Arzneimittel und Therapie

Therapiefortschritte durch Arzneistoffinnovatio

Die Erfolge in der Medizin in den letzten 50 Jahren sind zu einem wesentlichen Teil darauf zurückzuführen, dass es gelungen ist, wirksame, nebenwirkungsarme Arzneimittel zu entwickeln. Welche Fortschritte demnächst zu erwarten sind, zeigte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz in seiner Weihnachtsvorlesung am 22. Dezember 2004 in Frankfurt.

"Ohne Arzneimittel hätten wir weniger Erfolg in der Behandlung vieler Erkrankungen", führte Professor Schubert-Zsilavecz aus und nannte als Beispiel die Hypertonie. Der Bluthochdruck war in den 50er Jahren nicht behandelbar, heute stehen dagegen zahlreiche wirksame blutdrucksenkende Mittel zur Verfügung. Ein weiteres Beispiel für einen Therapieerfolg ist die Behandlung des peptischen Ulcus. Während früher die Patienten operiert werden mussten, kann die Erkrankung heute in vielen Fällen mit Protonenpumpen-Inhibitoren und Antibiotika, die gegen Helicobacter pylori wirken, geheilt werden.

Auch viele psychiatrische Patienten profitieren von den Fortschritten in der Arzneimitteltherapie. So werden Patienten mit Psychosen heute in vielen Fällen nicht mehr stationär behandelt, sondern können dank moderner Psychopharmaka in die Gesellschaft integriert werden.

Diabetiker können dank der Fortschritte in der Arzneimitteltherapie gut mit ihrer Krankheit leben, und viele andere Krankheiten können dank neuer Arzneimittel wirksam therapiert werden. Dazu gehören multiple Sklerose, Depressionen, Hyperlipidämien, die HIV-Infektion und Osteoporose.

Atrasentan zur Behandlung des Prostatakarzinoms

Und die Entwicklung geht weiter. Sehr große Fortschritte werden zurzeit bei der Behandlung von Krebserkrankungen erzielt. Die meisten Krebsarten können kurativ schlecht behandelt werden. Doch man kann schon heute einigen davon Einhalt gebieten, und die Möglichkeiten dazu werden laufend verbessert. Damit werden viele Krebsarten zu chronischen Erkrankungen, die behandelbar sind und mit denen der Patient lange leben kann.

Ein Angriffspunkt für neue Krebsmittel ist der Endothelin-Rezeptor. Endothelin ist eine starke vasokonstriktiv wirkende Substanz, die den Blutdruck steigert. Der Endothelin-Rezeptor-Antagonist Bosentan wird zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie eingesetzt.

Endotheline spielen aber auch bei der Progression von Tumorerkrankungen eine wichtige Rolle. So verlangsamt der oral verfügbare Endothelin-Antagonist Atrasentan das Tumorwachstum beim Prostatakarzinom und wirkt bei Knochenmetastasen antiproliferativ und schmerzlindernd.

Gefäßneubildung verhindern: Angiogenesehemmer

Bevacizumab Die Neubildung von Gefäßen (Angiogenese) ist eine notwendige Voraussetzung für das Wachstum von Tumoren. Unter physiologischen Bedingungen findet eine Angiogenese bei Erwachsenen nur bei der Wundheilung oder während der Aufbauphase des Endometriums im Menstruationszyklus der Frau statt. Auch ein Tumor benötigt neue Gefäße, damit er bei wachsender Größe ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt wird. Deren Bildung wird durch verschiedene Faktoren gefördert. Einer der wichtigsten ist der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor).

Der Wachstumsfaktor ist die Achillesferse des Tumors: Wenn VEGF gehemmt wird, hungert das Krebsgeschwür und kann nicht weiter wachsen. Dieses Ziel wird mit dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab (Avastin®) angestrebt, der sich gegen VEGF richtet und damit die Angiogenese im Tumor hemmen soll.

Das Prinzip ist in der klinischen Praxis wirksam: In Kombination mit einem etablierten Chemotherapie-Regime verlängerte Bevacizumab das Überleben beim kolorektalen Karzinom signifikant um rund fünf Monate – das entspricht 30 Prozent. Die Patienten der Bevacizumab-Gruppe überlebten im Durchschnitt 20,3 Monate, die Patienten, die nur die Standardtherapie (Fluorouracil, Folinsäure, Irinotecan oder Oxaliplatin) erhielten, lebten nur noch 15,6 Monate.

Die europaweite Zulassung von Bevacizumab für Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom ist Anfang 2005 zu erwarten.

Wirksame Antiemese bei Chemotherapie

Die meisten Tumorerkrankungen werden heute mit einer Hochdosis-Chemotherapie behandelt. Dabei wird die Dosis so hoch wie möglich gewählt, um die Krebszellen möglichst vollständig zu zerstören. Die Dosis wird durch die toxischen Wirkungen auf den Gesamtorganismus begrenzt, unter anderem durch Übelkeit und Erbrechen. Erst seit Einführung der Setrone kann die Dosis einer Chemotherapie deutlich gesteigert werden.

Auf diesem Gebiet gibt es weitere Verbesserungen: Im Dezember 2003 wurde der nicht peptidische selektive Neurokinin-1-Rezeptorantagonist Aprepitant (Emend®) zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen während einer hoch emetogenen Zytostatikatherapie eingeführt. Aprepitant wird sowohl für die Prophylaxe des akuten Erbrechens als auch zur Vorbeugung des verzögerten Erbrechens eingesetzt, das zwei bis fünf Tage nach der Applikation eines Zytostatikums auftreten kann.

