Selbstmedikation

Schlafstörungen – wenn der Sandman

"Ich habe letzte Nacht wieder Mal kein Auge zugemacht!" –  Diese Aussage stimmt so gut wie nie. Aber "für kurze Zeit die Augen zumachen" bedeutet noch nicht "gut geschlafen zu haben". 30% aller Erwachsenen in Deutschland leiden an Schlafstörungen, das heißt an dem Gefühl, schlecht ein- oder durchzuschlafen.

Man unterscheidet dabei Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Von Einschlafstörungen spricht man, wenn die Einschlafzeit, also die Zeit vom ins Bett legen bis zum Einschlafen, über 30 Minuten dauert. Durchschlafstörungen sind definiert als vorzeitiges Aufwachen nach einer Schlafzeit von unter sechs Stunden. Auffällig sind diese Symptome erst, wenn sie mehr als dreimal pro Woche auftreten. Die meisten Formen der Insomnie sind vorübergehend und bessern sich von selbst. Behandlungsbedürftig erscheinen sie dann, wenn der Patient sehr darunter leidet und am Tage in seiner Leistung stark eingeschränkt ist. Folgen der Schlaflosigkeit sind Tagesmüdigkeit, Tagesschläfrigkeit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen und Frieren.

Kommt ein Kunde mit dem Wunsch nach einem Schlafmittel, so werden die ersten Fragen nach dem Ausmaß und dem Erleben der Schlafstörung gestellt.

  • Wie lange schlafen Sie nachts?
  • Wann gehen Sie abends ins Bett?
  • Wie lange brauchen Sie, um einzuschlafen?
  • Wann wachen Sie morgens auf?

 

Häufig zeigt sich hier, dass der Patient im eigentlichen Sinn gar keine behandlungsbedürftigen Schlafstörungen aufweist. Das Schlafbedürfnis des Menschen ist abhängig vom Alter. Während Erwachsene im Alter zwischen 18 und 30 Jahren im Durchschnitt acht Stunden Schlaf benötigen, kommen Menschen zwischen 30 und 45 Jahren mit ca. sieben Stunden und Menschen über 45 Jahren mit ca. sechs Stunden Schlaf aus. Zudem ändert sich das Schlafmuster. Alte Menschen haben oft einen oberflächlicheren Schlaf mit häufigeren Aufwachphasen. Geht ein älterer Mensch abends um 23 Uhr ins Bett, so ist es normal, dass er um fünf Uhr wieder aufwacht, auch wenn es ihm unsinnig vorkommt und er sich morgens langweilt, weil die Tagesaktivitäten der anderen erst später beginnen. Hält er dann aus Tradition noch einen Mittagsschlaf, verkürzt sich die Nachtruhe entsprechend. In dem Fall des alten Menschen mit einem – seinem Gefühl nach – mangelhaften Schlaf spricht man von einer Pseudoinsomnie.

Ursachen für Schlafstörungen

Ein objektiv schlechter und zu kurzer Schlaf kann verschiedene Ursachen haben, die ärztlich abgeklärt werden sollten (siehe Kasten). Häufig treten akute Schlafstörungen unter psychischen Belastungssituationen auf. Starke Gefühle, wie Ärger, Stress, Angst oder Trauer, beschäftigen einen Menschen so, dass er nicht "abschalten" kann, am Einschlafen gehindert wird und die Gefühle ihn bis in den Schlaf bzw. in die Träume verfolgen. Daneben können psychiatrische oder organische Grunderkrankungen oder äußere Faktoren den Schlaf nachhaltig stören.

Die entscheidende Frage im Beratungsgespräch lautet an dieser Stelle: "Haben Sie eine Idee, was der Grund Ihrer Schlafschwierigkeiten ist?" Oft weiß unser Patient selbst, was der Grund für seine Insomnie ist. Nur kurzfristige Schlafstörungen aus bekannten Gründen können selbst behandelt werden. Sobald der Verdacht einer unzureichend behandelten Grunderkrankung besteht, muss der Patient einen Arzt aufsuchen, um eine ursächliche Behandlung zu erhalten. Bei therapieresistenten Schlafstörungen, Einschlafneigung am Tage und Verdacht auf organische Ursachen, wie nächtliche Apnoen, kann eine Einweisung ins Schlaflabor notwendig sein.

