das Robert Koch-Institut hat der Bundesregierung empfohlen, Neuraminidasehemmer für 20% der Bevölkerung einzulagern. Ausgehend von über 80 Millionen Bundesbürgern müssten danach Medikamente für über 16 Millionen Menschen vorrätig gehalten werden. Bislang wurden allerdings erst Medikamente für 10% der Bevölkerung geordert. Das ist vor allem eine Kostenfrage. Der Schutz der gesamten Bevölkerung mit Neuraminidasehemmstoffen ist unbezahlbar. Um allein eine Million Menschen fünf Wochen mit Neuraminidasehemmern zu schützen, müssten nach Angaben des WHO-Koordinators Klaus Stöhr Medikamente für 64 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

Den besten Schutz kann im Krisenfall nur ein Impfstoff bieten, der auf den verantwortlichen Influenzasubtyp zugeschnitten ist. Entscheidend ist nicht nur, wie schnell ein solcher Impfstoff entwickelt werden kann, entscheidend ist auch, dass genügend Produktionskapazitäten vorhanden sind. Das Robert Koch-Institut und führende Experten fordern daher, dass sich möglichst viele gegen Grippe impfen lassen. Damit würde für die Industrie ein Anreiz für ausreichende Produktionskapazitäten auch im Pandemiefall geschaffen (siehe Interview).

Apothekerin Dr. Doris Uhl

 

Quelle
[1]   Einschätzung der aktuellen Situation der Geflügelpest (aviäre Influenza). Robert Koch-Institut, Stand 22. August 2005. www.rki.de/cln_006/nn_508514/
DE/Content/InfAZ/A/AviaereInfluen- za/Aktuelle_Infos.html
[2]   Wildvögel als potenzielle Gefahr der Einschleppung des Geflügelpestvirus H5N1 aus Südostasien nach Europa – Mitteilung des Friedrich-Löffler Instituts, Stand 23. August 2005 http://www.fli.bund.de/News-Einzelan- sicht.253+M5875fc82806.0.html
[3]   Nationaler Influenzapandemieplan www.rki.de/nn_514600/DE/Content/In- fAZ/I/Influenza/Influenzapandemie- plan.html
[4]   Kiso, M.; et al.: Resistant influenza A viruses in children treated with oselta- mivir: descriptive study. Lancet 364; 759 –  65 (2004).
[5]   Welchen Nutzen haben Neuraminidase- hemmer bei einer Grippepandemie? Arzneitelegramm 36, 62 – 63 (2005).

Kommentar: Starke Waffen gegen Grippeviren

Den besten Schutz vor einer Virusgrippe bietet die Impfung. Wenn ausreichend viele Menschen sich impfen lassen, sinkt außerdem die Gefahr, dass das Vogelgrippevirus sich mit einem menschlichen Virus vermischt. Neuraminidasehemmer sind wertvolle Wirkstoffe, wenn eine Impfung nicht möglich ist, zum Beispiel weil ein geeigneter Impfstoff gegen einen neuen Virustyp nicht schnell genug zur Verfügung steht. Zanamivir (Relenza®) wurde 1999 eingeführt, 2002 folgte Oseltamivir (Tamiflu®). Beide sind gegen Influenza-A- und -B-Viren wirksam und hemmen spezifisch die Neuraminidase aller klinisch relevanten Influenza-A- und -B-Viren. Die Neuraminidase ist ein wichtiges Hüllprotein an der Virusoberfläche, das bei der Vermehrung der Grippeviren eine entscheidende Rolle spielt. Das Enzym zerschneidet die Bindung, die neue Viruspartikel an der infizierten Zelle festhält. Wird die Neuraminidase gehemmt, kann das Virus keine neuen Zellen infizieren. Das aktive Zentrum der Neuraminidase besitzt bei allen bislang untersuchten Grippeviren eine einheitliche Struktur.

