Arzneimittel und Therapie

Häufige Begleiterscheinung bei Krebs und Diabetes

Die Anämie ist sowohl bei Diabetes- wie auch bei Tumorerkrankungen eine häufige, aber auch häufig unerkannte Begleiterscheinung. Eine frühe Diagnose und Therapie der Anämie können dazu beitragen, Symptomatik und Lebensqualität sowie möglicherweise auch die Prognose der betroffenen Patienten zu verbessern.

Dass der Diabetes mellitus zu Langzeitschäden, zum Beispiel an Herz, Augen und Nieren führen kann, ist hinlänglich bekannt. Dass aber auch niedrige Hämoglobinwerte ihren Teil dazu beitragen, findet immer noch zu wenig Beachtung. Doch bereits eine Hb-Abnahme von 0,5 g/dl bedeutet für den Diabetiker eine signifikant erhöhte kardiovaskuläre Morbidität.

Nephropathie lässt EPO-Spiegel sinken

Die bei Zuckerkranken im Vergleich zur gesunden Bevölkerung erhöhte Anämieprävalenz steht meist im Zusammenhang mit der häufig beeinträchtigten Nierenfunktion. Immerhin 35 bis 40% der Typ-1- und 10 bis 15% der Typ-2-Diabetiker entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung eine Nephropathie. Da mit der Nierenfunktionseinschränkung auch die Produktion des für die Erythrozytenreifung zuständigen Erythropoetins (EPO) in der Niere abnimmt, kann es zur Anämie kommen.

Bereits bei einer geringgradigen Nierenfunktionsstörung zeigen Diabetiker deutlich niedrigere körpereigene EPO-Spiegel als Nicht-Diabetiker. Selbst bei einer noch normalen Kreatininclearance von mindestens 90 ml/min ist der Hb-Wert bereits bei 30% der Diabetiker unter 12 g/dl gesunken, bei 5% sogar unter 10 g/dl. Die Anämie erhöht nicht nur das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, sondern führt im Sinne eines Teufelskreises auch zur weiteren Progression des Nierenversagens. Neben einer regelmäßigen HbA1c- und Albumin-Bestimmung sollte beim Diabetiker deshalb auch regelmäßig der Hb-Wert kontrolliert werden. Bei erniedrigter Hämoglobin-Konzentration gilt es dann die Ursache der Anämie abzuklären. Bisherige Studiendaten deuten darauf hin, dass sich eine Anämie-Behandlung mit rekombinantem, humanem Erythropoetin (rhEPO) beim Diabetiker günstig auf Komplikationen und Lebensqualität auswirkt.

Anämie verschlechtert Prognose von Tumorpatienten

Auch Krebspatienten leiden häufig an Anämie. Im Schnitt beträgt die Inzidenz 40%, bei bestimmten – zum Beispiel hämatologischen – Tumoren kann sie jedoch weit darüber liegen. Ursachen der Tumor-assoziierten Anämie können Hämolyse, Nierenfunktionsstörungen oder Knochenmarksbefall sein. In den meisten Fällen bedingt jedoch der Tumor selbst die Pathogenese durch eine Aktivierung proinflammatorischer Zytokine. Daraus resultieren eine verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten, eine Hemmung der Erythropoese im Knochenmark sowie eine reduzierte Eryropoetin-Produktion in der Niere. Auch während Chemo- oder Radiotherapie steigt das Anämie-Risiko an, da die Blutbildung im Knochenmark dabei unterdrückt bzw. die EPO-Bildung durch nephrotoxische Wirkung gehemmt werden kann.

Vielfältige Symptome

Die Symptome der Anämie sind vielfältig. Es gibt kaum ein Organsystem, das nicht davon beeinflusst wird. Im Vordergrund stehen die Beeinträchtigungen am kardiovaskulären System (Linksherzhypertrophie, Herzversagen), am ZNS (kognitive Funktionseinschränkungen, Kopfschmerzen, Fatigue), im Stoffwechsel (Hyperinsulinämie, Hyperlipidämie) und bei den Sexualfunktionen (Libidoverlust, Menstruationsstörungen). Außerdem kann die Anämie die Wirksamkeit einer Tumortherapie mindern. So verstärkt der Abfall des Hb-Werts die Tumorhypoxie und erhöht damit die Zahl von Tumorzellen, die gegen Chemo- und Radiotherapie resistent sind.

Bei einer Reihe von Tumoren ist die Anämie zudem ein negativer prognostischer Faktor für das Überleben der Patienten. Anämische Patienten haben insgesamt ein um 65% höheres Risiko, an ihrer Tumorerkrankung zu sterben als nicht-anämische Patienten. Darüber hinaus scheint eine Anämie auch mit einer schlechteren Verträglichkeit der Tumortherapie verbunden zu sein. Dennoch werden rund 60% der Anämiepatienten noch nicht adäquat behandelt.

