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ANZAG-Chef Trümper: An einer Grenze angelangt...

(diz). Das GKV-Modernisierungsgesetz hat auch beim Großhandel Spuren hinterlassen. Nicht nur die Halbierung der Marge führte zu Veränderungen im Geschäft mit den Kunden, den Apotheken. In einem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Pharmagroßhandlung ANZAG, Dr. Thomas Trümper, fragten wir nach den Auswirkungen auf den Großhandel, auf das Tagesgeschäft und wollten Zukunftsperspektiven wissen.

 

DAZ:

Herr Dr. Trümper, anderthalb Jahre GKV-Modernisierungsgesetz liegen hinter uns. Was sind aus Ihrer Sicht die bemerkenswertesten Veränderungen, die sich dadurch im Apotheken- und Pharmagroßhandelsbereich ergeben haben? Wie bewerten Sie diese Veränderungen?

Trümper:

Die Diskussionen im Vorfeld des GMG, also bereits im Jahr 2003, haben zu einer sehr negativen Stimmung geführt. Die Apotheken sind davon ausgegangen, dass sie durch das GMG stärker beschnitten werden, als es dann tatsächlich der Fall war – von Ausnahmen abgesehen. Im Großhandel haben wir die Situation relativ richtig eingeschätzt: Mit der Halbierung der Marge beabsichtigten die Politiker, den Wegfall der Großhandelsrabatte. Es war nicht vorgesehen, dass der Großhandel durch eine Reduzierung seiner Ergebnisse zum Erfolg des GMG beitragen sollte, was aber dennoch stattgefunden hat. Der Großhandel ist in einer Sandwich-Position zwischen Apotheke und Pharmaindustrie. Wenn durch gesetzliche Einschnitte bei Apotheke und Industrie Druck entsteht, dann wird dieser Druck zwangsweise auf uns weitergeleitet, so auch im Falle des GMG. Wir verzeichnen Monat für Monat rückläufige Margen. Zwar werden wir im laufenden Geschäftsjahr noch einmal insgesamt etwa das Ergebnis des Vorjahres erreichen, doch werden sich diese Rückgänge im nächsten Jahr deutlicher auswirken. Wir sind an einer Grenze angelangt, wo auch unsere Leistungskraft betroffen ist: Es besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr das leisten können, was wir eigentlich leisten möchten.

DAZ:

Welchen Druck spüren Sie von Seiten der Apotheken?

Trümper:

Aus Sorge vor Ergebnisrückgängen haben sich einige Apotheken auf Initiative von einigen Kollegen, aber auch von Rechtsanwälten und Steuerberatern zu mehr oder weniger losen Gruppierungen zusammengetan.

DAZ:

Sie sprechen hier nicht von den in den letzten Jahren entstandenen Kooperationen?

Trümper:

Nein, damit meine ich nicht die Kooperationen, sondern die losen Gruppierungen von Apotheken, die sich zusammenschließen, um Einkaufsvorteile beim Großhandel herauszuholen. Sie wollen mit einer gebündelten Einkaufsmacht von fünf, sechs oder mehr Apotheken besondere Konditionen mit dem Großhandel aushandeln. Das ist für uns eine vollkommen veränderte Situation, die es früher so nicht gab. Die Verhandlungen werden mit relativ viel Rücksichtslosigkeit und wenig Sachkenntnis geführt. Die Leute, die solche Apothekengruppen anführen, kennen oft den Markt nicht: Sie vergleichen die Konditionen unterschiedlicher Apotheken, ohne die Hintergründe einschätzen zu können. Mit ihrer Einkaufsmacht versuchen sie Druck auf den Großhandel auszuüben. Leider erkennen die Betreiber dieser Gruppierungen nicht, dass dies letztlich zum Schaden der Apotheken und unseres Distributionssystems für Arzneimittel sein wird. Ich kann hier nur an die Apotheker appellieren und sagen: Lassen Sie sich nicht von irgendwelchen Beratern treiben und Konditionen suggerieren, ohne den Markt zu kennen. Viele der Leistungen, die der Großhandel erbringt, sind nicht auf den ersten Blick ersichtlich, aber für den Markt wichtig, so z. B. das Handling der Rückrufe. Das sind Dienstleistungen, die der Großhandel erbringt und die bezahlt werden müssen. Unsere Margen sind derzeit so niedrig, dass sich die Frage erhebt, ob man das gewohnte Leistungsniveau erhalten kann.

