Europa

Gesundheitsversorgung und Apothekenwesen in Tschechien

Die Arzneimittelforschung und -produktion in Tschechien haben eine lange Tradition und auch jetzt einen vergleichsweise hohen Standard. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass die Tschechen sehr weit oben in der internationalen Statistik der Arzneiverordnungen pro Person stehen. Die Gesundheitspolitiker versuchen zwar, die Ausgaben der staatlichen Krankenversicherung für Arzneimittel durch Höchstpreise, Festbeträge und Zuzahlungen der Patienten zu begrenzen, aber die Arzneimittelkosten steigen wegen der Innovationen überproportional schnell. Das nützt den Apothekeninhabern allerdings wenig, denn sie stehen unter dem steigenden Konkurrenzdruck von Apothekenketten.

Dass das Gesundheitswesen der Tschechischen Republik an vielen derartigen Problemen krankt, zeigt am eindrucksvollsten die Tatsache, dass sich im Jahr 2004 drei Gesundheitsminister einander abgewechselt haben. Auch in den Jahren zuvor war der Personalverschleiß in diesem hohen Amt nicht viel geringer gewesen.

Gesundheitswesen: aus Tradition eines der weltweit Besten

Das erste Krankenversicherungssystem gab es in der Tschechoslowakischen Republik, die 1918 aus der Konkursmasse der Habsburgermonarchie gegründet geworden war, seit 1924. Es handelte sich um ein Pflichtversicherungssystem Bismarckscher Prägung, das im Wesentlichen von Österreich-Ungarn übernommen worden war. Nachdem der Staat 1938/39 aufgelöst und 1945 neu entstanden war, wurde bald darauf die Demokratie in eine "Volksdemokratie" umgewandelt, was Verstaatlichungen im Gesundheitsbereich einschloss.

Das nationale Krankenversicherungssystem wurde 1951 durch das "System der vereinigten staatlichen Gesundheitspflege" abgelöst. Alle Institutionen im Gesundheitswesen wurden verstaatlicht und aus dem Staatshaushalt finanziert. Das neue System erwies sich als effektiv, was die Bewältigung der Nachkriegsprobleme anging, sodass die Tschechoslowakei mit ihren Polikliniken und Arztpraxen am Arbeitsplatz zu Beginn der 60er-Jahre im internationalen Vergleich gut angesehen war. Doch da sich die allgemeinen Lebens- und Umweltbedingungen verschlechterten, stagnierte auch der Gesundheitsstatus der Bevölkerung.

Die zentralistischen Versorgungsstrukturen wurden im Zuge der Demokratisierung nach 1989 durch ein beitragsfinanziertes Pflichtversicherungssystem abgelöst, doch garantiert der Staat weiterhin allen Einwohner den Zugang zu einer umfassenden medizinischen Versorgung. Wie so häufig während eines Systemwechsels orientierte man sich auch in Tschechien an dem, was sich anderswo bewährt hatte: So gleicht das tschechische Gesundheitssystem heute in weiten Teilen dem deutschen.

Die Reformen im Gesundheitswesen waren bislang recht erfolgreich. Laut WHO weisen die wichtigsten Gesundheitsindikatoren Tschechien als eines der gesündesten Länder Mittel- und Osteuropas (MOE) aus. Die Werte der Säuglingssterblichkeit und Lebenserwartung sind besser als in den meisten MOE-Ländern, jedoch schlechter als in der EU-15 [1]. Zwischen 1990 und 1998 sank die Säuglingssterblichkeit von 10,8 auf 5,2 Promille der Lebendgeborenen [2].