Zanamivir wird mit einem Diskhaler inhaliert, Oseltamivir in Kapselform geschluckt. Zur kausalen Therapie der Influenza A und B sind beide Wirkstoffe zugelassen. Neuraminidasehemmer verkürzen die Krankheitsdauer um einen bis zwei Tage und vermindern die Virusausscheidung. Außerdem senken sie die Zahl der Komplikationen der unteren Atemwege, hauptsächlich Bronchitis. Damit Neuraminidasehemmer wirken können, sollten sie innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn eingesetzt werden. Für eine schnelle Diagnose können Schnelltests verwendet werden, die jeder Patient zu Hause durchführen kann.

Zur Prophylaxe darf nur Oseltamivir eingesetzt werden. Es kann während eines lokalen Influenzaausbruchs für maximal sechs Wochen einmal täglich in einer Dosis von 75 mg vorbeugend angewendet werden. Bei prophylaktischer Einnahme kann Oseltamivir die Zahl der klinischen Influenza-Erkrankungen bei Kontaktpersonen um 92% senken.

Bettina Hellwig

Kommentar: Starke Waffen gegen Grippeviren

Den besten Schutz vor einer Virusgrippe bietet die Impfung. Wenn ausreichend viele Menschen sich impfen lassen, sinkt außerdem die Gefahr, dass das Vogelgrippevirus sich mit einem menschlichen Virus vermischt. Neuraminidasehemmer sind wertvolle Wirkstoffe, wenn eine Impfung nicht möglich ist, zum Beispiel weil ein geeigneter Impfstoff gegen einen neuen Virustyp nicht schnell genug zur Verfügung steht. Zanamivir (Relenza®) wurde 1999 eingeführt, 2002 folgte Oseltamivir (Tamiflu®). Beide sind gegen Influenza-A- und -B-Viren wirksam und hemmen spezifisch die Neuraminidase aller klinisch relevanten Influenza-A- und -B-Viren. Die Neuraminidase ist ein wichtiges Hüllprotein an der Virusoberfläche, das bei der Vermehrung der Grippeviren eine entscheidende Rolle spielt. Das Enzym zerschneidet die Bindung, die neue Viruspartikel an der infizierten Zelle festhält. Wird die Neuraminidase gehemmt, kann das Virus keine neuen Zellen infizieren. Das aktive Zentrum der Neuraminidase besitzt bei allen bislang untersuchten Grippeviren eine einheitliche Struktur.

Zanamivir wird mit einem Diskhaler inhaliert, Oseltamivir in Kapselform geschluckt. Zur kausalen Therapie der Influenza A und B sind beide Wirkstoffe zugelassen. Neuraminidasehemmer verkürzen die Krankheitsdauer um einen bis zwei Tage und vermindern die Virusausscheidung. Außerdem senken sie die Zahl der Komplikationen der unteren Atemwege, hauptsächlich Bronchitis. Damit Neuraminidasehemmer wirken können, sollten sie innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn eingesetzt werden. Für eine schnelle Diagnose können Schnelltests verwendet werden, die jeder Patient zu Hause durchführen kann.

Zur Prophylaxe darf nur Oseltamivir eingesetzt werden. Es kann während eines lokalen Influenzaausbruchs für maximal sechs Wochen einmal täglich in einer Dosis von 75 mg vorbeugend angewendet werden. Bei prophylaktischer Einnahme kann Oseltamivir die Zahl der klinischen Influenza-Erkrankungen bei Kontaktpersonen um 92% senken.

Bettina Hellwig

Influenzaviren verändern sich

 

Am weitesten verbreitet sind Influenza-A-Viren. Sie verursachen isolierte Ausbrüche, Epidemien oder sogar Pandemien. Der Krankheitsverlauf variiert von leicht bis sehr schwer. Bei starker Veränderung ihres Erbguts entstehen neue Subtypen, bei geringerer Veränderung neue Varianten.

Influenza-B-Viren haben keine Subtypen. Kleinere Veränderungen bringen neue Varianten hervor, die isolierte Ausbrüche oder Epidemien auslösen können. Die Erkrankung ist nicht von einer Influenza A zu unterscheiden.

Zwischen den Pandemien können die Influenza-Viren durch ständige Veränderung - die Antigen-Drift - die menschliche Immunität unterlaufen und immer wieder zu Influenza-Wellen oder Epidemien führen. Deshalb muss der Influenza-Impfstoff jährlich durch die WHO angepasst werden.

