Die Seite 3

Mit Begriffen Meinung machen

Wettbewerb, Gemeinwohl, Kostenexplosion, Deregulierung gegen angebliche Monopole, "traditionelle" Präsenz-Apotheke versus "moderne" Versand-Apotheke, medizinische Versorgungszentren gegen den Facharzt an der Ecke, Ketten, Kooperationen, Franchisesysteme – auch in der Gesundheitspolitik wird mit Begriffen Politik gemacht. Sie geschickt zu wählen und für sich zu besetzen und zu interpretieren – das versuchen alle, die in der politischen Auseinandersetzung mitmischen wollen.

Begriffe sind oft Instrumente oder – wer es martialischer mag – Waffen im Kampf um Einfluss und Gestaltungsmacht. Begriffe bezeichnen und beschreiben nicht nur. Sie beschönigen und verschleiern, diskreditieren und emotionalisieren. Wer meint, er könne sich da 'raushalten, hat schon verloren. Denn es geht nicht nur um die Hoheit über den Stammtischen. Auch der ernsthafte öffentliche Diskurs, die Deutung, Einordnung, Bewertung von Entwicklungen, Fakten, Meinungen, wird von Begriffen beeinflusst, die oftmals zunächst ganz harmlos daherkommen.

Wem es gelingt, in den Medien zur rechten Zeit die richtigen Saiten anzuschlagen, kann damit Gesetze und Wahlen beeinflussen oder – da oft nur wenige Prozente den Ausschlag geben – vielleicht sogar kippen. Schröders Versprechen an die "Neue Mitte", er werde nicht alles anders, aber vieles besser machen, ist dafür ein Beispiel. Seine Politik als "Kanzler der Bosse" hat er danach cool eher an Konzerninteressen, nicht an der Neuen Mitte ausgerichtet.

Dass wir Apotheker mit unseren Organisationen bei der Wahl unserer Begriffe und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung in den letzten Jahren ähnlich erfolgreich gewesen wären, fällt – vorsichtig gesagt – nicht gerade ins Auge. Den Ärzten ging es nicht viel besser. Ein Trost ist das nicht, aber Teil unseres Dilemmas. Die freien Heilberufe Arzt und Apotheker sind in der Defensive, werden gern als Auslaufmodell dargestellt – und sie glauben zu oft schon selbst daran. Dabei verkennen sie, dass Geschichte nicht mit naturgesetzlicher Stringenz verläuft, dass sie sehr wohl beeinflussbar ist. Grundvoraussetzung dafür: Man muss es wollen, nachhaltig und hartnäckig. Ein gelungenes Beispiel ist die Wende bei der Rede von der "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen. Obwohl sie es lange Zeit partout nicht wahrnehmen wollte – inzwischen musste die politische Klasse eingestehen, dass die Parole von der Kostenexplosion im deutschen Gesundheitswesen mit der Wirklichkeit nicht viel gemein hat. Die steigenden Beitragssätze zeigen ein Finanzierungsproblem, das vor allem in zurückbleibenden Einnahmen begründet ist.

Weniger erfreulich ist, wie missbräuchlich mit dem positiv besetzten Begriff des Wettbewerbs umgegangen wird. Dass der allseits von der Politik geforderte verstärkte Wettbewerb im Gesundheitswesen durch viele der letzten Reformmaßnahmen nicht nur nicht gefördert, sondern eher abgebaut wird, ist nicht verstanden, weil Wettbewerb vorschnell mit Preiswettbewerb gleichgesetzt wird. Wettbewerb hat aber auch mit Wahlmöglichkeiten zu tun. Durch die Hausapotheken- und Hausarztmodelle hat der Versicherte zunächst einmal weniger Möglichkeiten, sich einen Arzt oder eine Apotheke zu wählen.

Wie lange kann er noch zwischen niedergelassenen Fachärzten und Medizinischen Versorgungszentren wählen? Disease-Management-Programme grenzen Behandlungsalternativen zusätzlich ein – mehr Wettbewerb? Integrierte Versorgung – mehr Wettbewerb? Wohl kaum! Mehr Absprachen und Vorgaben – das sicher. Dass dahinter vielfältige Korruptionsfallen lauern, wird schamvoll verschwiegen.

Ein weiteres Beispiel: das Gemeinwohl. Alle reden davon. Damit lässt sich vieles begründen und alles beschönigen. Auch ein bisschen weniger Freiheit, ein bisschen weniger Datenschutz. "Wer bonum commune sagt, will oft betrügen" – hat man eingewandt. Dem Missbrauch des Begriffes hat das keinen Riegel vorgeschoben.

Mit wie unterschiedlichen Konnotationen Begriffe belegt sein können, zeigt sich derzeit, wenn in unserem Bereich von Kooperationen, Franchise-Systemen und Ketten die Rede ist. Aufgabe von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, zum Nachteil auch der Patienten – daran denken die einen. An mehr Effizienz, bessere Geschäfte, ein bequemeres Leben und geringeres Risiko glauben andere. Welche Sicht bekommt Oberwasser? Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur akademisch, sie kann die weitere Entwicklung nachhaltig beeinflussen.

Der Erfolg politischer Schlagworte liegt oft darin, dass sie komplexe Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit verkürzen. Das löst kein Problem, es wird nur nicht mehr wahrgenommen. Für den, der agitieren will, reicht das. Das Gegengift heißt, sich einzumischen, das Feld nicht anderen zu überlassen. Unsere Öffentlichkeitsarbeit – aber nicht nur sie – hat offensichtlich einiges nachzuholen.

Klaus G. Brauer

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