DAZ:

Mit diesen Einkaufsgruppierungen wird sicher nicht nur die ANZAG, sondern werden auch die Mitbewerber zu kämpfen haben. Baut sich dieser Druck nicht dadurch ab, dass letztendlich kein Großhandel diese geforderten Konditionen gewähren kann?

Trümper:

Ein Nein wird sicher irgendwann einmal kommen müssen. Andererseits ist es ein Phänomen unserer Zeit, dass es zu ruinösen Preiskämpfen und Preiswettbewerben kommt, siehe der Automobilmarkt in den USA, wo auf der Jagd nach Kunden exorbitante Rabatte gewährt werden.

DAZ:

Welche gesetzliche Vorschrift des GMG hatte neben der Halbierung der Margen Auswirkungen auf das Großhandelsgeschäft?

Trümper:

Vor allem ist der Ausschluss von OTC-Präparaten von der Verordnung zu Lasten der GKV zu nennen. Die Rechnung ist nicht aufgegangen, wenn man glaubte, die Versicherten erwerben diese Produkte nun selbst. Hier hat es gigantische Rückgänge gegeben. Der Großhandel ist außerdem durch die verstärkte Verordnung von Großpackungen betroffen. Das führte zu einem Rückgang der Packungszahlen.

DAZ:

Hat dies positive oder negative Auswirkungen auf der Pharmagroßhandel?

Trümper:

Im Prinzip ist es natürlich gut, aber bei hoch automatisierten Betrieben können Sie nicht so flexibel reagieren wie es notwendig wäre. Die Systeme sind auf eine gewisse Frequenz eingestellt, die in den vergangenen Jahren nie nach unten gegangen ist.

DAZ:

Herr Dr. Trümper, wagen wir den Blick in die Zukunft. Wir werden davon ausgehen können, dass wir Neuwahlen bekommen und möglicherweise auch eine neue Regierung. Was erhoffen Sie sich von einem Regierungswechsel?

Trümper:

Gerade in der Gesundheitspolitik sind Entwicklungen sehr schwer abzuschätzen. Der Kostendruck im Gesundheitswesen bleibt. Ich wünsche mir, dass man auf Seiten der Politik rationaler und weniger populistisch an die Themen herangeht. Man sollte beispielsweise deutlicher sehen, dass nur 14% der GKV-Ausgaben den Arzneimittelbereich betreffen. Aber es wird immer so getan, als ob das Wohl und Wehe des Gesundheitswesens an den Einsparungen im Arzneimittelbereich hängt – dabei gibt es weit gravierendere Kostenblöcke im Gesundheitswesen. Leider ist es in der Bevölkerung und auch bei Politikern nicht deutlich geworden, welche Leistungen Apotheken und Großhandel erbringen. Eine Palette Arzneimittelpackungen auspacken, ins Lager räumen und dann auf Anforderung an die Apotheke transportieren, – so die häufige Vorstellung – das kann jede Spedition. Der Großhandel leistet aber viel, viel mehr.

DAZ:

Fehlt es hier an einer besseren Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit des Großhandels?

Trümper:

Das müssen wir mit Sicherheit tun, mit dem Bundesverband des Pharmagroßhandels Phagro haben wir bereits reagiert und den Hauptsitz des Phagro nach Berlin verlegt, um näher an der Politik zu sein. Der Verband hat zwar bisher gute Arbeit geleistet, aber wir müssen unseren Auftritt verstärken.

DAZ:

Weiß die Industrie die logistische und umfassende Leistung des Großhandels überhaupt zu schätzen?

Trümper:

Auch die Industrie muss meiner Meinung nach erkennen, wie wertvoll der Großhandel für sie ist. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweitung des Direktgeschäftes sehr bedenklich. Auch über diese Schiene werden wir immer mehr in die Enge gedrängt.