Leitlinien für eine gute Schlafhygiene

Die Leitlinien für einen gesunden Schlaf gelten für alle Patienten unabhängig von der Ursache ihrer Schlafstörungen. Diese Regeln sind die Voraussetzung für die Wirksamkeit aller Therapieverfahren, vor allem der nicht-medikamentösen Therapieverfahren.

Die Schlafhygiene beginnt mit Regeln zur Schlafenszeit:

  • Jeden Morgen zur gleichen Zeit aufstehen, unabhängig von der Dauer und Qualität des Nachtschlafes, auch im Urlaub und am Wochenende.
  • Den Tag ruhig ausklingen lassen und vor dem Schlafengehen keine anstrengenden körperlichen oder geistigen Tätigkeiten ausführen.
  • Das Licht beim Zubettgehen mit der Absicht ausschalten, jetzt einzuschlafen.
  • Nicht nachts wach liegen bleiben, sondern aufstehen und in einem anderen Raum einer leichten Tätigkeit nachgehen (kein Fernsehen), bis Schläfrigkeit eintritt. Dann zum Schlafen ins Bett zurückgehen.
  • Tagsüber kein Nickerchen machen. Sollte die Schläfrigkeit zu groß sein, höchstens eine Stunde schlafen. Dafür ins Bett legen!

 

Die Schlafumgebung ist so zu gestalten, dass sie den Schlaf fördert (möglichst dunkel, möglichst leise, angenehme Zimmertemperatur von maximal 18 °C). Schnarcht der Partner, so sollten getrennte Schlafzimmer eingerichtet werden. Das Zubettgehen kann mit einem Ritual verbunden werden, z. B. Abendspaziergang, Musik hören, Entspannungstraining. Das Schlafzimmer sollte nur zum Schlafen genutzt werden, keinesfalls sollte man im Bett lesen oder arbeiten. Ein Tipp ist, den Wecker aus seinem Gesichtsfeld zu verbannen. Nachts spielt es keine Rolle, wie spät es ist, wann man aufwacht oder welche Uhrzeit man – vor dem Wiedereinschlafen – noch wahrnimmt. Mäßiges Essen oder Trinken nach 18 Uhr ist zu vermeiden. Wer Schlafprobleme hat, sollte nachmittags auf coffeinhaltige Getränke verzichten.

Wenn man nicht gut geschlafen hat, gilt es, Gelassenheit zu bewahren. Es sind keine gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Schlafstörungen zu befürchten. So sind Ängste, dass das Herz an Schlaflosigkeit leiden könnte, unbegründet.

Behandlung in der Selbstmedikation

"Haben Sie schon einmal ein Mittel gegen Schlafstörungen eingenommen? Wenn ja, welches? Und wie zufrieden waren Sie damit?" sind die Fragen, die zur Behandlung überleiten. Zur Behandlung leichter Schlafstörungen sind pflanzliche Sedativa ideal. Bevorzugt eingesetzt wird Baldrianextrakt. Empfohlen werden hohe Dosen (z. B. 600 bis 1200 mg eines 70%igen ethanolischen Extraktes oder entsprechend ein Esslöffel Baldriantinktur). Die Einnahme sollte ca. zwei Stunden vor dem Schlafengehen erfolgen. Die Wirkung steigt bei regelmäßiger Einnahme. Eine maximale Wirkung ist nach ein bis zwei Wochen der regelmäßigen Einnahme erreicht. Wenn Patienten mit Baldrian bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben, liegt es meist an der zu niedrigen Dosierung und der zu kurzen Behandlungsdauer. Auch diesen Patienten ist vorrangig ein hoch dosiertes Baldrianpräparat zu empfehlen. Baldrian verkürzt die Einschlafzeit und verbessert Tiefe und Qualität des Schlafes. Nicht geändert wird die Gesamtschlafzeit.

