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Medi-Chef Baumgärtner: Barmer-Vertrag ist eine Einbahnstraße (DAZ-Interview)

(diz). Die Arbeitsgemeinschaft Medi, eine fachübergreifende Organisation von Ärzten und Psychotherapeuten, entstand als politische und standespolitische Lobby und als auf Praxisnetzen basierende Organisation. Die Medi-Organisationen auf regionaler Ebene verstehen sich als Parallelorganisationen zu den Kassenärztlichen Vereinigungen. 2003 erfolgte die Bildung der Medi-Deutschland, deren Vorsitzender der Stuttgarter Allgemeinmediziner Dr. Werner Baumgärtner ist. Medi ist bei Apothekern nicht erst seit dem Barmer-Integrationsvertrag, der von Medi abgelehnt wird, im Gespräch. Einen Vertragsentwurf, der eine enge Zusammenarbeit von Ärzten mit der Versandapotheke DocMorris vorsah, nahmen wir zum Anlass, beim Medi-Chef nachzufragen, wie er die Zusammenarbeit zwischen Apothekern und Ärzten sieht.

 

DAZ:

Medi Deutschland, dessen Vorstandsvorsitzender Sie sind, ist in die Schlagzeilen der Fachpresse geraten. Es wurde ein Vertragsangebot der niederländischen Versandapotheke DocMorris bekannt, das Medi-Ärzten Vorteile einräumt, wenn sie ihre Patienten auf die niederländische Versandapotheke hinweisen. Wie steht Medi zu diesem Vertrag? Wurden ernsthafte Gespräche mit der Versandapotheke aufgenommen?

Baumgärtner:

Zunächst muss ich feststellen, dass wir zahlreiche Angebote von Krankenkassen, von Heilmittelerbringern, aber auch von Versand- und Internetapotheken erhalten. Wir prüfen solche Verträge. In 30% solcher Angebote kommt es dann tatsächlich zu einem Vertragsabschluss. Bezogen auf Internet- und Versandapotheken ist es nun einmal Realität, dass sie gesetzlich erlaubt sind, dass es sie zunehmend geben wird. Auch Krankenkassen werden sich bestimmte Vertragsformen ausdenken, mit solchen Versandapotheken ins Geschäft zu kommen. Insofern wäre es falsch, zu denken, man könnte den Versand von Arzneimitteln verhindern, indem man sich ihm verweigert. Man würde sicher besser fahren, wenn Ärzte und Apotheker die Versorgungslandschaft gemeinsam strukturieren würden. Apotheker und Ärzte sollten miteinander sprechen und neue Kooperationsformen andenken.

DAZ:

Konkret zum DocMorris-Vertragsangebot: Hatten Sie einen solchen Vertrag nun auf dem Tisch und wenn ja, wie ist ein solcher Vertrag bei Ihnen behandelt worden?

Baumgärtner:

Wir hatten einen DocMorris-Vertrag auf dem Tisch, der durch eine undichte Stelle auch Zugang in die Presse gefunden hat. Einen solchen Vertrag haben wir aber nicht abgeschlossen, er hätte auch nie abgeschlossen werden dürfen, weil er berufsrechtswidrig ist.

DAZ:

Wie würden Sie als Vorsitzender von Medi reagieren, wenn eine große Krankenkasse oder eine deutsche Versandapotheke an Sie herantritt, um Verträge mit Medi abzuschließen?

Baumgärtner:

Wenn eine Krankenkasse an uns herantritt, werden wir auf jeden Fall mit den Verantwortlichen sprechen. Wir werden dann in unseren Gremien entscheiden, wie wir damit umgehen. Auch hier wäre es sinnvoll, wenn man den Dialog mit den Apothekern, z. B. mit den Landesapothekerverbänden suchen könnte. Wobei Dialog keine Einbahnstraße ist. Lassen Sie mich anmerken, dass wir derzeit mit dem Barmer-Vertrag in einer solchen Einbahnstraße sind.

DAZ:

Medi hat sich bekanntlich deutlich gegen den Barmer-Vertrag ausgesprochen. Was sind Ihre Gründe hierfür?

Baumgärtner:

Medi ist wegen der Beteiligung der Apotheker, aber auch verschiedener Generikafirmen am Barmer-Vertrag ausgesprochen irritiert. Medi selbst kann an einem Vertrag, der ein primärärztliches System unterstützt, nicht teilnehmen, weil wir fachübergreifend organisiert sind. Gegen den Barmer-Vertrag hat sich immerhin die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte, die Fachärzte, ausgesprochen.

DAZ:

Gerade in Baden-Württemberg ist die Teilnahme von Ärzten am Barmer-Vertrag ausgesprochen niedrig. Muss man das auf die Aktivitäten von Medi zurückführen?

Baumgärtner:

Wir haben in Baden-Württemberg durch die Verweigerung des Medi-Verbundes bezüglich des Barmer-Vertrages mit Sicherheit die wenigsten Einschreibungen. Das liegt daran, dass bei uns im Medi-Verbund eine gewisse Verbindlichkeit im Vertragssystem herrscht.

DAZ:

Fassen Sie bitte kurz zusammen: Was spricht aus Ihrer Sicht konkret gegen den Barmer-Integrationsvertrag?

