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Strukturen im Gesundheitsmarkt verändern sich massiv

WÜRZBURG (ri). Eine Forderung, die in Apothekerkreisen schon lange gärt, wurde von dem Dipl.-Volkswirt Professor Eberhard Wille anlässlich der parmapharm-Gesellschafterversammlung in Form eines Vergleiches auf den Punkt gebracht: "Genauso, wie wir nicht die Betten in den Krankenhäusern bezahlen wollen, ist es auch unsinnig, die Apotheke zu bezahlen: Künftig werden wir die pharmazeutische Leistung honorieren, wie das auch international so üblich ist."

Bei seinem Vortrag am 18. Juni 2005 in Würzburg verwies der Ökonom auf das kanadische System, wo Apotheker, die im Falle von schädlichen Wechselwirkungen von einem bestimmten Medikament abraten, ein Beraterhonorar von zehn Dollar erhalten. Im gegenwärtigen deutschen System dagegen werde das gleiche Verhalten bestraft. Prof. Wille: "Wenn ein deutscher Apotheker so handelt, dann schadet er sich selbst."

In Bezug auf die künftige Entwicklung des Gesundheits- und Arzneimittelmarktes beleuchtete der Referent zunächst die Ausgabenseite im Verhältnis der unterschiedlichen Leistungsträger. So verzehrte der Gesundheitsmarkt im Jahr 2003 insgesamt 37,5 Mrd. Euro. Davon entfielen 26,2 Mrd. Euro auf die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und 6,8 Mrd. Euro auf die privaten Haushalte. In Prozentzahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass alleine die GKV 70 Prozent aller Ausgaben verbucht.

In Relation zum Bruttosozialprodukt werden für das Gesundheitswesen 14 Prozent der Gelder benötigt. Angesichts dieser Zahlen verschleiere die Rede von den verschiedenen Versuchen, eine Gesundheitsreform in Gang zu setzen, die wahren Zusammenhänge: "In Wahrheit waren das alles Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV", konstatierte Wille nüchtern.

Generika-Ausgaben konstant

Analysiere man anhand des Arzneimittel-Verordnungsreports die diversen Einsparpotenziale, so ergebe sich insbesondere im Bereich der Generika und Analogpräparate ein auf den ersten Blick ähnliches Bild: So sind die Ausgaben in beiden Sparten mit rund 1,5 Mrd. Euro pro Jahr schon seit einem längeren Zeitraum konstant. Bei den Analogpräparaten hänge dies damit zusammen, dass "ständig neues Potenzial zufließt", wohingegen man bei den Generika in Deutschland als dem Land mit dem weltweit höchsten Anteil an Generika "an seine Grenzen stößt."

Insgesamt liege der Anteil nach Verordnungen mit 50 Prozent zwar sehr hoch, der Umsatzanteil erreiche jedoch nur 30 Prozent und sei damit in der Tendenz eher sinkend. Im Hinblick auf Einsparpotenziale werden laut Wille künftig die umstrittenen Präparate kaum noch eine Rolle spielen.

Rabatte werden zu Kassen wandern

Nach der Überzeugung des Referenten ist der Wettbewerb innerhalb des Generika-Marktes immer noch ausbaubar. Eher kritisch betrachtete Wille die derzeitige Rabattpraxis und nannte u. a. ein Beispiel, wonach der Hersteller den Apotheken Konditionen nach dem "2 + 1 Modell" plus sechs Monate Valuta bot. Es seien auch Fälle bekannt, wonach bis zu 50 Prozent Bar-Rabatte ausgehandelt worden sind. Wille: "Solche Rabatte sind zu hoch, und in der Folge werden die Kassen künftig Direktverträge mit den Herstellern abschließen und greifen so diese Rabatte ab."

Das Phänomen, dass die Verordnungen zwar abgenommen haben, dabei jedoch gleichzeitig der Umsatz zu Lasten der GKV gestiegen ist, wurde von Wille mit der Strukturkomponente erklärt. Mit dem Begriff Strukturkomponente wird die Substitution von preiswerten Medikamenten durch neue Arzneimittel beschrieben, deren Wirkung verbessert wurde und die folglich auch teurer sind.

Für Ökonomen von großer Bedeutung ist der Zusammenhang des so genannten Intermedikamenteneffektes mit der Innovationskomponente. Der Intermedikationseffekt ist die Umschreibung für ein Verordnungsverhalten der Ärzte, das unter dem monetären Aspekt eine Bewegung sowohl in eine Einsparungsrichtung als auch in eine Verteuerungsrichtung zulässt. Dies bedeutet, dass die Mediziner angesichts von Regressandrohungen teuere Originalpräparate durch Generika ersetzen, sich aber umgekehrt auch nicht scheuen, gegebenenfalls ein therapeutisch wirksameres neues Medikament oder Me-too-Präparat zu verordnen. In diesem Zusammenhang verwies der Gesundheitsexperte auf die Einführung der vierten Hürde, die zur Überprüfung der propagierten besseren Wirksamkeit eingeführt wird.