Krankenversicherung – der Staat sorgt für jeden Zweiten

Mit dem Gesetz zur Allgemeinen Krankenversicherung wurde 1991 der Weg zur Eröffnung einer Vielzahl von Krankenkassen geebnet (Tab. 1). Mitte der 90er-Jahre existierten 27 Kassen, von denen nach der Einführung der Mindestmitgliederzahl von 50.000 gemäß Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) allerdings nur neun übrig geblieben sind. Bei der weitaus größten unter ihnen, der "Allgemeinen Krankenversicherung" [3], sind etwa drei Viertel der Bevölkerung versichert, darunter die Mehrzahl der erwerbslosen Personen, für die der Staat die Beiträge von ca. elf Euro im Monat zahlt. Ungefähr 53 Prozent der Bevölkerung sind durch den Staat versichert: Arbeitslose, Rentner, Kinder und Familienangehörige bis 26 Jahre, Studenten, Frauen im Mutterschutz, Soldaten, Gefängnisinsassen und Sozialhilfeempfänger.

Die übrigen Versicherten zahlen den gesetzlich festgelegten Betrag von 13,5 Prozent ihres Einkommens. Wenn sie Arbeitnehmer sind, zahlen sie selbst nur ein Drittel davon, ihr Arbeitgeber hingegen zwei Drittel (allerdings überweisen viele Arbeitgeber die Beiträge mit Verspätung an die Kassen). Für die Selbstständigen gilt die Ausnahmeregelung, dass sie nur maximal 35 Prozent ihres Unternehmergewinns zu zahlen brauchen. Da aber fast 80 Prozent der Selbstständigen keinen Gewinn erzielen (bzw. keinen angeben), zahlen sie nur einen Minimalbetrag von ca. 13 Euro pro Monat. Die Beitragsbemessungsgrenze liegt bei einem Bruttoeinkommen, das ungefähr sechsmal so hoch wie der Durchschnittslohn ist. Eine private Vollversicherung ist nicht möglich.

Welche Leistungen erstatten die Kassen?

Der Leistungskatalog der öffentlichen Krankenkassen ist gesetzlich geregelt. Zu den Grundleistungen, die die Kassen komplett erstatten, gehören die ambulante wie stationäre ärztliche Behandlung, Vorsorgeuntersuchungen, Krankentransport, Kuren (soweit ärztlich verschrieben), zahnärztliche Behandlungen (außer Prothesen) und verordnete Medikamente. Die Kassen erstatten bei allen diesen Leistungen allerdings nur das jeweils kostengünstigste Angebot; wenn der Patient besondere Wünsche hat, muss er die Differenz des Preises zahlen.

Prothesen, Sehhilfen und Hörgeräte werden meist anteilig, manchmal auch ganz erstattet. Lediglich medizinisch nicht notwendige Leistungen – beispielsweise kosmetische Operationen oder Untersuchungen für Gesundheitszeugnisse – werden nicht durch die Kassen abgedeckt. Für die Zahlung von Kranken-, Mutterschafts- und Sterbegeld ist nicht die Krankenversicherung, sondern eine spezielle staatliche Sozialversicherung zuständig.

Bis auf den überwiegenden Teil des stationären Bereichs (s. u.) sind in Tschechien so gut wie alle Einrichtungen des Gesundheitswesens, also beispielsweise auch Heilbäder, inzwischen privatisiert. Die medizinische Grundversorgung gliedert sich in die vier Bereiche der Allgemeinmediziner, Kinderärzte, Gynäkologen und Zahnärzte. Den behandelnden Arzt darf der Versicherte frei wählen, er ist dann allerdings drei Monate lang an ihn gebunden. Das gilt auch für die Wahl eines Facharztes, den der Versicherte ohne die Überweisung eines Allgemeinmediziners konsultieren darf.

Staatliche Krankenhäuser

Die staatlichen Krankenhäuser untergliedern sich hinsichtlich Größe und qualitativer Ausstattung in drei Gruppen:

  • Die lokalen Krankenhäuser mit einer Bettenzahl von unter 200 haben einen Anteil von 45 Prozent. Hier gibt es zumeist die Abteilungen Innere Medizin, Chirurgie sowie Kinder- und Frauenheilkunde. Diese Kliniken haben unter den Tschechen einen eher schlechten Ruf – doch nicht wegen des medizinischen Standards, sondern wegen der baulichen Bedingungen: Meist handelt es sich um sehr alte Gebäude mit schlechten sanitären Einrichtungen. Krankenbesuch ist häufig nur eine Stunde lang pro Tag gestattet.
  • In den Kreisstädten gibt es Kliniken mit einer Bettenzahl bis 700, die weitere 45 Prozent ausmachen. Hier gibt es fast alle Fachgebiete.
  • Die übrigen zehn Prozent sind Regional- oder Zentralkrankenhäuser, die zugleich als Fakultätskliniken für die Medizinstudenten dienen. Sie haben über 1000 Betten und halten alle Fachrichtungen vor [4].