DAZ:

Haben Sie eine Verstärkung des Direktgeschäftes festgestellt?

Trümper:

Ja, das Direktgeschäft hat sich verstärkt und inzwischen ein hohes Niveau von etwa 14% erreicht. Aus unserer Sicht ist das Direktgeschäft für keinen der Marktteilnehmer sinnvoll. Der Industrie bringt es eher weniger Ertrag als mehr, denn sie gibt der Apotheke die Ware zu günstigeren Konditionen als dem Großhandel. Der betriebswirtschaftlich denkende Apotheker müsste erkennen, dass die vermeintlichen Vorteile aus diesem Geschäft durch einen sehr hohen Abwicklungsaufwand aufgefressen werden. Die Abwicklung und das Handling von Bestellungen ist wesentlich komplizierter als eine Bestellung über den Großhandel. Letztlich kann ich auch die Industrie nicht verstehen, auch vor dem Hintergrund von Reimporten, grauen und schwarzen Markt. Wenn sie das Geschäft ausschließlich über den Großhandel abwickeln würde, könnte sie den Markt besser im Griff behalten.

DAZ:

Nehmen wir das Stichwort Versandapotheke. Hat es für den Großhandel eine Bedeutung, dass jetzt Versandapotheken möglich sind?

Trümper:

Über die Versandapotheke wird nach meiner Meinung zu viel geredet. Versandapotheken sind in Deutschland gesetzlich erlaubt und sie mögen ihre Berechtigung haben. Versandapotheken im Ausland, die die deutschen Regelwerke nicht beachten müssen, halte ich allerdings für nicht gerecht. Das kann nicht im Sinne der Europäischen Union sein. Die nationalen Beschränkungen, die es zu Recht im Arzneimittelmarkt gibt, dürfen nicht dazu führen, dass sie von anderen Ländern zum Nachteil der deutschen Apotheken ausgenutzt werden.

DAZ:

Die ausländischen Versandapotheken, die auf deutsche Ware angewiesen sind, werden von irgendjemand beliefert. Können Sie die Hand dafür ins Feuer legen, dass dies nicht von der Pharmagroßhandlung ANZAG und deren Filialen geschieht?

Trümper:

Das kann ich mit absoluter Sicherheit sagen. Leider werden Sie nie verhindern können, dass ausländische Versandapotheken sich mit deutscher Ware eindecken und wenn sie in Deutschland ihren eigenen Großhandel gründen und darüber Ware vom Hersteller beziehen. Aber noch einmal: Wir beliefern diese ausländischen Versandapotheken nicht.

DAZ:

Rechnen Sie damit, dass der Mehrbesitz ausgeweitet wird und vielleicht auch der Fremdbesitz kommt?

Trümper:

In dieser Diskussion wird oft übersehen: In allen Ländern, in denen Ketten erlaubt sind, gibt es Niederlassungsbeschränkungen für Apotheken. In Deutschland dagegen gibt es absolute Niederlassungsfreiheit. Wenn hier die Kette erlaubt würde, gäbe es nach meiner Auffassung ein Chaos im Markt. Absolute Niederlassungsfreiheit passt nicht zum freien Fremd- und Mehrbesitz.

DAZ:

Aber gesetzt den Fall, die Politiker hören nicht auf solche Warnungen und erlauben den Fremdbesitz. Gibt es dann den Plan X bei der ANZAG, mit dem man auf diese Situation vorbereitet ist?

Trümper:

Einen solchen Plan gibt es nicht. Bei uns gibt es nur einen Plan, der lautet: Wir wollen die selbstständige Apotheke in ihrer Marktbedeutung stärken. Dafür haben wir unser Kooperationsprogramm vivesco eingeführt. Zur Kettenbildung sage ich ein deutliches Nein. Die Kette macht in Deutschland keinen Sinn. Doch es wurden schon viele Dinge beschlossen, die keinen Sinn machen. Aber solange das System in Deutschland so gut wie jetzt funktioniert, unterstützen wir dieses System und hintertreiben es auch nicht.