Chancen durch erythropoetische Wachstumsfaktoren

Die Anämie sollte möglichst ursächlich therapiert werden. Hierzu gehören Blutstillung, Eisengabe oder Therapie einer Knochenmark-Infiltration. In den meisten Fällen ist jedoch keine kausale Therapie möglich, so dass entweder mit Bluttransfusionen oder EPO behandelt werden muss. Auch wenn eine Bluttransfusion den Vorteil eines raschen Hb-Anstiegs bietet, ist der Effekt nur kurzfristig, das Prozedere zeitaufwändig und mit der Gefahr von allergischen Reaktionen, Infektübertragungen und Eisenüberladung verbunden.

Eine wirksame – wenn auch teure – Alternative ist die Anwendung von rhEPO (z. B. Erythropoetin beta, NeoRecormon®), mit dem bei einem großen Teil der Patienten ein durchgehender Anstieg des Hb erreicht werden kann. Laut den europäischen Behandlungsleitlinien sind in der Onkologie erythropoetische Wachstumsfaktoren zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Vermeidung von Bluttransfusionen indiziert. Die Anwendung sollte hier bei fallendem Hb-Wert unter 11 g/dl erfolgen. Die Ansprechrate bei Anämie-Patienten mit Chemotherapie beträgt 60 bis 70% und die durchschnittliche Dauer bis zum Ansprechen sechs bis acht Wochen.

Lebensqualität korreliert mit Hb-Wert

Es besteht eine enge Korrelation zwischen Lebensqualität und Hb-Wert. Für Krebspatienten liegt der optimale Hb-Wert bei 12 bis 13 g/dl. Unter diesen Hb-Werten nimmt die Tumorhypoxie signifikant ab und damit auch die Zahl therapieresistenter Tumorzellen. Tierexperimentelle Untersuchungen zeigen eine signifikante Verbesserung der Ergebnisse von Radio- und Chemotherapie im Zuge der Anämie-Behandlung. Ob sich durch frühzeitige Anämie-Therapie auch die Prognose der Krebspatienten verbessert, sollen zukünftige Untersuchungen zeigen.

Ulrike Weber-Fina, Überlingen

 

Quelle
Dr. Dr. Hans Günther Wahl, Lüdenscheid; Professor Dr. Mohammad Resa Nowrousi- an, Essen; Dr. Hans-Tilman Steinmetz, Köln; Robert Gruppe, Großostheim: Pres- sesymposium „Die Bedeutung der Anämie- behandlung in der Diabetologie und Onko- logie“, Petersberg, 7. Mai 2005, veranstal- tet von HemoCue GmbH und Hofmann-La Roche AG.

Hämoglobin-Normalwerte

Nach der Definition der WHO wurden folgende Hb-Normalwerte festgelegt: Frauen: 12,0 – 16,0 g/dl Männer: 13,0 – 17,0 g/dl

Anämie-Ursachen

Eine Anämie entsteht, wenn entweder die Produktion von Erythrozyten oder Hämoglobin nicht optimal ist, wenn zu viele rote Blutzellen zerstört werden oder ihre Lebensdauer (normalerweise etwa 100 Tage) herabgesetzt ist.

  • Die häufigste Ursache ist Eisenmangel (durch eisenarme Ernährung, Resorptionsstörungen, schweren Blutverlust z. B. aufgrund von Darmblutungen)

Weitere Ursachen sind:

  • Vitaminmangel (z. B. Folsäure, Vitamin B12)
  • Fehlbildungen der Erythrozyten (z. B. Thalassämie, Sichelzellenanämie, hämolytische Erkrankungen)
  • Knochenmarkerkrankungen (Leukämie)
  • andere Erkrankungen (wie rheumatoide Arthritis, HIV, Krebs, Nierenversagen)

Hb-Bestimmung mit dem HemoCue-System

Die Anämie und ihr Schweregrad lassen sich mit der Messung des Hämoglobin- oder Hämatokritwertes nachweisen. Eine im Vergleich zum Blutbild einfache, kostengünstige und sofortige Hb-Bestimmung ist mit der HemoCue-Methode möglich. Der handliche HemoCue Hb 201+ Analyzer liefert laborgenaue Ergebnisse in weniger als einer Minute ("patientennahe Sofortdiagnostik") und benötigt nur 10 µl kapillares, venöses oder arterielles Blut. (Die Methode basiert auf einer modifizierten photometrischen Azidmethämoglobin-Messung)

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