Es ist möglich Baldrian mit anderen pflanzlichen Sedativa zu kombinieren. Es bieten sich Hopfenzapfen, Passionsblume, Melissenblätter und Johanniskraut an. Es ist darauf zu achten, dass in den Kombinationsarzneimitteln die Einzeldrogen in ausreichender Konzentration enthalten sind. Zur Unterstützung kann z. B. Melisse als Badezusatz oder als Tee verwendet werden. Patienten glauben häufig, Baldrian wirke "zu schwach" und fordern deshalb stärkere Mittel. Als Alternative stehen in der Selbstmedikation H1-Antihistaminika, Diphenhydramin und Doxylamin, zur Verfügung, deren "Nebenwirkungen" zur Sedierung genutzt werden.

Es ist zu beachten, dass auch hier eine rechtzeitige Einnahme (ca. eine Stunde vor dem Schlafen) notwendig ist. Auf keinen Fall sollten diese Schlafmittel mitten in der Nacht "nachdosiert" werden, weil es sonst zu einem Nachwirken (hang-over) der Sedation bis in den Tag hinein kommen kann.

H1-Antihistaminika weisen aufgrund ihrer anticholinergen Nebenwirkungen eine Reihe von zu beachtenden Kontraindikationen auf. Sie dürfen nicht angewendet werden bei

  • akutem Asthma-Anfall
  • Engwinkelglaukom
  • Nebennierentumor
  • Prostatahyperplasie mit Restharnbildung
  • Epilepsie
  • gleichzeitiger Behandlung mit Monoaminoxidase-Hemmern.

 

Als Nebenwirkung wird hier vor allem die Mundtrockenheit, Sehstörungen und Schwindel als unangenehm empfunden. Entsprechende Arzneimittel dürfen auf keinen Fall zusammen mit Alkohol eingenommen werden, da Alkohol die Wirkung und Nebenwirkungen verstärkt.

Problematisch ist auch, dass H1-Antihistaminika den normalen Schlafrhythmus (von REM- und Non-REM-Phasen) stören. Deshalb sollten diese Mittel nur kurzfristig für wenige Tage bis zu einer Woche eingesetzt werden. Aus medizinischer Sicht gibt es für H1-Antihistaminika keine Indikation, in den Leitlinien wird ihre Anwendung nicht empfohlen.

Ärztliche Therapie

Bei über Wochen bestehender primärer Insomnie gilt die Empfehlung, sedierende trizyklische Antidepressiva, wie Amitriptylin oder Doxepin, einzusetzen. Nur in Ausnahmefällen sollten kurzwirksame Hypnotika, wie z. B. Chloralhydrat, Zopiclon, Zolpidem, Zaleplon oder Benzodiazepine mit kurzer Halbwertszeit verordnet werden. Bei alten Menschen sollte auf Benzodiazepine wegen paradoxer Reaktionen und myotonolytischer Nebenwirkungen ganz verzichtet werden. Auch trizyklische Antidepressiva sollten nur mit Vorsicht eingesetzt werden, da sie Delir auslösen können. Hier kommen sedierende Neuroleptika, wie Pipamperon, Melperon und Chlorprothixen, zum Einsatz.

 

Dr. Kirsten Lennecke, Sprockhövel

Ursachen für Schlafstörungen

Primäre Insomnie:

  • akute oder chronische psychosoziale Belastungssituationen
  • häufig Chronifizierung, auch wenn Ursache behoben ist

    Sekundäre Insomnie:

  • psychiatrische Erkrankungen, wie z. B. Depression, Sucht, Demenz, Angsterkrankungen, Schizophrenie
  • organische Erkrankungen, wie z. B. chronische Schmerzen, Hyperthyreose, Herz- und Lungenerkrankungen, Niereninsuffizienz, nächtliche Apnoen, Restless-leg-Syndrom, zerebrale Durchblutungsstörungen, Juckreiz
  • externe Ursachen, wie z. B. Schichtarbeit, "Jetlag", Lärm, Kälte, Wärme, Coffein aus Kaffee oder Tee, Nicotin, Arzneimittel (Überdosierung von Alpha- oder Beta-Sympathomimetika, Coffein in Schmerzmitteln)

    Pseudoinsomnie:

  • verändertes Schlafmuster im Alter
  • Übergang von einem 24-Stunden-Rhythmus in einen deutlich kürzeren Rhythmus
  • oberflächlicher Schlaf mit häufigeren Aufwachphasen
  • reduzierte Gesamtschlafzeit
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