Fortbildung

Zentrales Nervensystem

Am 5. und 6. März begrüßte Erika Fink, Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, zusammen mit Moderator Professor Theodor Dingermann wieder über 500 Apothekerinnen und Apotheker zu einem fortbildungsintensiven Wochenende in Gießen. Während der beiden Veranstaltungstage, die mit hochkarätigen Referenten aus Wissenschaft und Praxis besetzt waren, hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, neueste Erkenntnisse rund um wichtige Erkrankungen des Zentralen Nervensystems zu erfahren.

Im Rahmen des aktuellen Themas stellte Erika Fink die Bedeutung der Beratungsoffensive vor, die nun verstärkt mit dem Pseudo-Customer-Projekt in Hessen umgesetzt werden soll. In ihrem Dank an den ehemaligen Akademievorstand, aus dessen Entwicklungsarbeit die aktuelle Veranstaltung hervorgehe, würdigte sie im Namen aller hessischen Apotheker die stets erfolgreich zielführende und konstruktive Arbeit der Mitglieder mit der Überreichung eines Stiches der Stadt Frankfurt am Main.

Leitsymptom Schwindel

Für Betroffene hatte Professor Michael Strupp von der Neurologischen Klinik der Universität München, eine gute Nachricht: Die meisten Schwindelformen lassen sich erfolgreich therapieren – in der Regel durch medikamentöse, physikalische und/oder psychotherapeutische Maßnahmen. Eines der Highlights des Fortbildungskurses: Physikalische Maßnahmen wurden auch in vivo demonstriert. Dazu begab sich eine Testperson aus den Reihen der Teilnehmer in die erfahrenen Hände des Therapeuten. Grundvoraussetzung jeder Behandlung ist jedoch, so Strupp, die exakte Diagnosestellung.

Ursache für zentrale vestibuläre Syndrome könnten auch MS sowie bestimmte Formen von Epilepsie und Migräne sein. Hier ist eine gute therapeutische Einstellung der Grunderkrankung das Mittel der Wahl. In der Schwindelambulanz stellt der phobische Schwankschwindel das zweithäufigste Schwindelsyndrom dar. Selbst für erfahrene Neurologen ist die Diagnosestellung sehr anspruchsvoll, da die Standarduntersuchungsmethoden nicht die erforderlichen Aufschlüsse erbringen. Verhaltenstherapie, in diesem Fall bewusstes Aufsuchen der Schwindel auslösenden Situation, ist hier bei einer Erfolgsquote von über 70 Prozent die Therapie der Wahl.

Schlaganfall – dritthäufigste Todesursache

Weniger facettenreich, aber umso folgenschwerer zeige sich die Symptomatik des Schlaganfalls, so Professor Helmuth Steinmetz von der Universität Frankfurt am Main. Er verwies auf die scharf umrissene Definition der Erkrankung, die Ursachen und zum Teil auch Symptome schon impliziert. Erschreckend sind nach wie vor Epidemiologie, sozialmedizinische Relevanz sowie die Konsequenzen für den Betroffenen selbst. Immerhin handelt es sich um die dritthäufigste Todesursache mit einer Ein-Jahres-Mortalität von fast 30 Prozent.

Die Fakten sprechen für sich: Bis zu 50 Prozent der Patienten werden von fremder Hilfe abhängig, ein großer Teil durch auftretende Lähmungserscheinungen. Betrachtet man die Hauptrisikofaktoren ergeben sich verschiedene effektive Möglichkeiten der medikamentösen Prävention: So reduziert die Behandlung des Bluthochdrucks das Risiko um bis zu 40 Prozent. Bei Patienten mit Vorhofflimmern kann durch Therapie mit oralen Antikoagulanzien das Risiko sogar um mehr als 60 Prozent reduziert werden. Einzige Möglichkeit der Akuttherapie stellt die Thrombolyse mit rekombinantem Gewebeplasminogenaktivator dar. Voraussetzung hierfür ist, dass die Ischämie noch keine drei Stunden zurückliegt, die Diagnostik zuverlässig und die Klinik im Besitz einer so genannten "Stoke Unit" sei.

Tinnitus – vielfältige Ursachen

Beim Thema Tinnitus/Hörsturz denken viele sofort an eine vaskuläre Ursache. Doch die Ursachen können laut Professor Klaus Ehrenberger vom Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien sehr vielfältig sein: Dem Krankheitsbild als Ausdruck einer Innenohrschädigung können neben einer vaskulären auch entzündliche, metabolische, altersbedingte oder traumatische Ursachen zugrunde liegen.

Da die Symptomatik überraschend einheitlich ist, fand man schon früh den – ebenfalls einheitlichen – pathophysiologischen Mechanismus heraus: Die fast explosionsartige Glutamatfreisetzung bewirkt die Oto-Neurotoxizität. Der seit langem bewährte Glutamat-Antagonist Caroverin – in Deutschland jedoch nicht zugelassen – schützt vor eintretender Neurotoxizität und ermöglicht darüber hinaus auch eine Regeneration nach erfolgter Schädigung – und das bei großer therapeutischer Breite. Weitere, bei anderen Indikationen erfolgreich eingesetzte Glutamatantagonisten, liefern in Studien nicht annähernd gute Ergebnisse.