Baumgärtner:

Der erste Grund ist die Bevorzugung der Primärärzte und die Vernachlässigung der Fachärzte. Der zweite Grund ist die aus unserer Sicht falsche Finanzierung. Die Finanzierung eines solchen Projektes wird letztendlich nur zu Lasten der niedergelassenen Ärzte gehen. Denn alles, was über das dafür vorgesehene eine Prozent hinausgeht, muss letztendlich zu Lasten der Gesamtvergütung aller Ärzte gehen.

DAZ:

Wenn nun weitere Krankenkassen versuchen, ähnliche Hausärzte- und Hausapothekenverträge abzuschließen, werden Sie dann vermutlich ähnlich reagieren?

Baumgärtner:

Man muss jeden Vertrag individuell ansehen, wie sind die Vertragspartner eingebunden, wie stellt sich die Finanzierung dar. Wir sollten die Verträge auch daraufhin überprüfen, ob wir überhaupt noch Handlungsspielräume haben oder alles von den Kassen vorgegeben wird.

DAZ:

Solche Systeme basieren darauf, dass der Hausarzt der Lotse ist, den alle Patienten als Ersten aufsuchen müssen – ist das nicht in Ihrem Sinne?

Baumgärtner:

Ich habe nichts dagegen, wenn der Hausarzt der Lotse im Gesundheitssystem für die Patienten ist. Ich habe aber etwas dagegen, wenn verbindlich festgelegt ist, dass der Patient immer zuerst zum Hausarzt zu gehen hat. Das ist nach meiner Auffassung absurd, denn bei einem Teil der Behandlungsfälle kann der Patient durchaus die Dringlichkeit selbst einschätzen und den Facharzt aufsuchen. Wenn er sich ein Bein gebrochen hat, wird er nicht den Hausarzt aufsuchen, sondern sich selbst zum Orthopäden begeben. Im Medi-Verbund haben wir die Philosophie, dass wir alle Probleme des Patienten in Kooperation von Haus- und Facharzt regeln. Wichtiger ist es, die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten zu fördern, als den primären Zugang zum Hausarzt alleine zu fördern und den Facharzt zunächst außen vor zu lassen. Es gibt weltweit kein primärärztliches System, das sich als überlegen herausgestellt hat, weder bezüglich der Versorgung der Patienten noch bezüglich der Finanzen. Ich selbst bin Hausarzt, sehe aber überhaupt keinen Grund verbindlich festzulegen, dass der Patient zunächst immer zum Hausarzt geht.

DAZ:

Wenn der Name Medi fällt, dann denkt man als Apotheker auch daran, dass es Verbindungen von Medi und bestimmten Pharmafirmen gibt. Wie stellt sich hier die Situation heute dar?

Baumgärtner:

Hierzu muss ich feststellen, dass wir ein Unternehmen haben, das sich Medi-Dienstleistungs GmbH nennt. Wie jedes andere Unternehmen auf dem Gesundheitsmarkt kann auch dieses Unternehmen Verträge über Dienstleistungen abschließen. Die Medi Dienstleistungs GmbH ist ein Unternehmen des Medi-Verbundes. Die Gewinne fließen nicht dem einzelnen Arzt zu, sondern dem Unternehmen. Dieses Unternehmen wird auch in Zukunft mit allen Beteiligten am Gesundheitsmarkt Verträge abschließen. Dabei achten wir immer darauf, dass alle einen Vorteil dabei haben, Krankenkassen, Patienten und Ärzte. Auf ihre konkrete Frage: Wir werden auch wie bisher mit allen interessierten Firmen Verträge abschließen, egal ob Hilfsmittel- oder Arzneimittelhersteller, soweit die Verträge berufsrechtlich und kartellrechtlich in Ordnung sind. Bisher hat jeder Vertrag, den wir abgeschlossen haben, alle juristischen Hürden überstanden.

DAZ:

Wie sieht ein solcher Vertrag konkret aus?

Baumgärtner:

Der Vertrag sieht so aus, dass wir eine Dienstleistung übernehmen, d. h. vom Marketing bis hin zur Beratung von Unternehmen, z. B. bezüglich neuer Präparate, Packungsgrößen und dem, was unsere Ärzte wünschen. Wir fungieren dabei als Mittler zwischen Pharmafirmen und unseren Ärzten. Wir planen außerdem eine Patientenzeitung, in der wir vor allem Fragen zu nicht-verschreibungspflichtigen Medikamenten dem Patienten nahe bringen wollen.

DAZ:

Verträge, bei denen Ärzte durch das Verschreiben bestimmter Arzneimittel "mitverdienen", gibt es also nicht?

Baumgärtner:

Nein, das wäre berufsrechtlich nicht zulässig. Kein Arzt profitiert davon, dass er viel oder wenig verschreibt. Aber in diese Richtung sollte man vielleicht den Barmer-Vertrag mal genauer anschauen, wo Ärzte ja davon profitieren sollen, wenn sie Arzneimittel bestimmter Pharmafirmen verordnen. So etwas gibt es bei uns nicht.

DAZ:

Herr Dr. Baumgärtner, vielen Dank für das Gespräch.

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