Arzneimittel und Therapie

Antibiotikaverbrauch und Resistenzlage in Europa

Eine Ursache für die Zunahme der Antibiotikaresistenzen wird im steigenden Antibiotikaverbrauch gesehen. Das aus Mitteln der Europäischen Union finanzierte ESAC-Projekt hat kürzlich Daten zum Antibiotikaverbrauch in Europa im Hinblick auf nationale Unterschiede und einen Zusammenhang zur Resistenzlage publiziert.

Die ESAC-Ergebnisse (European Surveillance of Antimicrobial Consumption) basieren auf ambulanten Antibiotikaverschreibungsdaten aus 26 europäischen Ländern im Zeitraum Januar 1997 bis Dezember 2002. Ausgewertet wurden diese mithilfe des anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikationssystems (ATC-System, siehe Kasten).

Zur Analyse der Resistenzsituation zogen die Autoren Daten aus anderen europäischen Studien bezüglich der Resistenzen von Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes und Escherichia coli heran. Mithilfe eines statistischen Verfahrens (Spearman's Korrelationstest) wurde auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Antibiotikaverbrauch und der Resistenzlage getestet.

Große Unterschiede innerhalb Europas

Es zeigte sich, dass innerhalb Europas große Unterschiede im Antibiotikaverbrauch existieren. Bezogen auf den ambulanten Gesamtverbrauch führte im Jahre 2002 Frankreich mit 32,2 DID (dose per 1000 inhabitants daily) gefolgt von Griechenland und Luxemburg. Die Niederlande stehen mit 10,0 DID an letzter, Deutschland an 22. Stelle von 26 Ländern. Allgemein wird der Verbrauch in nordeuropäischen Ländern als gering, in osteuropäischen als moderat und in südeuropäischen Ländern als hoch bezeichnet.

Die Auswertung der Daten brachte auch zutage, dass der Antibiotikaverbrauch saisonalen Schwankungen unterliegt – vor dem Hintergrund einer Zunahme von Atemwegsinfektionen in den Wintermonaten eigentlich nicht verwunderlich. Interessant ist jedoch, dass in Ländern mit hohem Antibiotikaverbrauch diese Schwankungen sehr stark ausgeprägt waren (es kam zu einem mittleren Anstieg von mehr als 30% im ersten und vierten Quartal des Jahres im Vergleich zum zweiten und dritten), während in den nordeuropäischen Ländern der Verbrauch in den Wintermonaten nur um maximal 25% anstieg.

Deutschland meist im Mittelfeld

Das Süd-Nord-Gefälle hinsichtlich des Antibiotikaverbrauchs zeigte sich in allen Wirkstoffgruppen. Bei den ambulant verordneten Penicillinen führte 2002 wiederum Frankreich mit 16,3 DID, den letzten Platz nahmen die Niederlande (3,9 DID) ein. Bei den Cephalosporinen war der Verbrauch in Griechenland (6,7 DID) am höchsten, in Dänemark am geringsten (0,03 DID).

Betrachtet man in dieser Wirkstoffgruppe die Daten aus Frankreich und Italien so fällt auf, dass in diesen Ländern die Cephalosporine der dritten Generation (z. B. Ceftibuten, Cefixim, Cefpodoxim) besonders häufig, d. h. zu etwa einem Drittel, verordnet werden. In anderen Ländern dagegen (z. B. Norwegen, Finnland, Lettland) lag der Anteil der älteren Cephalosporine am Verbrauch noch bei über 50%.

In der Gruppe der Makrolide, Lincosamine und Streptogramine fand sich im Jahre 2002 der höchste Verbrauch in Griechenland (7,8 DID), der niedrigste in Lettland (0,3 DID), Deutschland lag auf Platz 15. Bei den Chinolonen führte 2002 Italien (3,76 DID) den niedrigsten Verbrauch gab es in Dänemark (0,17 DID), Deutschland belegte Platz 14.

Insgesamt zeigt sich in den meisten Ländern ein Trend zur Verordnung neuerer Antibiotika mit breiterem Wirkungsspektrum.

Signifikanter Zusammenhang zwischen Verbrauch und Resistenzlage

Der statistische Test auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Antibiotikaverbrauch und Resistenzlage ergab eine signifikante Korrelation (p < 0,05) für alle getesteten Kombinationen, insbesondere bezüglich des Keims Streptococcus pneumoniae. Durch diese Korrelationen konnte gezeigt werden, dass mit steigendem Antibiotikaverbrauch die Verbreitung resistenter Keime zunahm.

Wie erklärt man sich die Unterschiede innerhalb Europas?

Zahlreiche Faktoren können für die beobachteten Unterschiede im Antibiotikaverbrauch verantwortlich sein. Die Autoren führen vor allem Unterschiede in den Inzidenzen ambulant erworbener Infektionen, kulturelle und Bildungsunterschiede, Differenzen bei der nationalen Regulation des Arzneimittelmarktes und nicht zuletzt Marketingaktivitäten der nationalen Pharmaindustrien an.

Die Autoren des Projekts fordern, dem Anstieg der Antibiotikaresistenzen verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. Antibiotika sollten nur dann angewendet werden, wenn sie tatsächlich klinisch notwendig seien, zumal vor dem Hintergrund, dass die Rate der zur Marktreife entwickelten neuen Antibiotika gegenwärtig sinkt.

Dr. Claudia Bruhn,
Berlin

Quelle
Goossens, H.; et al.: Outpatient antibiotic use in Europe and association with resistance: a cross-national database study. Lancet, 365, 579  – 587

(2005). Schröder, H.; Nink, K.; Zawi- nell, A.: Transparenz jetzt nutzen! Dtsch. Apoth. Ztg., 2413 – 2418 (2004).

 

ATC, DDD und DID zur Darstellung des Arzneimittelverbrauchs

ATC: anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem, in das Arzneimittel nach ihrem therapeutischen Anwendungsgebiet und dem enthaltenen Wirkstoff eingeordnet werden. Beispiele:

  • 01C: Penicilline
  • 01DA: Cephalosporine
  • 01A: Tetracycline Die internationale ATC-Klassifikation wurde von der WHO entwickelt. Seit 2001 wird sie vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WidO) ins Deutsche übersetzt. DDD (defined daily dose): Messgröße zur Bestimmung der Menge eines Wirkstoffs oder Arzneimittels, die typischerweise als Erhaltungsdosis für die Hauptindikation bei Erwachsenen pro Tag angewendet wird. DID: (DDD per 1000 inhabitants daily): DDD bezogen auf 1000 Einwohner.

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