Fortbildung

Humanhautmodelle ersetzen Tierversuche

So weit möglich, soll in der EU das Gefährdungspotenzial von Substanzen künftig nicht mehr aufgrund von Tierversuchen bewertet werden. Das gilt auch für hautschädigende Wirkstoffe. Pharmazeuten, Chemiker, Toxikologen, Dermatologen und Kosmetikfachleute arbeiten daran, In-vitro-Versuche mit Humanhaut zu entwickeln, die die etablierten Tierversuche ersetzen können. Auch die im Fall von Arzneistoffen erwünschte kutane Resorption soll künftig mit Humanhautmodellen getestet werden. Über den aktuellen Stand der Forschung informierte ein Symposium der Gesellschaft für Dermopharmazie.

Epidermis- und Vollhautmodelle

Nach Kontakt mit Fremdstoffen synthetisiert die Epidermis lösliche Mediatoren, die Immunzellen rekrutieren. Derzeit wird an der Entwicklung eines immunkompetente Epidermismodells gearbeitet, das, ausgehend von Zellen der äußeren Haarfollikelscheide, mit dendritischen Zellen ausgestattet ist (Dr. Andreas Emmendörfer, Leipzig).

Verschiedene Hersteller bieten Vollhautmodelle (u.a. SkinEthic® Full Thickness, EpiDerm™-FT-200, AST-2000 sowie Modelle von Henkel und Phenion) an, die sich hinsichtlich Histologie, Immunhistologie und der Antwort auf Irritanzien unterscheiden. Histologisch zeigten alle Hautmodelle nach mehrtägiger Lagerung eine Vergrößerung des Stratum corneum. Hinsichtlich des Kontaktes von Epidermis und Dermis erwiesen sich das Henkel- und das Phenion-Modell am stabilsten, zudem konnte neben anderen Immunmarkern das in nativer Haut vorkommende Elastin nachgewiesen werden. Bezüglich der Zytokinausschüttung und Genexpression nach erfolgter Irritation ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen dem Henkel-Vollhautmodell und Epidermismodellen (Dr. Klaus-Rudolf Schroeder, Düsseldorf).

Rattenhaut permeabler als Humanhaut

Bei der dermalen Resorption ist das Stratum corneum die wesentliche Permeationsbarriere. Sie kann parazellulär, transzellulär und follikulär/transglandulär überwunden werden. Die parazelluläre Permeation von Ketoprofen wird durch Vorbehandlung der Hautoberfläche mit halbfesten Triglyceriden erhöht, aber durch Vorbehandlung mit Vaseline oder Wollwachsalkoholsalbe erniedrigt. Untersuchungen bei Cremes und Salben zeigten einen Einfluss des Wassergehaltes auf die Permeation von Flufenaminsäure. Die Permeation durch die tieferen Hautschichten spielt für die Gesamtpermeation eine geringere Rolle – Ausnahmen bilden nanopartikuläre Systeme, die in Haarfollikel eindringen können (Dr. Ulrich Schäfer, Saarbrücken).

Die Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln, die bei der Ausbringung hauptsächlich durch Hautkontakt aufgenommen werden, stützt sich in erster Linie auf Daten zur akuten Toxizität und zur dermalen Penetration an Rattenhaut. Wie ein von der BASF durchgeführter Vergleich zeigte, ist menschliche Haut jedoch grundsätzlich weniger permeabel als Rattenhaut. Aber auch In-vitro-Untersuchungen an exzidierter Humanhaut können problematisch sein. So ergab eine kürzlich veröffentliche Ringstudie sehr hohe Intra- und Inter-Labor-Variabilitäten (Dr. Armin Gamer, Ludwigshafen).

DIE MENSCHLICHE HAUT  Das  Stratum  corneum,  die  äußerste  Schicht der Epidermis, bildet die größte Barriere für die Permeation von Wirkstoffen in den Körper.

 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert ein Verbundprojekt zur Erfassung der kutanen Penetration und Permeation von Fremdstoffen mit Humanhautmodellen. Durch diese Methode soll es gelingen, bei der Entwicklung und Prüfung von Industriechemikalien, Pflanzenschutzmitteln und Arzneimitteln die Zahl der Tierversuche erheblich zu reduzieren oder gar vollständig zu ersetzen. Neben der Freien Universität Berlin sind weitere universitäre Einrichtungen und Industriepartner an dem Projekt beteiligt. Zurzeit beginnt die abschließende Phase, die Validierung.

