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Soziale Marktwirtschaft und G„Mehr Nächstenliebe!“lobalisierung: Geißler fordert mehr Nächstenliebe

MERAN (diz). In seinem Festvortrag zur Eröffnung des Fortbildungskongresses der Bundesapothekerkammer in Meran setzte sich Dr. Heiner Geißler für eine weltweite soziale Wirtschaftspolitik und Marktwirtschaft ein. Wichtig sei es, so führte er in seinem Vortrag am 22. Mai aus, ethische Fundamente zurückzugewinnen, er rief zu mehr Nächstenliebe auf. Die Apothekerinnen und Apotheker quittierten die Ausführungen des früheren CDU-Generalsekretärs und ehemaligen Bundesgesundheitsministers mit lang anhaltendem Beifall.

Die friedliche Revolution der Wende, das Verschwinden der einstigen UdSSR von der Landkarte, die technischen Revolutionen wie PC und Internet sind nur Beispiel dafür, wie sich unsere Welt unaufhaltsam verändert. Immer stärker wird eine globale Unordnung in der Welt spürbar. Ein hohes Bruttosozialprodukt wird mit immer weniger Aufwand erwirtschaftet, die Folge ist Arbeitslosigkeit, die wiederum zu Spannungen führt. Der Mensch ist zum Kostenfaktor degradiert. Gerade deshalb wird die Frage nach dem Sozialen und Menschlichen immer wichtiger, so Geißler.

Ethische Grundlagen fehlen

Der CDU-Politiker beschrieb das derzeitige Szenario: Die Weltwirtschaft ist eine Welt der Anarchie, "wir haben heute keinen geordneten Wettbewerb mehr", resümierte der Redner. Gigantische Firmenfusionen bestimmen das Bild, bei denen Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben. Je mehr Beschäftigte wegrationalisiert werden, umso mehr steigt der Börsenwert, "das ist unsittlich". Die Entstehung von Oligo- und Monopolen ist ein Produkt der Globalisierung. Der shareholder value tritt an die Stelle der sozialen Marktwirtschaft.

Die Unordnung der Ökonomie wirkt sich auch auf Deutschland aus, das als starkes Exportland zu den großen globalen Playern gehört. So haben 70% der Deutschen Angst vor Arbeitslosigkeit und Armut, acht Millionen sind davon konkret betroffen. Es entwickelt sich eine Abscheu gegen die politische und ökonomische Elite, die unfähig ist, den Globalisierungsprozess human zu gestalten. Hinzu kommt, dass es keine Konzepte gibt, die Hoffnung auf Veränderung, auf Besserung machen. Die ethische Grundlage ist entschwunden.

Menschenbild entscheidend

Selbst wenn man Philosophen wie Kant und seinen kategorischen Imperativ bemüht, wonach jeder so handeln soll, dass die Maxime seines Handelns als allgemeine Maxime gelten kann, hilft dies in der heutigen Situation nicht weiter, so Geissler, der neben Rechtswissenschaften auch Philosophie studiert hat. Die Frage nach der richtigen Ordnung beantwortet jeder anders. Sie läuft letztendlich auf die Frage hinaus: Was oder wer ist der Mensch? Je nach Ideologie, Rasse, Glaube, Nation oder Geschlecht beantwortet dies jeder anders.

Allein die weltweite Diskriminierung von Frauen (Fernhalten von Bildung, Beschneidungsrituale) zeigt, dass die Frage nach dem Menschenbild entscheidend ist. Jeder Mensch ist in seiner Würde unantastbar, egal ob geboren oder ungeboren, ob Mann oder Frau, ob jung oder alt. Ausgehend von diesem Grundsatz müssen auch Fragen des Umweltschutzes diskutiert werden (welche Welt hinterlassen wir unseren Nachkommen) oder wie wir mit der medizinischen Versorgung von Alten umgehen sollen, beispielsweise bis zu welchem Alter bestimmte teure Operationen angewandt werden sollen. Die demografische Entwicklung wird uns dazu zwingen, solche Fragen zu beantworten.

Wer arm, arbeitslos und alt ist, steht auf der untersten Sprosse des Sozialwesens. Geißler prangerte in diesem Zusammenhang krasse Auswirkungen beim Arbeitslosengeld II und Hartz IV an. Geißler: Hier hat die Politik die ethischen Grundlagen verloren, wenn Leute, die unverschuldet arbeitslos werden, regelrecht arm gemacht werden. Er forderte eine Änderung der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik und beklagte, dass bestimmte Wirtschaftswissenschaftler den Ton angeben: "Wir sind Opfer eines Meinungskartells."

Ethisches Fundament zurückgewinnen

Als Handlungsmaxime für die Zukunft rät Geißler die Nächstenliebe in den Mittelpunkt zu stellen: Die Pflicht, denen zu helfen, die in Not sind – das versteht der Jesuitenschüler Geißler unter Nächstenliebe, was letztendlich zu mehr Solidarität führt. Von dem heute vielfach eingeschlagenen Weg in die Privatisierung sozialer Leistungen hält er nicht viel, da nicht jeder einen Kapitalstock bilden kann, um sich daraus im Krankheitsfall oder im Alter selbst zu helfen. Nach seiner Auffassung gibt es solidarische Lösungen, die auch ökonomisch sinnvoll sind: "Humanität und Ökonomie sind vereinbar." Man soll den Menschen wieder Hoffnung und Zukunftskonzepte geben. Die Wirtschaft darf nicht dem Egoismus überlassen werden, denn der führt zu einem Feld, auf dem Terrorismus blüht.

Geißlers Aufforderung: Wir müssen zu einer weltweiten sozialen Wirtschaftspolitik und Marktwirtschaft kommen, wir brauchen Menschen, die das erkennen und umsetzen, auch die Kirche müsste hier mitmachen, statt sich um fragwürdige Morallehren zu kümmern. Das ethische Fundament muss zurückgewonnen werden, sonst ist jede Politik zum Scheitern verurteilt. Wie das zu bewerkstelligen ist, verriet der Politiker allerdings nicht.

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