Finanzielle Probleme des Systems

Im Jahr 2003 gaben die Tschechen 7,36 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für den Sektor Gesundheit aus, was weniger ist als in Deutschland, aber mehr als in fast allen neuen EU-Mitgliedstaaten; zugleich ist der private Anteil an den Gesundheitsausgaben einer der geringsten in Europa. Beachtliche 28 Prozent der Gesundheitsausgaben entfallen auf Medikamente. Durchschnittlich 33,6 Packungen Medikamente erhält jeder Tscheche pro Jahr, womit das Land in Europa an dritter Stelle hinter Frankreich (48 Packungen pro Person und Jahr) und Ungarn steht [5].

Der Präsident der Tschechischen Apothekerkammer [6], Dr. Lubomir Chudoba, sieht die Wurzel des Problems in der geringen Selbstbeteiligung der Patienten. "Wenn die Patienten im Schnitt nur circa acht Prozent zuzahlen, muss man sich nicht wundern, dass die Krankenkassen jährlich Defizite in Millionenhöhe machen. Wir sind der Meinung, dass die Selbstbeteiligung der Patienten angehoben werden müsste, sonst wird der Staat nicht mehr lange in der Lage sein, dieses System zu finanzieren."

Neben den hohen Ausgaben für Medikamente sind hohe Krankenhausausgaben der Grund für die finanziellen Probleme der Krankenkassen. 2003 kamen auf 100.000 Einwohner 855 Krankenhausbetten, was weit über dem Durchschnitt der EU-15 liegt (408 Betten). Ausgelastet sind diese Betten lediglich zu 74 Prozent. Dies ist eine Folge neuer Behandlungsmethoden und des Aufbaus der häuslichen Pflege in den letzten Jahren: 1991 gab es 27 häusliche Pflegedienste, 1998 schon 484. Früher, als die Patienten bis zur vollständigen Genesung im Krankenhaus blieben, war auch die Auslastung der Krankenhäuser ähnlich hoch wie in der EU-15. Seit der Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht Ende 2004 fehlen den Krankenhäusern günstige Arbeitskräfte, die ihnen vorher mit den Zivildienstleistenden zur Verfügung standen.

Gesundheitsministerin Milada Emmerov´ (Sozialdemokratin) hatte im November 2004 ein Konzept zur Reform des Gesundheitswesens vorgelegt, das – entgegen den Gepflogenheiten – im Internet veröffentlicht und der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wurde. Das Konzept sah u. a. die Verstaatlichung von Arztpraxen vor; nach heftigen Protesten der Heilberufler distanzierte sich die Regierung jedoch davon.

Apotheken unter dem Druck der Ketten

Äußerlich unterscheiden sich tschechische Apotheken kaum von deutschen, wohl aber innen, denn hier gibt es prinzipiell zwei Ausgabestellen für rezeptpflichtige Medikamente bzw. für freiverkäufliche Präparate, die voneinander getrennt sind. Produkte des Nebensortiments wie Kosmetika, Babynahrung oder Tee befinden sich meist in Vitrinen, was davon zeugt, dass es sich höchstens für Touristen um billige Ware handelt. Gratisproben und Zugaben für gute Kunden sind in tschechischen Apotheken nicht üblich.

2003 gab es in Tschechien 2389 Apotheken, wobei 231 öffentliche Arzneimittelausgabestellen mitgezählt sind, die die Versorgung mit Medikamenten auch in abgelegenen Ortschaften sicherstellen. Somit kamen auf eine Apotheke 4274 Einwohner, was etwas unter den entsprechenden Zahlen in den neuen Bundesländern, aber über dem Durchschnitt in der gesamten Bundesrepublik liegt.

Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse ergibt sich folgendes Bild:

  • Gut die Hälfte der Apotheken (1302) wird von Apothekern selbst betrieben,
  • 695 Apotheken gehören juristischen Personen, sprich: Apothekenketten,
  • 129 gehören Nicht-Apothekern, z. B. Ärzten,
  • 31 sind staatlich (meist Krankenhausapotheken) [5].

Zum Bedauern von Kammerpräsident Chudoba gibt es kein Gesetz, das die Anzahl oder zumindest die geographische Verteilung der Apotheken regelt. "Leider haben wir bislang keinen Erfolg darin gehabt, die Politiker von der Notwendigkeit spezifischer Regulierungskriterien zu überzeugen – hierzulande kann jeder überall eine Apotheke eröffnen." Die Folge sind starke regionale Schwankungen der Apothekendichte, insbesondere ein Stadt-Land-Gefälle.

Weiterhin kritisiert die Apothekerkammer, dass die Arzneimittelpreisbindung durch illegale, aber geduldete Rabatte unterlaufen wird. "Die Ketten oder großen Krankenhausapotheken sind in der Lage, Medikamente um einiges günstiger anzubieten, und zwingen auf diese Weise kleine Apotheken, die mit solchen Preisen nicht mithalten können, zur Geschäftsaufgabe", bedauert Chudoba. Durchschnittlich hat eine tschechische Apotheke sechs Angestellte. Knapp die Hälfte davon (2,53) sind Apotheker [7]. Es gibt in Tschechien weit mehr Apothekerinnen als Apotheker, gleiches trifft für die pharmazeutischen Assistenten zu.

Arzneimittelmarkt: trotz Konkurrenz steigende Preise

Das Problem des Mangels an Medikamenten in der sozialistischen Zeit ist zwar behoben, aber durch ein neues Problem ersetzt worden: den enormen Kostenanstieg. Während der Verbrauch an Medikamenten nur langsam zunahm, stiegen die Preise dramatisch. 150 Kronen, also etwa fünf Euro, kostete eine Packung 2003 durchschnittlich, im Vorjahr waren es noch 140 Kc gewesen [5].

Im Jahr 2004 waren in Tschechien 26.760 Medikamente zugelassen bzw. registriert, von denen 1865 freiverkäuflich und 14.027 rezeptpflichtig waren; der Rest entfiel auf 7451 homöopathische und 3417 veterinärmedizinische Arzneimittel. Der Anteil von Generika an den abgegebenen Medikamenten belief sich auf 51,8 Prozent (Anzahl der Packungen) bzw. 31,8 Prozent (Umsatz). Nationale Zulassungsbehörde ist das Staatliche Institut für Arzneimittelkontrolle [8], das dem Gesundheitsministerium untersteht.

Die pharmazeutische Industrie Tschechiens ist in den vergangenen Jahren fast vollständig privatisiert worden, z. T. durch Verkauf an ausländische Konzerne. Somit haben sich auch deren kommerzielle Strategien sowie deren Produktionsmethoden signifikant verändert, oft zum Negativen, wie Kammerpräsident Chudoba meint (s. Zitat).

Trotz der Preissteigerungen sind aber landeseigene Präparate nach wie vor von substanzieller Bedeutung. Marktbeherrschend ist die Firma Zentiva. Sie ist aus der Fusion der tschechischen Léciva und der slowakischen Slovakofarma hervorgegangen und gehört zu den führenden fünf Pharmaunternehmen in den Mittel-und-Osteuropa-Staaten. Chudoba betont, dass das Arzneimittelangebot sich in den letzten 15 Jahren enorm verbessert hat: "Was das Sortiment betrifft, bekommen Sie hier wie in jedem entwickelten Land der Welt praktisch jedes Medikament."

Arzneimittelpositivlisten und Festbetragsgruppen

Das Gesundheitsministerium [9] legt in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium die Höchstpreise und die Festbeträge der erstattungsfähigen Arzneimittel fest. Ein externes Beratungsgremium, das Kategorisierungskomitee, das sich aus Medizinern, Pharmazeuten, Ökonomen der Versicherungsanstalten sowie Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums zusammensetzt, erarbeitet konkrete Vorschläge, welche Arzneimittel zu welchen Preisen von den öffentlichen Krankenkassen erstattet werden.

