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Wahlprüfsteine Teil III: Gesundheitspolitik - Solidarisch oder pauschal?

Die künftige Marschrichtung in der Gesundheitspolitik war bislang noch kein wahrnehmbares Thema im Wahlkampf. Weder die Regierungsparteien noch die Opposition haben sich in dieser Frage lautstark positioniert. Auf die konkrete Nachfrage von ADEXA gab es aber mehr oder weniger detaillierte Aussagen, die hier vorgestellt werden sollen:

 

Wahlprüfstein 5: Entwicklung im Gesundheitswesen

Die SPD sieht hier offensichtlich wenig Änderungsbedarf und ist – mit Ausnahme der Finanzierungsfrage – mit dem Status quo recht zufrieden. Sie schrieb an ADEXA: "Unser Gesundheitswesen ist gut, auch im internationalen Vergleich. Jeder erhält notwendige medizinische Leistungen auf der Höhe des medizinischen Fortschritts. Das Gesundheitswesen ist auch unsere größte Branche, in ihr finden über 4 Millionen Menschen sinnvolle Beschäftigung. Das soll auch so bleiben. ...Jetzt gilt es, die langfristige Finanzierung unseres Gesundheitswesens zu sichern." (s. u.)

Im Gegensatz dazu plant der bisherige Koalitionspartner, die Grünen, weitere Reformen und Strukturveränderungen, die mehr Wettbewerb schaffen sollen. Auch soll es mehr Zusammenarbeit in der ambulanten und stationären Versorgung geben; die Integrierte Versorgung soll weiter ausgebaut werden. Prävention und Gesundheitsförderung sollen gesetzlich verankert werden – so wie im Präventionsgesetz vorgesehen, das vom unionsdominierten Bundesrat gestoppt worden ist. "Ein Schwerpunkt soll die Gesundheitsförderung in der frühesten Kindheit sowie Gesundheitserziehung in Kindergärten und Schulen sein." Außerdem sollen die Patientenrechte gestärkt, ihre Selbstbestimmung und Selbstorganisation besser abgesichert und ihr Zugang zu Informationen verbessert werden.

Strukturen im Gesundheitswesen verändern will auch die Linkspartei. Ihre Antwort auf die ADEXA-Frage nach den Zielen in der Gesundheitspolitik war besonders ausführlich. Sie formuliert darin fünf vorrangige Maßnahmenschwerpunkte:

  • Erweiterung und Stärkung der Rechte von PatientInnen – z. B. auch im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).
  • Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung – u. a. die besondere Förderung sozial benachteiligter Zielgruppen.
  • Höhere Qualität – z. B. durch mehr verbindliche evidenzbasierte Behandlungsstandards, bessere sektorenübergreifende Versorgung und Qualitätsmanagement. Ganzheitliche Behandlungsansätze sollen gestärkt werden, unter Beachtung von alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifischen Besonderheiten, und auch die "sprechende Medizin" durch angemessene Honorierung. Außerdem sei eine Positivliste für Arzneimittel dringend erforderlich. Rezeptfreie Arzneimittel (AM) sollen wieder zulasten der GKV verordnet werden können. Laienwerbung für AM soll verboten werden zugunsten industrieunabhängiger Beratungsangebote. Für Disease Management Programme sollen evidenzbasierte Arzneimittelstandards und -leitlinien entwickelt werden. Bei der Zulassung von AM soll das Kriterium "therapeutischer Fortschritt" neu aufgenommen werden.
  • Schaffung regionaler Gesundheitsstrukturen – z. B. durch mehr medizinische Versorgungszentren bzw. Polikliniken und eine regionalbasierte Integrierte Versorgung. Eine weitere Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen lehnt die Linkspartei ab.
  • Reduzierung der Anzahl von Krankenkassen, die ähnlich wie die Rentenkassen vereinheitlicht und regionalisiert werden sollen. Langfristig soll eine einheitliche Organisation der Sozialversicherungen entstehen. Die FDP geht in ihrer Antwort nicht auf Fragen der Qualität im Gesundheitswesen, der Prävention oder der Arzneimittelversorgung ein. Im Mittelpunkt steht die Frage der künftigen Finanzierung – insbesondere mit Blick auf die demografische Entwicklung – und der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Lohnnebenkosten und GKV-Beiträgen (dazu mehr s. u.).

Ähnlich im Tenor die Antwort der Union: Auch hier stehen die Kosten im Gesundheitswesen und ihre Auswirkungen auf den Faktor Arbeit im Vordergrund. Immerhin: "Eine Zwei-Klassen-Medizin wird es mit uns nicht geben." Das von CDU/CSU geplante "grundlegend neue, zukunftssichere System der gesetzlichen Krankenversicherung" soll eine qualitativ hochwertige Gesundheitsvorsorge für alle sicherstellen. Der Wettbewerb von Kassen, Ärzten, Krankenhäusern, Arzneimittelherstellern und Apotheken (!) muss aus Sicht der Union deutlich gestärkt werden. Einzelheiten werden jedoch nicht genannt.