Neurokinin-1-Rezeptoren sind G-proteingekoppelte Rezeptoren, die in vielen zentralen und peripheren Nervenzellen, aber auch in glatten Muskelzellen, Endothelialzellen, Drüsenzellen, Fibroblasten und in Immunzellen vorkommen. Diese Rezeptoren sind an der neuronalen Vermittlung des Brechreizes beteiligt.

Aprepitant wird zusätzlich zu einer Standardtherapie (Glucocorticoid und 5-HT3-Antagonist) verabreicht. Das neue Therapieregime mit Aprepitant erwies sich gegenüber der bisherigen Standardtherapie bei der Prävention sowohl der akuten (in den ersten 24 Stunden nach der Chemotherapie) als auch der verzögerten (an den 2 bis 5 Tagen nach der Chemotherapie) Symptomatik als signifikant überlegen.

Exenatide bei Diabetes mellitus

Zur Behandlung des Typ-2-Diabetes soll im Jahr 2005 das Inkretin-Analogon Exenatide eingeführt werden. Das Peptid aus 38 Aminosäuren wird subkutan injiziert. Es ist eine synthetische Version von Exendin-4, das ursprünglich aus dem Speichel einer Echse aus Arizona isoliert wurde. Diese Echse nimmt nur viermal im Jahr Nahrung auf und schaltet ihr Pankreas den Rest der Zeit aus. Bei Nahrungsaufnahme wird das Pankreas über die Sekretion von Exendin-4 eingeschaltet.

Das Eidechsen-Hormon stimuliert beim Menschen, ähnlich wie das natürliche Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1), glucoseabhängig die Insulinfreisetzung, inhibiert die postprandiale Glucagonfreisetzung und verzögert die Nährstoffabsorption vom Darm in den Blutkreislauf. Außerdem kann es die Proliferation der insulinproduzierenden Inselzellen des Pankreas regulieren. Im Gegensatz zum natürlichen Hormon GLP-1 wird Exenatide nicht so schnell metabolisiert.

Neues Mittel gegen Adipositas: Rimonabant

Ein neuer Wirkstoff soll bei einer Gewichtsabnahme und bei der Entwöhnung von Rauchern helfen: Rimonabant (vorgesehener Handelsname Acomplia®) blockiert die CB1-Rezeptoren im Endocannabinoid-System, das für die Regulierung des Körpergewichtes, des Fettmetabolismus und der Tabakabhängigkeit verantwortlich ist. Die Zulassung soll im zweiten Quartal 2005 beantragt werden.

Ranolazin bei KHK

Zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit werden Betablocker, Calciumantagonisten und Nitrate eingesetzt. Diese Mittel reduzieren die Vor- und die Nachlast und senken den kardialen Sauerstoffverbrauch. Die neue Substanz Ranolazin (vorgesehener Handelsname Ranexa®) erreicht dieses Ziel mit einem neuen Wirkungsmechanismus. Er wirkt als partieller Fettsäure-Oxidations-(pFOX)-Inhibitor.

Die Herzmuskelzelle benutzt Glucose und freie Fettsäuren zur Energiegewinnung. Bei der Verbrennung von Glucose wird weniger Sauerstoff benötigt als bei der Oxidation von Fettsäuren. Ranolazin hemmt die Fettsäureoxidation teilweise und sorgt so dafür, dass wieder mehr Glucose oxidiert wird. Dadurch kann der Herzmuskel pro Sauerstoffeinheit mehr Energie nutzen. So verringert Ranolazin den Sauerstoffbedarf des Herzmuskels, ohne dass Herzmuskelleistung, Herzfrequenz oder Blutdruck abnehmen. Das senkt den Energieverbrauch und verhindert ischämische Schäden.

Bessere Behandlung der Niereninsuffizienz mit Cinacalcet

Das oral anwendbare niedermolekulare Calcimimetikum Cinacalcet (Mimpara®) wird für die Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus bei Patienten mit chronischem Nierenversagen sowie für die Behandlung erhöhter Serumcalciumspiegel (Hyperkalzämie) bei Patienten mit Nebenschilddrüsenkarzinomen eingeführt.

Beim sekundären Hyperparathyreoidismus von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz kommt es zu erhöhten Parathormon- sowie erhöhten Calcium- und Phosphatspiegeln im Blut. Hierdurch entwickelt sich eine renale Osteopathie. Parathormon ist ein wichtiger Regulator des Calciumstoffwechsels. Wird der sekundäre Hyperparathyreoidismus nicht behandelt, kann es bei den Betroffenen einerseits zu Knochenschmerzen und -brüchen, andererseits zu Verkalkungen in Gefäßen und im Gewebe kommen, die mit kardiovaskulären Verkalkungen einhergehen können.

Beim Karzinom der Nebenschilddrüse wird übermäßig viel Parathormon ausgeschüttet. Hohe Serumcalciumspiegel bei Nebenschilddrüsenkarzinomen können zu Knochenbrüchen, Nierensteinen, Depressionen, Angstzuständen, Übelkeit, Erbrechen und in seltenen Fällen zu Komazuständen führen.

Cinacalcet bindet an den für Calciumionen empfindlichen Rezeptor ("Calciumionen-Sensor") auf der Oberfläche der Nebenschilddrüsen, der die Parathormon-Ausschüttung reguliert. Indem das Calcimimetikum die Empfindlichkeit des Rezeptors gegenüber extrazellulären Calciumionen steigert, senkt es die Parathormon-Sekretion, ohne Calcium- und Phosphat-Spiegel zu erhöhen. hel

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