Selbstverwaltung verliert an Bedeutung

Änderungen gibt es auch bezüglich der Selbstverwaltung, die als Lenkungsinstrument immer deutlicher kritisiert wird. Weil die Verhandlungen zwischen den Ärztevertretern und den Kassen immer zäher und ergebnisloser verlaufen, wurden beispielsweise bei der Integrierten Versorgung die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) als Vertragspartner ausgeschlossen. Kollektivverträge schwinden also zugunsten von Einzelverträgen. Für die Kassen bedeutet dies, dass sie für den flächendeckenden Sicherstellungsauftrag verantwortlich sind.

Grundsätzlich soll die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Heilberuflern dazu führen, den ambulant-stationären Bereich aufzulockern und Versorgungsnetze zu etablieren.

Nach der Überzeugung von Wille werden insbesondere Privatkliniken großes Interesse haben, solche Zentren zu gründen. Der Grund: Da im Rahmen der Desease Management Programme (DMP) die Gelder nicht wie bisher über die Verweildauer der Kranken berechnet, sondern exakt über die Indikation definiert werden, ist es das Ziel der Krankenhäuser, möglichst "OP-fertige" Patienten zu bekommen, die möglichst rasch auch wieder entlassen werden können. Die Versorgungszentren in der Hand von Privatkliniken werden also genau dafür Sorge tragen und die Patienten dann in die eigene Klinik überweisen.

Kein Qualitätswettbewerb

Da der Risikostrukturausgleich künftig auch über die DMP-Einschreibungen etwa chronisch kranker Menschen läuft, werden sich die Kassen wohl auf die "Jagd nach dem gesündesten Chroniker machen", wie Wille sarkastisch anmerkte. Der Wirtschaftswissenschaftler kritisierte, dass hiermit kein Qualitäts-, sondern ein Einschreibewettbewerb entstehe.

Abschließend fasste Wille die "Entwicklungstendenzen in der Versorgungslandschaft wie folgt zusammen: 1. Bei den Kassen wird es einen Konzentrationsprozess geben. 2. Die Ausweitung von Versorgungsnetzen und gemeinsamen Arztpraxen wird rapide zunehmen. Alleinstehende Mediziner werden in naher Zukunft – zumindest in den Städten – die Ausnahme sein. 3. Im stationären Sektor wird es zu einer Kompetenzbündelung kommen. 4. Die Integrierte Versorgung wird ausgebaut. Innerhalb dieses dezentralen Wettbewerbs ist es für Apotheker unbedingt ratsam, sich zu integrieren. 5. Die Schaffung von wettbewerbskompatiblen Vergütungssystemen wird vorangetrieben. 6. Es wird zu einem vermehrten Einsatz von Komplexpauschalen kommen. 7. Dezentrale Wettbewerbsprozesse in Form von selektiven Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern werden zunehmen.

Für Apotheker prognostizierte der Gesundheitsberater eine Lockerung bzw. Abschaffung der Mehrbesitzbeschränkungen. Das Thema Abschaffung des Fremdbesitzverbotes mochte der Professor langfristig zwar nicht ausschließen, meinte jedoch, dass in den "kommenden vier bis fünf Jahren" hier eher keine Gefahr bestehe. Als Gefahr hingegen thematisierte er die Rolle der beiden führenden Großhändler (siehe Kommentar). Dass noch mehr Arzneimittel aus der Rezeptpflicht herausgenommen werden, befürchtet der Professor jedoch nicht.

Klartext 

Die Machtkonzentration der beiden (einmal in Deutschland, einmal in Europa) führenden Großhändler ist ein offenes Geheimnis, über das jedermann Bescheid weiß. Jedermann? Vermutlich wissen nicht alle Apotheker Näheres über die pikanten Details. Da war es schon erfrischend, dass Professor Wille im Zusammenhang mit dem Fremdbesitzverbot die beiden mächtigsten Großhändler als gefährlich brandmarkte, da es ihnen nach der Abschaffung des Fremdbesitzverbotes ohne weiteres möglich sein könnte, durch den Erwerb von Apotheken beispielsweise über die Hälfte der deutschen Apotheken in ihren Besitz zu bringen. Und damit könnte ganz leicht eine vertikale Konzentration entstehen, die Wille als "größtes Übel" bezeichnete.


 

Da beispielsweise der Mannheimer Großhändler Phoenix genauso im Besitz der Familie Merckle ist wie der Ulmer Generikahersteller Ratiopharm, könnte somit eine vertikale Konzentration ungeahnten Ausmaßes entstehen. Man mag sich ein solches Szenario, wonach die Familien Haniel (Celesio/Gehe) und Merckle (Phoenix/Ratiopharm) ein Oligopol im Gesundheitsmarkt bilden könnten, gar nicht vorstellen – eine solche Machtfülle kann keinem Wirtschaftssegment gut tun. Vielleicht sollten Apotheker häufiger über diese – heute noch unvorstellbare, aber künftig mögliche – Situation nachdenken und ihre Kontakte zu den genannten Großhändlern dahingehend überprüfen, ob sie deren ohnehin schon starke Position weiter stärken wollen oder nicht.

Claus Ritzi

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