Influenza-Viren können sich außerdem durch die Antigen-Shift sehr stark verändern, zum Beispiel durch das Überspringen der Spezies-Barriere. Zum anderen können sich ganze Gensegmente neu zusammensetzen (Reassortment). So trat 1968 ein ganz neues Virus auf, das sich wahrscheinlich aus einem menschlichen A/H2N2 von einem Tier und einem Vogel-A/H3N2 zusammensetzte. Das resultierende A/H3N2-Virus führte zu einer Pandemie. Das Schwein gilt als besonders effektives "Mischgefäß" bei der Produktion neu kombinierter Viren, weil es Rezeptoren für menschliche und aviäre Influenzaviren hat.

Influenza-Impfstoffe sind trivalent, das heißt, sie haben einen vorgeschriebenen Mindestgehalt der Oberflächenantigene der drei relevanten Typen und Subtypen Influenza-A/H3N2, -A/H1N1 und -B. Nach aktuellsten virologischen Erkenntnissen entscheidet die WHO im Frühjahr, welche Virusstämme im Impfstoff für die Nordhalbkugel und im Herbst, welche für die Südhalbkugel enthalten sein müssen. Die zur Zeit zugelassenen Spalt-Impfstoffe enthalten keine kompletten, lebensfähigen Viren und können daher keine Influenza-Infektion auslösen. Die WHO hat im Februar die neue Stammzusammensetzung für die Saison 2005/2006 (Nordhalbkugel) bekannt gegeben, die zwischenzeitlich von der Europäischen Zulassungsbehörde bestätigt wurde. Der A/H3N2-Stamm Fujian (Wyoming) wurde durch eine neue Drift-Variante abgelöst, die in den USA bereits rund 20% der isolierten H3N2-Stämme ausmacht. Die neue Zusammensetzung für 2005/06 (Nordhalbkugel) lautet: A/New Caledonia/20/99(H1N1)-like virus, A/California/7/2004(H3N2)-like virus - NEU -, B/Shanghai/361/2002-like virus.

Pandemische Warnperiode Phase 5: Lokalisierte Mensch-zu-Mensch-Übertragung

(Quelle Nationaler Influenzapandemieplan Teil III)

Bund

  • Anpassung/Übernahme der WHO-Falldefinition
  • ggf. Aktivierung und Intensivierung der virologischen und syndromischen Routinesurveillance
  • gezielte Analyse der Daten aus der Mortalitätssurveillance, der Krankenhaussurveillance und des EDV-gestützten Sentinels niedergelassener Ärzte sowie der Surveillance von bei Tieren vorkommenden Influenzaviren
  • Übersicht über Vorräte an Virustatika
  • Abschätzung der aktuellen Produktionskapazitäten (antivirale Arzneimittel, Impfstoffe, Antibiotika, medizinische Hilfsmittel)

Bund/Länder

  • Prüfung und ggf. Anpassung der Präventionsstrategie an die aktuelle Situation
  • Aktivierung des virologischen Surveillancesystems
  • Überprüfung der Ablaufpläne der vorgehaltenen Ressourcen
  • Festlegung der Medien- und Informationsstrategie
  • Bereitstellung von Informationsmaterialien für verschiedene Zielgruppen der Fach- und Laienöffentlichkeit, inkl. einer Hotline

Bund/Länder/Gemeinden

  • Unterrichtung der Krisen- und Pandemiestäbe bei Bund, Ländern und Gemeinden
  • Aktivierung der Kontrolle des Reiseverkehrs

 

 

Pandemie-Phase 6: Zunehmende und fortdauernde Übertragung in der Allgemeinbevölkerung

Quelle: Nationaler Influenzapandemieplan Teil III)

Land noch nicht betroffen: (sofern die Pandemie ihren Ausgang in Deutschland nehmen sollte, müssen gleichzeitig auch die unter "Land betroffen oder enge Handels/Reisebeziehungen mit einem betroffenen Land" genannten Maßnahmen durchgeführt werden)

