Die Seite 3

Im Rückstand

Das weltweit ehrgeizigste IT-Projekt, die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) in Deutschland, ist im Rückstand. Auch wenn das Bundesgesundheitsministerium noch immer davon ausgeht, dass die eGK 2006 kommt und vollmundig an ihrem Prestigeobjekt festhält, so wissen Insider längst, dass daraus nichts mehr wird.

Am 14. März präsentierte Ulla Schmidt auf der Computermesse CeBIT in Hannover die technische Lösungsarchitektur (Version 1.0) für die elektronische Gesundheitskarte – ein 365 starkes Papier der mit der Technik betrauten Fraunhofer-Gesellschaft. Dieses Papier (im Internet einsehbar unter www.dimdi.de/dynamic/de/ehealth/karte/aktuelles) stellt die Basis für die Entwicklung und Produktion der notwendigen Geräte, Systeme und Softwareprodukte. Doch mit der Präsentation ist noch kein einziger Auftrag an irgendeine Firma zur Umsetzung der Architektur vergeben.

Die Frankfurter Sonntagszeitung (FAS) titelte in ihrer Ausgabe vom 13. März "Ulla Schmidts Milliardenflop" und meint: "Das Prestigeobjekt der Ministerin wird zum Fiasko." Auch deshalb, weil Ärzte, Apotheker, Kassen und Ministeriale eigene Vorstellungen von der Karte hatten und sich "nach Kräften zankten". Aufgrund der fehlenden Einigung der Verbände konnten die Forscher der Fraunhofer-Institute nicht rechtzeitig mit der Arbeit beginnen, jetzt fehlten noch 60 Prozent der nötigen Vorarbeiten, der Rückstand sei nicht mehr aufzuholen.

Auch die Versicherer sind skeptisch, dass mit einer raschen, geschweige denn planmäßigen Einführung der eGK zu rechnen ist. Gerade die Krankenkassen haben ein starkes Interesse an der Einführung der Karte, spart sie ihnen doch, so Schätzungen, jährlich 700 Millionen Euro allein in der Einführungsphase, wenn die Karte als elektronisches Rezept genutzt wird. Hier zitiert die Frankfurter Sonntagszeitung die Blockadehaltung der Apotheker, die nicht ohne Grund befürchteten, dass das elektronische Rezept den Internetapotheken ("ihren Rivalen") das Geschäft erleichtern könnte.

Kommt darauf an, meine ich. Sind die Daten auf der Karte gespeichert, müsste sich der Patient wohl ein Lesegerät anschaffen, um die Daten auszulesen und an die Internetapotheke zu übermitteln. Andererseits wird sich die Übermittlung des elektronischen Rezepts an eine Internetapotheke wohl nicht aufhalten lassen: Internetapotheken bzw. Apotheken mit Versandhandel sind von dieser Regierung ausdrücklich gewollt und werden befürwortet, ein Ausschluss von der Rezeptbelieferung ist da nicht denkbar.

Und so wird weiter mit Hochdruck an der Karte gebastelt, denn die langfristigen Einsparmöglichkeiten für die Kassen dürften bei jährlich 10 Milliarden Euro liegen, wie Unternehmensberater prognostizieren, dann nämlich, wenn die eGK auch als Arztbrief und elektronische Patientenakte dient und die Integrierte Versorgung des Patienten dadurch erleichtert wird. Ich frage mich, ob ein solches Einsparpotenzial realistisch ist. Mag sein, dass die Kassen einige Einsparungen haben, im Apothekenbereich bedeutet die Karte zunächst Aufrüstung der Hard- und Software und damit entsprechende Investitionen. Letztendlich müssen die Kasseneinsparungen wohl von den Patienten und den Leistungserbringern getragen werden.

Jetzt würden wir uns einen realistischen Zeitplan für die eGK wünschen, auch von offizieller Seite – es bringt keinem etwas, wenn solche Projekte schön geredet werden und die Ministerin verkündet, die Arbeiten an der Architektur der eGK lägen im Plan. Vielleicht muss man hier die Nuance zu früheren Erklärungen beachten: das Arbeiten an der Architektur bedeutet noch lange nicht die konkrete Einführung. Und so gehen Optimisten davon aus, dass es frühestens Ende 2006 losgeht …

Bei einem echten Problem anderer Art scheint man dagegen einer Lösung relativ nahe zu sein, nämlich der geschlechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau bei den Pflichtangaben zu Risiken und Nebenwirkungen bei Arzneimitteln. Wie jetzt bekannt wurde, soll statt der Angabe, dass Arzt oder Apotheker zu befragen sei, in Zukunft der Hinweis erfolgen: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage, holen Sie ärztlichen Rat ein und fragen Sie Ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker."

Damit will man dem heutigen Bewusstsein für die Notwendigkeit geschlechtsneutraler Bezeichnungen gerecht werden, wie es von Ministeriumsseite zu hören war. Endlich hat man sich also dieses Problems, das doch arg drückend auf dem Gleichstellungskampf der Geschlechter lastete, angenommen. Damit auch keine Einwände wegen der Formulierung kommen, wurde der Text vom Bundesfrauenministerium mit der Gesellschaft für deutsche Sprache abgestimmt. Wenigstens auf diesem Gebiet kommt man in Deutschland zügig voran.

Peter Ditzel

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.