Bei der MS empirisch vorantasten

Bei der Erforschung der auslösenden Mechanismen, die dem immunologischen Geschehen der MS zugrunde liegen, wurden in den letzten Jahren zwar große Fortschritte erzielt, dennoch, so Professor Ralf Gold vom Institut für Multiple Sklerose-Forschung der Universität Göttingen, kommt es vielfach – selbst bei Ausschöpfen aller derzeit zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten – zu teilweise sehr schweren Verläufen der Erkrankung. Von den Ursachen her ist die MS zu heterogen, als dass es "die einzige Therapie der MS" gebe. Der Therapeut muss sich, entsprechend des individuellen Verlaufs, empirisch vorantasten.

Positiv hervorzuheben ist, dass vor allem die schubförmig verlaufende MS bereits relativ gut in den Griff zu bekommen ist, sofern sie denn frühzeitig und gezielt behandelt wird. Als wichtige Basis spielten Immuntherapeutika wie Beta-Interferone, Glatirameracetat sowie in vielen Ländern der Anti-VLA 4 Antikörper eine zentrale Rolle. Eine abschließende Bewertung des Nutzens bzw. Zusatznutzens der Therapie mit Glatiramer ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Die Zukunft der MS-Therapie sieht Gold in einer individualisierten Immuntherapie.

Hirnleistungsstörungen: möglichst frühe Diagnose

Das Thema Demenz bzw. konkreter die Hirnleistungsstörungen, wurden von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus betrachtet. Aus seiner Praxis im Bereich der klinischen Geriatrie und Rehabilitationsmedizin sprach Facharzt Dr. Berd Zimmer aus Wuppertal die vielfältigen Ausprägungen von Hirnleistungsstörungen an, wobei er zunächst den Begriff der "Hirnleistung" näher charakterisierte. Selbst wenn die aktuellen therapeutischen Möglichkeiten noch lange nicht optimistisch stimmen, ist es dennoch von ganz entscheidender Bedeutung, so früh wie nur möglich die Diagnose zu stellen.

Und genau hierin liegt das Problem: Der Betroffene selbst wird sich nicht aus eigenem Antrieb in fachärztliche Behandlung begeben, er wird zunächst versuchen die "Ausfälle" zu überspielen. Die Angehörigen werden einen aufkommenden, schleichenden Verdacht allzu oft unter falschem Schamgefühl verstecken, weil die Erkrankung ein gesellschaftliches Tabuthema ist.

Demenz ist, so Zimmer, keine "Bring"- sondern eine "Suchdiagnose". Für den Apotheker ergibt sich die Möglichkeit, im Gespräch mit dem Patienten oder mit seinen Angehörigen, die Weichen für eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem Arzt zu stellen und auf therapeutische Möglichkeiten hinzuweisen. Nicht für jede Art von Hirnleistungsstörung ist eine Demenz verantwortlich. So gibt es eine Vielzahl von Hirnleistungsstörungen, die reversibel sind, und denen ganz unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen.

In diesem Zusammenhang sind sowohl Reizüberflutung, Übermüdung, Flüssigkeitsmangel als auch Schilddrüsenerkrankungen oder stark abweichende Blutzuckerwerte zu nennen. Diese "Zustände" sind gut behandelbar, allerdings muss der Arzt Kenntnis darüber erhalten. Der Apotheker kann durch seinen aktiven Patientenkontakt die Weichen für ein rechtzeitiges diagnostisches und therapeutisches Eingreifen stellen.

Qualitätssicherung der Beratungsleistung

Wie die Qualitätssicherung der Beratungsleistung in der Apotheke umgesetzt werden soll, erklärte LAK-Präsidentin Erika Fink. Dabei geht es um nichts weniger als die Zukunftssicherung der inhabergeführten Apotheke. Vor dem Hintergrund gehäufter und publikumswirksam in Szene gesetzter Medienberichte gilt es, so Fink, sich in der eigenen Apotheke bestmöglichst von diesen Negativschlagzeilen abzugrenzen und sich für weitere Testkäufe zu rüsten.

Ein geeignetes Modell, um die Beratungsqualität zu evaluieren und zu optimieren, ist, so Fink, das Pseudo-Customer-Projekt, bei dem die Kammern mit dem Zentrum für Arzneimittelinformation und pharmazeutische Praxis kooperieren. Die Teilnahme an diesem Projekt wird künftig von der LAK Hessen mit 50 Euro pro Besuch des Pseudo Customers subventioniert, um möglichst viele Kolleginnen und Kollegen zum Mitmachen zu motivieren. Ziel des Modells ist es, der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass Apotheken aktiv an der Verbesserung ihrer Beratungsqualität arbeiten und diese im Interesse des Patienten und zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit kontinuierlich überprüfen lassen.

Während ihres Vortrages, bei dem Fink zunächst die Struktur des Konzepts vorstellte, ging sie auf die ihres Erachtens grundlegende Problematik im Beratungsprozess ein: Der Apotheker hat durch sein anspruchsvolles Studium und kontinuierliche Fort- und Weiterbildung das pharmazeutische Wissen in der Regel verinnerlicht. Gut und konsequent zu beraten erfordert in den meisten Fällen also kein zusätzliches Wissenstraining, sondern eine kommunikative Verhaltensänderung. Um dieses Kommunikationsdefizit zu beheben, ermöglicht das Pseudo Customer Projekt auf freiwilliger Basis die individuelle Fortbildung des Apothekenteams vor Ort. Begleitend dazu bietet die Kammer subventionierte Interaktions- und Kommunikationsseminare an.

Alle diejenigen, die in Gießen nicht dabei sein konnten, finden auf der Homepage der LAK Hessen unter www.apothekerkammer.de (Rubrik "Kammer intern/Pharmazie/Akademie/Info") das komplette Abstract-Heft zur Nachlese.

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