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Mehr Koordination im Gesundheitswesen gefordert

BERLIN (ks) Der Sachverständigenrat zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt am 30. Mai in Berlin sein aktuelles Gutachten übergeben. Auf rund 750 Seiten analysieren die Sachverständigen das deutsche Gesundheitswesen und machen Vorschläge, wie es weiter entwickelt werden könnte. Ihre Erkenntnis: Es gibt noch immer ein beachtliches Potenzial, um Effizienz und Effektivität zu erhöhen. Schwerpunktthemen des diesjährigen Gutachtens sind die korporativen Strukturen, Strategien der Primärprävention, die Pflege sowie die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln.

Das Gutachten mit dem Titel "Koordination und Qualität im Gesundheitswesen" zielt seinen Autoren zufolge darauf ab, am Beispiel ausgewählter Versorgungsbereiche Vorschläge zur Qualitätssteigerung durch verbesserte Koordination zu machen. Im Arzneimittelbereich zeigt sich der Einfluss des 2003 in den Sachverständigenrat berufenen Pharmazeuten Gerd Glaeske. Zwar sei die Ausgabenentwicklung im Arzneimittelsektor im internationalen Vergleich "nicht auffällig", heißt es im Gutachten.

Dennoch bestehe weiterhin die Notwendigkeit, vorhandene Rationalisierungsreserven auszuschöpfen und die Qualität der Pharmakotherapie zu verbessern. So lasse sich etwa im generischen Bereich sparen – und zwar weniger bei der Substitution von Originalen, sondern innerhalb des Marktsegments: Hier finde anstelle eines Preis- ein intensiver Rabattwettbewerb statt, der nicht den Kassen und Versicherten, sondern den Apothekern zugute komme. Weitere Einsparpotenziale finden sich den Regierungsberatern zufolge bei der Verordnung von umstrittenen sowie von Analog-Arzneimitteln.

Analogpräparate ohne höheren therapeutischen Nutzen sollten dem Sachverständigenrat zufolge einer Nutzen-Kosten-Bewertung unterzogen werden. Dabei macht er auch Vorschläge, wie mit Mitteln mit geringfügigem zusätzlichen Nutzen umzugehen ist: Möglich wäre es etwa, die Erstattungsgrenze etwas oberhalb des bestehenden Festbetrags zu setzen oder die Erstattungsfähigkeit über die Arzneimittelrichtlinien indikationsspezifisch einzuschränken. Voraussetzung hierfür sei jedoch eine begleitende Versorgungsforschung.

Verhandlungsmöglichkeiten bei Arzneimitteln nutzen

Darüber hinaus plädieren die Sachverständigen für eine Ausweitung der dezentralen Verhandlungsmöglichkeiten über Arzneimittelpreise: Hersteller und Kassen sollten dabei auch verstärkt das Festbetragssegment einbeziehen. Durch derartige Verträge werde der Spielraum der Hersteller bei der Preisfestsetzung nicht mehr durch Rabatte an Apotheken abgeschöpft, sondern komme direkt den Kassen und Versicherten zugute. Insbesondere im Rahmen der Integrierten Versorgung und bei Disease-Management-Programmen könnten die Kassen solche Preisverhandlungen als Wettbewerbsparameter nutzen. Ergänzend könnten auch Verhandlungen zwischen Apotheken oder Apothekengruppen mit Kassen bzw. Herstellern hinzutreten.

Zuzahlungsuntergrenze von 5 Euro aufheben

Damit auch die Versicherten preisbewusster im Umgang mit Arzneimitteln werden, spricht sich der Sachverständigenrat weiterhin für eine Aufhebung der Mindestzuzahlung von fünf Euro und ein generelle zehnprozentige Zuzahlung aus. Eine entsprechende Anpassung der Obergrenze könne dafür sorgen, dass die Umstellung aufkommensneutral bleibt.