Bund

  • Einberufung des Krisenstabs beim Bund (z. B. BMI, Kanzleramt)
  • Zusammentreten der "Nationalen Pandemiekommission"/Interministerielle Koordinierungsgruppe
  • Empfehlungen für Expositionsschutzmaßnahmen durch die "Nationale Pandemiekommission"
  • Festlegung der Impfstrategie
  • Empfehlungen zum prioritären Einsatz antiviraler Medikamente unter Berücksichtigung der vorhandenen Bestände

Bund/Länder

  • Aktivierung der Krisenstäbe bei Bund, Ländern und Gemeinden und Einberufung der Interministeriellen Koordinierungsgruppe
  • Fortführung der aktivierten Surveillanceinstrumente (ggf. Einreisescreening)
  • Vorbereitung der dezentralen Abgabe von verfügbaren antiviralen Arzneimitteln
  • Vorbereitung der Rekrutierung zusätzlichen medizinischen Personals für die ambulante Krankenversorgung
  • Abstimmung und Vorbereitung der Maßnahmen nach IfSG je nach epidemiologischer Lage
  • kontinuierliche Information der Öffentlichkeit/Fachöffentlichkeit Bund/Länder/Andere
  • Sicherstellung notwendiger zusätzlicher Ressourcen für die Pandemie
  • Steigerung der Produktion und Bevorratung mit Medikamenten (Antipyretika, Infusionslösungen, Desinfektionsmittel, Antibiotika etc.) und medizinischen Hilfsmitteln zum Infektionsschutz
  • Best-case-Szenario: Zulassung und Beginn der Impfstoffproduktion, Durchführung von Verträglichkeitsprüfungen, Verteilung und Zuteilung von Impfstoffen, Durchführung von Schutzimpfungen

Land betroffen oder enge Handels-/Reisebeziehungen mit einem betroffenen Land:

Bund

  • öffentliche Feststellung der pandemischen Situation in Deutschland
  • Überwachung von Effektivität und Sicherheit der eingesetzten antiviralen Medikamente und der pandemischen Vakzine

Länder/Gemeinden

  • ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung

Bund/Länder

  • bundesweit koordinierte Umsetzung der Pandemiepläne, ggf. modifiziert durch Erkenntnisse über den neuen Subtyp und die Verfügbarkeit von Impfstoffen und antiviralen Arzneimitteln
  • Fortführung der aktivierten Routinesurveillance und Monitoring der Belastung des Gesundheitssystems und Durchführung von Telefonsurveys

Bund/Länder/Andere

  • Beginn bzw. Fortführung der Impfungen, abhängig von der Verfügbarkeit
  • Abgabe antiviraler Medikamente an die priorisierten Gruppen
  • Rekrutierung zusätzlichen Personals
  • Kontrolle nosokomialer Infektionen durch das Pandemievirus
  • kontinuierliche Information der Öffentlichkeit/Fachöffentlichkeit

Wichtige Nebenwirkungen von Neuraminidasehemmern

Oseltamivir (Tamiflu®), das als Kapsel und Suspension zur Verfügung steht, führt häufig zu Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Kopfschmerzen. Zudem wurden schwere Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom und Leberfunktionsstörungen beschrieben. Zanamivir (Relenza®) steht nur als Pulver zur Inhalation zur Verfügung. Unter dieser Anwendung wurden gehäuft schwere Bronchospasmen beobachtet. Betroffen waren auch Personen ohne anamnestisch vorhandene Atemwegserkrankungen.

Influenzapandemie

Auswirkungen für Deutschland Als Pandemie wird das länder- oder sogar kontinentübergreifende Auftreten einer Krankheit bezeichnet. Sie treten in der Regel alle zehn bis 40 Jahre auf und verbreiten sich explosionsartig mit Infektionsraten von bis zu 50%. Die großen Pandemien des 20. Jahrhunderts wurden nach ihrem Ursprungsgebiet benannt: 1918 – 1920 Spanische Grippe etwa 20 bis 50 Millionen Tote 1957 – 1958 Asiatische Grippe etwa eine Million Tote 1968 – 1969 Hongkong Grippe etwa eine Million Tote In Deutschland würden im Falle einer Influenzapandemie alleine zwischen sechs und 22 Millionen Menschen erkranken, bis zu 600.000 Menschen müssten stationär behandelt werden, mit 80.000 bis 160.000 Todesfällen wird gerechnet.

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