Bei Arzneizubereitungen können Trägersysteme die kutane Resorption der Wirkstoffe verbessern. Dies wurde für verschiedene lipidbasierte Zubereitungen, z. B. Glucocorticoide in festen Lipidnanopartikeln, mittels Parelektrischer Spektroskopie nachgewiesen (Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting, Berlin).

Irritation und Sensibilisierung der Haut

Kosmetika oder topische Dermatotherapeutika sollten möglichst keine Hautirritation am Menschen auslösen und werden mit verschiedenen Tierversuchen entsprechend getestet. Hier versuchen u. a. die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET), die am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin eingerichtet ist, und das European Centre for the Validation of Alternative Methods (ECVAM) Abhilfe zu schaffen. Das ECVAM fördert derzeit eine Validierungsstudie zur Klassifizierung hautirritierenden Potenzials. Das Ziel ist die Erkennung von Stoffen, die mit "hautreizend" gekennzeichnet werden müssen (Prof. Dr. Klaus-Peter Wilhelm, Schenefeld; Dr. Manfred Liebsch, ZEBET).

Im Bereich des beruflichen Hautschutzes werden Emulsionen mit regenerativer Wirkung verwendet. Die Formulierungen, die anhand eines dreidimensionalen Hautmodells geprüft wurden, führten zu einer Regeneration der mit Natriumlaurylsulfat vorgeschädigten Hautbarriere und verminderten die Zelllyse sowie die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren. Humanhautmodelle bieten gegenüber anderen In-vitro-Methoden und Humanversuchen den Vorteil, die Wirkmechanismen und biochemischen Reparaturprozesse über einen längeren Zeitraum untersuchen zu können (Dr. Jens-Olaf Eichler, Krefeld).

Neben der Irritation kommt auch der Sensibilisierung der Haut durch Fremdstoffe große klinische Bedeutung zu. Bei der Entwicklung neuer Produkte sollten bereits im Vorfeld sensibilisierende Substanzen identifiziert werden. Gegenwärtig dienen dazu verfeinerte Versuche am Tier, wie der lokale Lymphknotentest (LLNA). Durch dessen Modifikation ist eine präzisere Aussage, vor allem zur Unterscheidung von irritierenden und sensibilisierenden Eigenschaften, möglich (Prof. Dr. Hans-Werner Vohr, Wuppertal).

Viel versprechend erscheint eine In-vitro-Methode zur Vorhersage des sensibilisierenden Potenzials von Chemikalien, die zukünftig Tierversuche ersetzen könnte. Die Methode untersucht sowohl die Aktivierung dendritischer Zellen als auch die Hautpenetration, denn beide sind für die Entwicklung einer allergischen Reaktion relevant (Dr. Carsten Goebel, Darmstadt).

Arzneistoffforschung

Der Transfer von dendritischen Zellen zum Lymphknoten ist ein Beispiel für die komplexen Abwehrmechanismen, die bei einer Aktivierung des Immunsystems durch Pathogene in der Haut in Gang gesetzt werden. Das detaillierte Aufklären der Signalwege ermöglicht die Identifizierung neuer Targets für Arzneistoffe (Prof. Dr. Heinfried H. Radeke, Frankfurt/Main).

Psoriasis-Tiermodelle können bislang wegen des komplexen Phänotyps dieser Erkrankung nur einzelne Aspekte abdecken. Am besten bewährt hat sich das Psoriasis-SCID-Maus-Modell, bei dem Psoriasis-geschädigte Haut auf die Haut immundefizienter Mäuse transplantiert wird. Hier besteht eine Korrelation zwischen der in vitro beobachteten Wirkung und der klinischen Wirksamkeit der getesteten Arzneistoffe (Prof. Dr. Wolf-Henning Boehncke, Frankfurt/Main).

Erfolgreiche Alternativmethoden

Neue Prüfmethoden zum Ersatz von Tierversuchen bedürfen einer umfangreichen Validierung, um international anerkannt zu werden. Dass sich eine zeit- und kostenaufwendige Validierung lohnt, beweist die Tatsache, dass ein In-vitro-Phototoxizitäts- und drei In-vitro-Embryotoxizitätstests nunmehr von der EU und der OECD als Alternativen zum Versuch am Tier akzeptiert sind (Prof. Dr. Horst Spielmann, ZEBET).

Zusammenfassungen aller beim Symposium gehaltenen Vorträge finden sich unter www.gd-online.de.

Alexander Vuia, Berlin

 

Quelle

Symposium "Einsparung von Tierversuchen mit Humanhautmodellen", veranstaltet von der Gesellschaft für Dermopharmazie in Kooperation mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und der Freien Universität Berlin am 25. November in Berlin.

 

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