Kranken- und Pflegeversicherung zusammenführen

Ein weiterer Schwerpunkt des Gutachtens ist die Reform der Pflegeversicherung. Die Experten sprechen sich dafür aus, Kranken- und Pflegeversicherung zusammenzulegen. Derzeit sei die Pflegerealität von "ausgeprägten Defiziten" gekennzeichnet. Versorgungslücken gebe es insbesondere bei der Betreuung Demenzkranker, psychisch Kranker oder Sterbender. Jede Pflegereform, die diese Aspekte nicht berücksichtige, greife zu kurz, so die Sachverständigen.

Auch die Trennung der wettbewerblich ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von der nicht-wettbewerblich organisierten sozialen Pflegeversicherung (SPV) führe zu Lücken in der Versorgung und falschen Anreizen. So gebe es etwa immer wieder Schwierigkeiten an den Schnittstellen zwischen den einzelnen Leistungsbereichen – so bei der Umsetzung des Leitgedankens "Rehabilitation vor Pflege". Es liege nahe, dass eine Zusammenführung von GKV und SPV diese Probleme beseitigen könne.

Fragen der Finanzreform bleiben offen

Über die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung – und im übrigen auch der GKV – ist sich der Rat allerdings uneins. Sofern die GKV über einen Wegfall der Versicherungspflichtgrenze zu einer Bürgerversicherung erweitert würde, böte sich im Falle der Integration der beiden Versicherungszweige auch eine entsprechende Ausgestaltung der SPV an. Insbesondere Sachverständigenratsmitglied Karl Lauterbach macht sich für diese Lösung stark. Auf der anderen Seite steht der Ratsvorsitzende Eberhard Wille, der mit dem Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, das Modell der Gesundheitsprämie entwickelt hat. Bei einem Übergang zu kassenspezifischen Gesundheitspauschalen in der GKV läge eine entsprechende Finanzierung der SPV nahe.

Schmidt sieht sich bestätigt

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sieht sich durch das Gutachten in ihrem gesundheitspolitischen Kurs bestätigt. Vor allem gefällt ihr, dass der Rat die Bedeutung der Prävention hervorhebt. Auch bei der Versorgung mit Arzneimitteln sowie Heil- und Hilfsmitteln wiesen die Vorschläge der Sachverständigen in die von der Regierung eingeschlagene Richtung zu mehr Wettbewerb und Transparenz.

Pharmaindustrie erkennt Positives

Positives wie Negatives erkennen auch die Pharmaverbände in dem Gutachten. "Ich habe den Eindruck, unsere Bemühungen um einen rationalen Blick auf Arzneimittel und ihre therapeutischen Möglichkeiten beginnen Früchte zu tragen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) Henning Fahrenkamp. Die Gutachter vollziehen seines Erachtens "erste Schritte, um Arzneimittel nicht mehr isoliert als Kostentreiber im Gesundheitssystem zu betrachten, sondern räumen ihnen einen eigenständigen und berechtigten Platz in der medizinisch-therapeutischen Behandlungskette ein." Als "vernünftig" bezeichnete Fahrenkamp auch den Vorschlag zur Neuregelung der Zuzahlung. "Problematisch" sei hingegen die Auffassung des Gremiums zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln.

Das sieht auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) so: Zwar stelle der Rat zu Recht fest, dass sich der medizinische Nutzen von Arzneimitteln im Versorgungsalltag manifestieren müsse. Gerade deshalb müsse das System aber innovationsoffen sein, sagte VFA-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer. Auch der Vorschlag direkter Preisverhandlungen ist nach Auffassung des VFA "im Ansatz richtig". Er sei aber nur dann sinnvoll, wenn er mit einer umfassenden Deregulierung des Gesundheitswesens einhergehe.

Das Gutachten ist in seiner Lang- sowie in einer Kurzfassung auf der Homepage des Sachverständigenrats (www.svr-gesundheit.de) unter der Rubrik "Gutachten" zu finden.

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