Aus der Hochschule

Auswahlgespräche für Studienbewerber Pharmazie

Für das kommende Wintersemester haben sich die Zugangsregelungen zum Studium der Pharmazie geändert. Die Universitäten können von der ZVS einen Teil ihrer Autonomie zurückfordern, die Studierenden verstärkt selbst auszuwählen. Verschiedene pharmazeutische Hochschulstandorte haben diese Option auf durchaus unterschiedliche Weise genutzt.

An der Universität Frankfurt am Main wurden erstmals persönliche Auswahlgespräche mit Studienbewerberinnen und -bewerbern durchgeführt.

Für die 1537 bundesweit zur Verfügung stehenden Studienplätze im Fach Pharmazie haben sich zum kommenden Wintersemester 3577 Bewerber beworben, was einer Quote von 2,3 Bewerbern pro Studienplatz und einer Steigerung der Studienplätze von 3,2% sowie der Bewerberanzahl von 16,7% gegenüber dem vorherigen Wintersemester entspricht. In Folge der Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 28. August 2004 werden ab dem Wintersemester 2005/06 die Studienbewerber für Pharmazie nach Abzug einer geringen Vorabquote für Ausländer, Härtefälle, Zweitstudienbewerber usw. nach drei Auswahlquoten ausgewählt:

a. 20% der Studienplätze werden an die Abiturbesten vergeben, b.20% der Studienplätze werden nach der angesammelten Wartezeit zugeteilt, und c. 60% der Studienplätze können nach dem Ergebnis eines hochschuleigenen Auswahlverfahrens vergeben werden.

Wie bisher ist die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) die generelle Bewerbungsstelle für die Numerus clausus (NC)-Fächer und teilt die 40% der Studienplätze der Kategorien a und b zu [1]. Für die verbleibenden 60% haben jetzt die Hochschulen die Chance, diese Plätze nach eigenen Kriterien zu vergeben, wobei aufgrund der rechtlichen Bestimmungen und der bisherigen Erfahrungen die Abiturdurchschnittsnote weiterhin die größte Gewichtung erhalten muss [2]. Die pharmazeutischen Fakultäten in Berlin, Freiburg, Heidelberg, Jena, Mainz, Saarbrücken, Tübingen und Frankfurt haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Sie haben auf der Basis von Ortpräferenzen, gewichteten Einzelnoten, berufsspezifischen Qualifikationen und/oder anderen Indikatoren eine eigene Auswahl getroffen.

160 Gespräche für 50 Studienplätze

An der Frankfurter Universität wurde dieses Verfahren erweitert, indem erstmals individuelle Auswahlgespräche durchgeführt wurden. Für den in Frankfurt zu vergebenden Anteil der Kategorie c von ca. 50 Studienplätzen pro Semester wurden aus den 629 Bewerbern nach einem Schlüssel aus der Abiturnote und der Ortpräferenz zunächst die besten 160 Bewerber ausgewählt und am 23. und 24. August 2005 zu teilstrukturierten Auswahlgesprächen ins Biozentrum nach Frankfurt eingeladen. Dort wurden sie von dreiköpfigen Kommissionen, die jeweils aus einem Professor, einem promovierten Mitglied des akademischen Mittelbaus und einem studentischen Vertreter zusammengesetzt waren, für etwa 20 bis 30 Minuten zur Studienmotivation, zu individuellen Vorraussetzungen, zur Auseinandersetzung mit den Leistungsanforderungen und zu dem erwarteten Studienerfolg befragt.