Aufgrund dieser Empfehlungen gibt das Gesundheitsministerium seit 1995 eine Positivliste der erstattungsfähigen Arzneimittel heraus und hat 1997 sämtliche in dieser Liste enthaltenen Arzneimittel aufgrund ihrer (angeblichen) therapeutischen Äquivalenz 521 Arzneimittelgruppen zugeordnet. Hier gilt eine Festbetragsregelung:

  • Das preisgünstigste Präparat in jeder Arzneimittelgruppe wird von den Kassen jeweils komplett erstattet ("Arzneimittel der 1. Kategorie"), allerdings mit der Einschränkung, dass einige Präparate nur erstattet werden, wenn sie ein bestimmter Facharzt verschrieben hat.
  • Wenn der Patient ein teureres Präparat derselben Arzneimittelgruppe wünscht ("Arzneimittel der 2. Kategorie"), muss er die Differenz zwischen den beiden Preisen selbst bezahlen.
  • Arzneimittel die nicht in der Positivliste enthalten sind ("Arzneimittel der 3. Kategorie"), muss der Patient vollständig selbst bezahlen.

Eine der Gesetzesänderungen, die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind, hat die therapeutisch äquivalenten Arzneimittelgruppen neu geordnet. Aus den ursprünglich 521 Gruppen sind nun 300 geworden. Dadurch ist die Anzahl der voll erstattungsfähigen Medikamente gesunken; diejenigen Patienten, deren Arzneimittel nun nicht mehr das günstigste Präparat in der neuen Arzneimittelgruppe ist und die ihre Medikation nicht umstellen wollen, müssen seither zuzahlen.

Deutsche als "Medikamententouristen"

Deutsche Kunden zu gewinnen fällt dem tschechischen Arzt Hynek Faschingbauer, der in der Kleinstadt Domazlice die Apotheke "Unter dem Turm" mit gut zehn Angestellten betreibt, nicht schwer. "Neulich kam sogar aus dem nahegelegenen Cham in Bayern ein Vertreter des örtlichen Telefonbuchs, um mir ein Angebot für eine Anzeige zu unterbreiten", berichtet er.

Vor allem mittwochs, wenn auf dem idyllischen Stadtplatz der Wochenmarkt stattfindet, kommen deutsche Senioren in Scharen mit dem Taschenrechner. Schnell hat es sich herumgesprochen, dass in der Apotheke deutsch gesprochen wird und dass man in Euro bezahlen kann. Vor allem Aspirin, Wobenzym, Voltaren und Lefax werden von deutschen Kunden verlangt – für einen Bruchteil des Preises, den sie diesseits der Grenze bezahlen müssten. "Manche Kunden sind auch schon mutig und erkundigen sich nach noch günstigeren tschechischen Produkten", erzählt eine Angestellte.

Wenn ein gewünschtes Präparat in Tschechien nicht zugelassen ist, weiß Hynek Faschingbauer Rat: "Wir schauen dann nach, was der Wirkstoff ist, und bieten dem Kunden ein vergleichbares Medikament an." Generell sind in Tschechien mehr Medikamente verschreibungspflichtig als in Deutschland. Kaliumiodid etwa bekommt man dort nur auf Rezept. Doch auch dies ist kein Problem: In Tschechien werden deutsche Rezepte anerkannt. Der Kunde muss zwar den vollen Preis bezahlen, dennoch lohnt sich das in vielen Fällen, vor allem natürlich bei auf Privatrezept verschriebenen Medikamenten wie der "Pille".