DAZ:

Beim Stichwort vivesco, der Apothekenkooperation der ANZAG, hört man ab und an Vorwürfe, mit dieser Kooperation wird bereits die Kettenbildung vorbereitet oder angestrebt …

Trümper:

Solche Vorwürfe weise ich zurück. Mit vivesco stärken wir vielmehr den einzelnen individuellen Apotheker. vivesco bietet ihm Marketingmaßnahmen und Verkaufsunterstützung. Mit vivesco verbinden wir gleichzeitig einen Qualitätsbegriff, der sich auch an den Endverbraucher wendet. Das stärkt wiederum die Apotheke. Vivesco soll keineswegs das Apotheken-A oder den individuellen Apothekennamen zurückdrängen. Der Patient soll wissen, dass vivesco für eine gute Leistung steht, auch für eine gute Kundenzeitschrift.

DAZ:

Verpflichtet sich der Apotheker durch den Beitritt zu vivesco zu gewissen Normen?

Trümper:

Apotheker, die hier mitmachen, sind stille Gesellschafter bei vivesco. Die Verträge, die der Apotheker mit vivesco schließt, sind allgemein gehalten. Wir gehen davon aus, dass der Apotheker, der zu vivesco geht, von sich aus einen gewissen Qualitätsanspruch erfüllen will. Er will eine freundliche Bedienung und kompetente Beratung anbieten. Ich vertrete die Auffassung: Wenn man einen Vertrag braucht, um etwas durchzusetzen, dann ist das dieser wertlos.

DAZ:

Die Unabhängigkeit des Apothekers ist gewahrt?

Trümper:

Selbstverständlich. Es besteht keine Verpflichtung, bestimmte Warengruppen und Warenmengen aufzunehmen. Der Apotheker kann sich frei entscheiden, ob er bei Category-Management-Aktionen oder bei Werbemaßnahmen mitmacht.

DAZ:

Und wenn ein Kunde nicht bei Ihrer Kooperation mitmachen möchte? Ist er dann Kunde zweiter Klasse?

Trümper:

Vivesco ist nur für einen bestimmten Kreis von Apotheken sinnvoll. Für alle anderen Apotheken bieten wir nach wie vor alle Marketing- und Verkaufsförderungsprogramme an, die Sie von uns kennen, z. B. unser Verkaufsförderungskonzept "SAM – Sales & more". Bei uns gibt es keine Kunden erster und zweiter Klasse!

DAZ:

Betrachten wir den Großhandelsmarkt. In den letzten Jahren gab es einen Trend hin zur Oligopolisierung. Erwarten Sie hier Veränderungen, werden die genossenschaftlichen Großhandlungen und die ANZAG näher aneinanderrücken?

Trümper:

Was sich zwischen Sanacorp und Noweda abspielen wird, müssen allein diese beiden entscheiden. ANZAG ist eine eigene Marke. Deshalb bin ich sicher: Auch wenn es zur Übernahme der Aktienmehrheit durch die Sanacorp kommen sollte, wird ANZAG als eigenes Unternehmen weiter bestehen.

DAZ:

Fürchten Sie Angriffe aus dem Ausland auf den Großhandelsmarkt, z. B. durch die Großhandlung Unichem?

Trümper:

Unichem ist unser größter Aktionär mit knapp 30% der Anteile. Hier gibt es nichts zu fürchten. Ausländische Unternehmen investieren in Deutschland und betreiben ihre Geschäfte, so wie es deutsche Unternehmen auch im Ausland tun. Mir geht es darum, das Unternehmen ANZAG wirtschaftlich weiter erfolgreich zu führen und für unsere Kunden so zu erhalten, wie sie es seit 164 Jahren gewohnt sind.

DAZ:

Können Sie sich vorstellen, die Marke ANZAG in Deutschland noch weiter zu verbreiten?

Trümper:

Jede Ausweitung bringt Unruhe und zusätzlichen Wettbewerb in den Markt – das wirkt sich nur negativ aus. Wir suchen eher nach Möglichkeiten im Ausland. Daneben legen wir unser Augenmerk auf strategische Partnerschaften – einen paneuropäischen Konzern streben wir allerdings nicht an.

DAZ:

Herr Dr. Trümper, wir bedanken uns für das Gespräch.

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