Die aktuelle rechtliche Lage lässt eine solche Motivationsdiagnostik nur im Zusammenhang mit individuellen Auswahlgesprächen zu. Hierzu wurde im Vorfeld der Befragung ein Gesprächsleitfaden, der die anzusprechenden Themen festlegt, eine Gesprächsstruktur vorgibt und eine einheitliche Beurteilungsskala für verschiedene definierte Kernkompetenzen vorschlägt, erstellt und mit den Interviewern abgestimmt. Basierend auf den Themenfeldern, die die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zur Ermittlung der Motivation und Eignung eines Bewerbers für Studium und Beruf für teilstrukturierte Interviews vorschlägt, wurden dabei verschiedene Fähigkeiten wie naturwissenschaftliche Prägung, analytisches Denken, soziale Kompetenz, mündliches Ausdrucksvermögen sowie Zielorientierung und Belastbarkeit beurteilt [3]. Gleichzeitig bestand für die Bewerber die Möglichkeit, in diesen Interviews selbst Fragen zum Studium und zum Hochschulstandort zu klären.

Persönlicher Eindruck wichtig

Da mit der ZVS-Bewerbung zugleich eine direkte Bewerbung an der Universität erfolgte, wurden wesentliche persönliche Daten über einen einzureichenden biographischen Fragebogen abgefragt [4]. Dieser Fragebogen diente als wichtige Diskussionsgrundlage für die Interviews. Um die als geeignet erkannten Bewerberinnen und Bewerber auch für die Aufnahme des Pharmaziestudiums in Frankfurt zu motivieren, wurden sie durch die Institute geführt. Sie zeigten sich beeindruckt von den offensichtlich guten Studienbedingungen an der Frankfurter Universität, die sie ohne ein derartiges Verfahren vor ihrem Studium nicht kennen gelernt hätten.

Die Frankfurter Universität hat sich diesem hohen administrativen und zeitlichen Aufwand gestellt, um die Studienbewerber nicht nur nach ihrer "Papierform" zu bewerten, sondern um sich und auch den Bewerbern einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Durch das Gespräch werden die Bewerber noch stärker motiviert, sich intensiv mit dem eigenen Studienwunsch und den späteren Berufsanforderungen auseinanderzusetzen. Sie äußerten sich trotz teils sehr langer Anfahrtswege, einer kurzen Benachrichtigungsfrist und einer gewissen Nervosität ausnahmslos positiv zu dem persönlichen Auswahlverfahren und werteten es als zusätzliche Chance, einen Studienplatz für Pharmazie zu erhalten.

Wissenschaftliche Begleitung der Gespräche

Um Anspruch und Outcome der teilstrukturierten Auswahlgespräche zu optimieren, wird das gesamte Verfahren im Rahmen einer Promotionsarbeit der Diplom-Psychologin Sandra Gentsch wissenschaftlich begleitet. Hierbei werden nicht nur die Auswahlkriterien und Gesprächsbedingungen kritisch beleuchtet, sondern auch der Nutzen dieses umfangreichen Auswahlverfahrens für die Pharmazie mittelfristig beurteilt. Die wissenschaftliche Evaluierung und Optimierung des strukturierten Auswahlverfahrens sollen möglichst zuverlässige Prädiktoren für einen Studienerfolg bei optimaler Studiendauer definieren.