Faschingbauer schätzt den Anteil der Deutschen an seiner Kundschaft auf gut 15 Prozent. Vor allem, seitdem Tschechien EU-Mitglied ist, ist deren Anzahl gestiegen, "... als wäre damit auch das Vertrauen gewachsen". Auf der deutschen Seite der Grenze ist die Abwanderung von Kunden nicht erst seit dem 1. Mai 2004 zu spüren. Bei allen drei Apotheken in der Grenzstadt Furth im Wald waren die Umsätze schon seit der Grenzöffnung (1989) zurückgegangen. Anfangs bestand noch die Gefahr, dass der Zoll einen Grenzgänger bei der Ausfuhr von zu großen Mengen bzw. in Deutschland nicht zugelassenen Medikamenten ertappt; dies ist mit dem Wegfall der Zollkontrollen seit dem EU-Beitritt vorbei.

Der Inhaber der Stadt-Apotheke in Furth, Christian Rewitzer, meint, dass die Politik das Problem zu lösen hätte – die Patienten kann er im Prinzip verstehen. Manche Medikamente seien ein paar Kilometer weiter günstiger als die in Deutschland anfallende Rezeptgebühr. "Solange dort günstiges Benzin und Zigaretten locken, wird es auch den Medikamententourismus geben", bedauert er. Doch seit in Tschechien die Packungsbeilage auf Tschechisch verfasst sein muss, häufen sich für Rewitzer die Situationen, dass nachts bei ihm geklingelt und nach der korrekten Dosierung eines Medikaments gefragt wird. "Ich habe erst einmal eine Zeitlang gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es sich nicht um mangelnde Aufklärung durch meine Angestellten handelte, sondern dass das Produkt gar nicht in unserer Apotheke gekauft wurde."

Pharmazeutische Ausbildung

In zwei Orten der Tschechischen Republik kann man Pharmazie studieren: in Hradec Kralove (Königgrätz) [10] und in Brno (Brünn) [11]. Das Studium ist als fünfjähriges Magisterstudium konzipiert. Nach Bestehen der letzten staatlichen Prüfung und erfolgreicher Verteidigung der Diplomarbeit erlangen die Studierenden den Titel Magistr (abgekürzt Mgr., wird dem Namen vorangestellt). In Übereinstimmung mit europäischem Recht wurde ein sechsmonatiges Praktikum im fünften Studienjahr eingeführt. Im Studienjahr 2005/2006 will die Pharmazeutische Fakultät der Karls-Universität in Hradec Kralove das European Credit Transfer System (ECTS) einführen, das die Mobilität der Studenten innerhalb Europas erleichtern soll.

Einen Doktortitel kann man nach erfolgreich beendetem Studium auf zwei Arten erlangen: Zum einen kann man sich einem Rigorosum unterziehen, worauf man den Titel Doktor Famacie erhält (Pharm. Dr., ebenfalls vor dem Namen). Zum anderen kann man ein Promotionsstudium durchführen, das in der Regel drei bis fünf Jahre (Präsenz- oder kombiniertes Studium) dauert und mit dem Verfassen sowie Verteidigen einer Dissertation und dem Ablegen einer Prüfung endet. Hiernach wird der akademische Titel Doktor vergeben, und der Promovierte darf das Kürzel Ph.D. seinem Namen hinten anfügen.

Tschechische Apotheker sind verpflichtet, an der "Kontinuierlichen Fortbildung" der Tschechischen Apothekerkammer teilzunehmen: In dreijährigen Zyklen müssen sie 90 Punkte durch Teilnahme an Kongressen und Seminaren oder das Verfassen von Publikationen usw. erwerben. Bei den Abiturienten ist das Interesse am Pharmaziestudium sehr groß, sicherlich auch wegen der guten Chancen, hinterher eine Stelle zu finden. Die Aufnahmeprüfungen sind jedoch so anspruchsvoll, dass nur etwa ein Drittel der Bewerber zum Studium zugelassen wird.

Pharmazeutische Assistenzberufe

Die Ausbildung der Laboranten (entspricht der PTA) erfolgt an einer Fachoberschule für Gesundheitswesen und dauert drei Jahre. Es ist nur ein Hauptschulabschluss erforderlich, was nach Ansicht von Kammerpräsident Chudoba aber zu wenig ist. Laboranten sind nicht berechtigt, verschreibungspflichtige Medikamente an Patienten auszugeben, wohl aber OTC-Präparate. Zwei Semester Pharmaziestudium bzw. Laboranten-Ausbildung oder ein spezieller Kurs qualifizieren für einen weiteren Assistenzberuf.