Wahlprüfstein 6: Finanzierung der GKV

Bürgerversicherung oder Kopfpauschale – diese scheinbaren Gegensätze bestimmen schon länger die gesundheitspolitische Diskussion. Voll ausgereift sind die Konzepte der Parteien in diesem Punkt – aufgrund des vorgezogenen Wahltermins – vermutlich noch nicht. Doch lassen ihre Antworten erkennen, wohin die Marschrichtung gehen soll.

Die SPD schrieb: "Der medizinische Fortschritt und der veränderte Altersaufbau der Gesellschaft erfordern nicht weniger, sonder mehr Solidarität, aus der sich niemand ab einer bestimmten Einkommensgrenze verabschieden darf." Dazu soll eine Bürgerversicherung entstehen, die GKV und PV in einem System zusammenfasst. Darin sind alle versichert – auch Gutverdiener, Beamte, Selbstständige und Politiker. Der gesetzliche Leistungskatalog bleibt bestehen, jede Kasse muss jeden versichern. Die Beiträge sind abhängig vom Einkommen (Gehälter bzw. Renten und Kapitalerträge). Die beitragsfreie Versicherung von Familienmitgliedern ohne Einkommen bleibt wie gehabt. Die Beitragsbemessungsgrenze bleibt ebenfalls bestehen.

Die Grünen sehen leichte Abweichungen bei der Bürgerversicherung vor: Für die Beiträge werden auch Mieteinnahmen berücksichtigt. Die Beitragsbemessungsgrenze soll "moderat" angehoben werden. Beitragsfreiheit soll es nur für Kinder geben und für Ehegatten oder Lebenspartner, die Kinder erziehen oder Pflegeleistungen erbringen. Für alle anderen soll ein Ehegattensplitting eingeführt werden. Dazu wird das Einkommen rechnerisch halbiert und ist jeweils bis zur Beitragsbemessungsgrenze beitragspflichtig. Partner können unterschiedliche Kassen wählen. Durch die breitere Finanzierungsgrundlage sehen die Grünen Spielraum für niedrigere Beiträge und geringere Lohnnebenkosten. Außerdem können auch Obdachlose oder Selbstständige mit niedrigem Einkommen abgesichert werden, die sonst gar nicht oder zu überhöhten Mindestbeträgen versichert waren. Die Parität der Beiträge zwischen AN und AG soll – bis auf den kürzlich eingeführten Sonderbeitrag – erhalten bleiben.

Auch die Linkspartei spricht sich für eine solidarische Bürgerversicherung aus, bei der alle Mitglieder der GKV werden. Private Kassen werden nur noch für Zusatzversicherungen benötigt. Die Beitragsbemessungsgrenze soll zunächst deutlich angehoben werden und später ganz wegfallen. Die Parität bei der Finanzierung der GKV, die nach Meinung der Linkspartei schon länger erheblich gestört ist (38% Unternehmen, 62% Arbeitnehmer), soll wieder hergestellt werden.

Auch CDU/CSU mögen sich von dem Begriff Solidarität noch nicht verabschieden; deshalb heißt ihr Modell "solidarische Gesundheitsprämie". Aus den recht knappen Erläuterungen geht jedoch nicht hervor, was daran eigentlich solidarisch ist. Die Höhe der Prämie wird nicht genannt, es heißt lediglich: "Niemand zahlt bei Einführung der solidarischen Gesundheitsprämie mehr als bisher." Da aber der Arbeitgeberanteil dauerhaft festgeschrieben werden soll, um die Lohnkosten zu senken, ist damit zu rechnen, dass bei wachsenden Kosten der Arbeitnehmeranteil steigt. Versicherte mit niedrigem Einkommen sollen einen Sozialausgleich erhalten. Kinder werden beitragsfrei versichert, die Beiträge aus Steuern finanziert. Der Kreis der Versicherten soll offensichtlich gleich bleiben und auch die Versicherungspflichtgrenze bleibt bestehen, ebenso die getrennten Säulen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ganz auf die Wahlfreiheit des mündigen Bürgers setzt die FDP. Aufbauend auf einer Basisversorgung als Pflichtversicherung kann jeder seinen Schutz frei wählen. Dafür sollen die Bürger steuerlich entlastet werden. Frei wählbar sind auch Versicherer und Leistungserbringer. Die Wahlfreiheit beim Umfang des Versicherungsschutzes könnte jedoch dazu führen, dass sich die jetzt schon existierenden Unterschiede in der Gesundheitsversorgung je nach sozialer Schicht noch weiter verstärken. Die FDP will wie die Union die Kopplung der Beiträge an die Lohnzusatzkosten aufheben. Mehr Wettbewerb auf allen Ebenen soll zu mehr Effizienz und Versorgungsqualität führen. Um der demografischen Entwicklung Rechnung zu tragen, soll die Finanzierung auf Kapitaldeckung umgestellt werden.

 

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ADEXA gibt keine Empfehlung für eine bestimmte Partei oder ein politisches Lager. Die Serie

„Wahlprüfsteine“ ist als Orientie- rungshilfe für unsere Mitglieder gedacht (Start war in DAZ Nr. 32, S. 63).

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