Dass für naturwissenschaftlich-medizinische Studiengänge die Abiturnote ein einfacher und verlässlicher Einzelprädiktor darstellt, ist erwiesen. Aber es ist plausibel, dass weitere Faktoren ebenfalls eine wichtige Rolle spielen können. Das Ziel der wissenschaftlichen Begleitung ist es, den Einzelprädiktor "Abiturnote" durch andere individuelle Prädiktoren, wie außerschulische wissenschaftliche, musische, künstlerische und sportliche Höchstleistungen, besondere soziale Kompetenzen, ein hohes Maß an Zielstrebigkeit und Belastbarkeit, eine ausgeprägte Fähigkeit zu analytischem Denken usw., zu ergänzen und damit die Auswahl zu optimieren. Bisher mussten derartige Kriterien ignoriert werden oder konnten zumeist nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Die Interviews geben allen Beteiligten die Möglichkeit, derartige Kriterien in die Beurteilung mit einzubeziehen und den positiv beurteilten Bewerberinnen und Bewerbern einen schnellen Zugang zum Pharmaziestudium zu gestatten, denen wegen einer nicht dem NC-Schnitt entsprechenden Abiturnote ein Pharmaziestudium zunächst versperrt geblieben wäre. Während aus psychometrischer Sicht Objektivität und Zuverlässigkeit von freien Auswahlgesprächen eher zurückhaltend beurteilt werden, steigen diese Parameter mit zunehmender Strukturierung der Interviews deutlich an. Die Erfahrungen vergleichbarer Verfahren in der Medizin aus früheren Jahren konnten zwar keinen höheren Studienerfolg nach Auswahlverfahren über Interviews oder Tests gegenüber einem reinen NC-Verfahren nachweisen [5, 6], es ist aber offen, ob sich diese früheren Erfahrungen aus der Medizin aktuell auf die Pharmazie übertragen lassen. So lässt sich nach bisherigen empirischen Werten und den eigenen Erfahrungen aus den durchgeführten Interviews eine hohe Motivationssteigerung der Studienbewerber ablesen.

Im besonderen Fall Frankfurts, das von zahlreichen Studienbewerbern nicht als attraktive Universitätsstadt, sondern eher als Stadt der Banken und Versicherungen oder als Verkehrsknoten wahrgenommen wird, bietet dieses Verfahren nicht nur die Möglichkeit, die am besten geeigneten Studenten auszuwählen. Es bietet auch die Chance, die herausragenden Studienbewerber für Frankfurt zu gewinnen, die ansonsten ein Studium in Frankfurt nicht ernsthaft in Erwägung gezogen und unter den alten Zulassungsbedingungen sich für einen anderen Standort entschieden hätten. Allerdings wird sich erst erst im Verlauf der nächsten Studienjahre zeigen, ob dieses aufwendige Auswahlverfahren tatsächlich einen Vorteil gegenüber dem bisherigen Verfahren aufweist. Die einjährige Pilotphase dieses Frankfurter Projektes wird sicherlich bereits erste Resultate dieser Verfahrensbeurteilung liefern.

Sandra Gentsch, Theo Dingermann, Holger Stark, Frankfurt am Main

 

Quellen

[1] www.zvs.de.
[2] Baron-Boldt, J., Schuler, H., Funke, U.: Prädiktive Validität von Schulab- schlussnoten: Eine Metaanalyse. Zeit- schrift für Pädagogische Psychologie, 2, 79 – 90 (1988).
[3]  Bundesvereinigung der deutschen Ar- beitgeberverbände: Auswahlgespräche mit Studienbewerbern. Handreichung für die Hochschulen. ITB Consulting GmbH, Bonn 2001.
[4] www.pharmazie.uni-frankfurt.de/ PDFs/Biographischer-Fragebogen.pdf.
[5] Trost, G.: Interview. In: K. Pawlik (Hrsg.): Grundlagen und Methoden der Differentiellen Psychologie. Enzyklo- pädie der Psychologie, Themenbereich C, Serie VIII (S. 463 – 505). Göttingen 1996.
[6]  Trost, G., Klieme, E., Nauels, H.-U.: Prognostische Validität des Tests für medizinische Studiengänge (TMS). In: Th. Hermann (Hrsg.): Hochschulentwicklung –  Aufgaben und Chancen. Heidelberg 1997, S. 57 – 78.

 

Wozu der Aufwand?

Ziel dieses für alle Seiten recht aufwendigen Verfahrens ist es, mittels einer möglichst objektiven, zuverlässigen, validen und rechtlich tragfähigen Auswahlentscheidung eine höhere Passung zwischen den Anforderungen des Pharmaziestudiengangs der Hochschule und den Qualifikationsprofilen der Studienplatzbewerber zu erreichen, um so die Möglichkeit zu optimieren, Studierende zu einem erfolgreichen und raschen Abschluss ihres Studiums zu führen.

 

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