Apotheker sind Mangelware

Insgesamt nur ungefähr 300 junge Apotheker absolvieren jährlich das Pharmaziestudium an den beiden genannten Universitäten. Die Anzahl der Apotheken ist jedoch in den Jahren nach 1989 stark angestiegen. Zudem bieten pharmazeutische Unternehmen verlockende Berufsbedingungen. So haben die Absolventen eine große Anzahl an Stellenangeboten zur Auswahl. Die hinteren Seiten der Tschechischen Apothekerzeitschrift sind voll mit Inseraten, pro monatlicher Ausgabe gut 30 Angebote.

Ungefähr 85 Prozent der Absolventen arbeiten in Apotheken, die übrigen finden eine Anstellung in Behörden oder pharmazeutischen Unternehmen. "Die Arbeitslosigkeit unter den Pharmazeuten liegt praktisch bei Null Prozent", freut sich Kammerpräsident Chudoba. Faschingbauer, der als Arzt gesetzlich verpflichtet ist, in seiner Apotheke einen Apotheker anzustellen, bietet ein relativ hohes Gehalt und sucht dennoch seit Wochen vergeblich nach einem geeigneten Mitarbeiter. Denn wegen der Grenzlage des Ortes soll der Apotheker natürlich auch gut deutsch sprechen.

Anschrift der Verfasserin:
Sarah Scholl, M.A., 
Universität Regensburg, 
Institut für Vergleichende Kulturwissenschaft, 
93040 Regensburg,
sarah.scholl@gmx.de

 

Quellen und Anmerkungen
[1]    Comparison of Selected Health Indicators in EU and CR, Ústav zdravotnicky´ ch informací a statisktiky Cˇ eske republiky, Juli 2004 (www.uzis.cz).

[2]    Health Care Systems in Transition, WHO 2004 (www.euro.who.int/countryinformation).

[3]    Vsˇeobecná zdravotní pojísˇtovna (www.vzp.cz).

[4]    Highlights on Health in Czech Republic, European Communi- ties and World Health Organisation 2001

[5]    Vy´ roˇcní zpráva ˇceské lékárnické komory za rok 2003 (Jahres- bericht der Tschechischen Apothekerkammer 2003).

[6]   Cˇ eská lékarnická komora (www.lekarnici.cz).

[7]    Ústav zdravotnicky´ ch informací a statisktiky, Aktuelle Infor- mation Nr. 49 (www.uzis.cz).

[8]    Státní úrˇá´d pro kontrolu lécˇív (www.sukl.cz).

[9]    Ministerstvo zdratvotnictví (www.mzd.cz).

[10]    Farmaceutická fakulta Univerzity Karlovy (www.faf.cuni.cz).

[11]    Farmaceutická fakulta Veterinárni a farmaceutické univerzity (www.faf.vfu.cz).

 

Die Neuen in der EU

Seit dem 1. Mai 2004 hat die Europäische Union zehn neue Mitgliedstaaten. Die dortigen Gesundheitssysteme haben aufgrund der überwiegend sozialistischen Vergangenheit grundlegende strukturelle Reformprozesse durchmachen müssen. Vor allem für die kleineren Staaten war dies mit gewaltigen Kraftanstrengungen verbunden.

Die DAZ möchte ihre Leser mit einer Beitragsserie zu einer "virtuellen" Rundreise durch einige neue EU-Länder einladen. Dabei sollen Fakten zum Gesundheitswesen, zur Arzneimittelversorgung, aber auch persönliche Eindrücke vermittelt werden, die die Autoren vor Ort gesammelt haben.

Es sind bereits Berichte über Estland in DAZ 39/2004, S. 50 – 67, und Lettland in DAZ 9/2005, S. 48 – 55, erschienen.

 

Tschechien in Zahlen*

Fläche: 78.864 km2 Einwohner: 10,211 Millionen Währung: Tschechische Krone (30 Kc

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.