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Gutachten stützt deutsches Festbetragssystem

BERLIN (ks). Die Hersteller verschreibungspflichtiger Arzneimittel sind mit den in Deutschland geltenden Erstattungs- und Preisregulierungen im internationalen Vergleich gut bedient. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) an der Universität Duisburg-Essen in Auftrag gegeben hat. Der BAH stellte das Gutachten gemeinsam mit dem Co-Autor Prof. Jürgen Wasem am 4. März in Berlin vor.

Nach den Beobachtungen der Gutachter bietet der deutsche Arzneimittelmarkt für die Hersteller keinen Grund zum Jammern: "Der Satus Quo in Deutschland bietet im internationalen Vergleich relativ günstige Rahmenbedingungen", erklärte Wasem. So seien die Erstattungs- und Preisregulierungen hierzulande vergleichsweise zurückhaltend. Selbst Hersteller von wenig innovativen Präparaten genössen einen gewissen Bestandsschutz.

Abgabepreise "unauffällig"

Das Gutachterteam um Wasem untersuchte und analysierte zunächst internationale Preisvergleichsstudien. Danach sticht Deutschland weder bei patentgeschützten noch bei generischen Arzneimitteln als besonders hochpreisig hervor. So waren im Vergleichsjahr 1999 patentgeschützte Präparate in Deutschland günstiger als in den USA, der Schweiz und Japan, aber teurer als in Frankreich, Italien und Kanada. Generika waren preiswerter als in Japan, der Schweiz und Italien, aber hochpreisiger als in den USA und den meisten anderen Ländern.

Wasem verwies darauf, dass trotz moderater Herstellerpreise die hiesigen Apothekenendverkaufspreise relativ hoch seien. Als Grund nannte er die hohen Handelsspannen für Apotheken und Großhändler sowie den vollen Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel, den sonst nur noch Dänemark erhebt. Was die Handelsspannen betrifft, ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gutachten noch nicht die im Januar 2004 eingeführte neue Arzneimittelpreisverordnung berücksichtigt.

Positivlisten allgegenwärtig

Des weiteren vergleicht die Studie Erstattungsregeln in unterschiedlichen Staaten. Dabei zeigt sich, dass der deutsche Automatismus, wonach zugelassene Arzneimittel grundsätzlich auch erstattungsfähig sind, ein Einzelfall ist. Der Regelfall im Ausland ist eine für alle Krankenkassen und öffentliche Gesundheitsdienste geltende Positivliste. In Europa gehe diese verbreitet mit einer Nutzen-Bewertung einher, so Wasem. International sei aber auch der Trend auszumachen, eine Kosten-Nutzen-Bewertung der Gesamtgesundheitsausgaben vorzunehmen. Neben derartigen "zentralen" Erstattungsregulierungen existieren in Israel und der neuen Rentner-Krankenversicherung der USA auch "dezentrale" Erstattungsregeln. Hier hat jede einzelne Krankenversicherung ihre eigene Positivliste.

Zentrale Preisfestsetzung in Europa üblich

Sodann nimmt das Gutachten Preisregulierungen verschiedener Länder unter die Lupe: Typisch für Europa ist eine zentrale Preisfestsetzung durch das Ministerium. Immer häufiger werde dabei auch zwischen mehr und weniger innovativen Arzneimitteln differenziert, erklärte Wasem. Staatliche Preisstopps und Preissenkungen finden sich ebenfalls in fast allen Ländern – auch wenn diese immer nur eine sehr kurze Zeit Wirkung entfalten. Daneben existiert als typische "indirekte" Preisregulierung häufig ein Festbetragssystem. Dieses ist aus Sicht der Gutachter geeignet, Freiheit mit Ausgabenkontrolle zu verbinden. Nötig sei aber, sehr "feinfühlig" homogene Gruppen zu bilden, um Innovationen nicht totzuschlagen, betonte Wasem.

Reformszenarien und ihre Auswirkungen für Hersteller

Im letzten Teil des Gutachtens werden ausgehend von den internationalen Trends drei Reformszenarien entwickelt. Das erste ist eine Weiterentwicklung der in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehenden Kombination aus Festbeträgen sowie Zwangsrabatten und Preismoratorien. Für Wasem ist dies die wahrscheinlichste Reformoption. Festbeträge werden danach zu einer zentralen Kosten-Nutzen-Bewertung weiterentwickelt. Echte Innovationen bleiben außerhalb des Festbetragssystems. Für Hersteller bedeute dies mehr Anreize für echte und weniger Anreize für begrenzte Innovationen, so Wasem.

Im zweiten Reformszenario werden Festbeträge nach und nach durch vertragliche Vereinbarungen zwischen Herstellern und Krankenkassen abgelöst. Arzneimittel werden entweder als echte Innovationen bewertet oder von einer zentralen Instanz in weitgehend homogene Gruppen eingeordnet. Die Kassen sind verpflichtet, mindestens ein Präparat aus jeder Gruppe zu kontrahieren. Für Hersteller ergeben sich daraus Umsatzchancen, weil nicht nur über Preise, sondern auch über Mengen verhandelt wird, erläuterte Wasem.

Für Imitationen und begrenzte Innovationen löse dieses Reformszenario einen verschärften Preiswettbewerb aus. Hersteller von echten Innovationen und mit breitem Portfolio würden Wasem zufolge profitieren. Er prognostiziert weitere Fusionen bei den Herstellern, die sich nur als größere Unternehmen auf dem Vertragsmarkt behaupten könnten. Im dritten Szenario wird der Markt noch weiter dereguliert: Hier haben die Krankenkassen jeweils eine eigene Positivliste. Sie sind lediglich verpflichtet, die gesundheitliche Versorgung ihrer Versicherten sicherzustellen. Verhandlungen finden hier über die gesamte Produktpalette der Hersteller statt. Dies werde sowohl den Preiswettbewerb als auch die Konzentrationsprozesse bei den Herstellerfirmen verstärken, so Wasem.

BAH für Weiterentwicklung des bestehenden Systems

Der BAH sieht sich durch das Gutachten grundsätzlich in seiner Markteinschätzung und in wichtigen Grundzügen seiner Politik bestätigt, erläuterte der stellvertretende Vorsitzende des BAH Hans Georg Hoffmann. So räume das Gutachten etwa mit dem Vorurteil auf, dass in Deutschland maßgeblich die Hersteller für den Anstieg der GKV-Arzneimittelausgaben verantwortlich seien.

Der BAH spricht sich vor dem Hintergrund der Studie für eine schrittweise Weiterentwicklung im Sinne des ersten Reformszenarios aus. Einzufordern sei dabei eine maßvolle Festbetragshöhe, die Bildung weitgehend homogener Festbetragsgruppen und die Festbetragsfreiheit innovativer Arzneimittel, betonte Hoffmann. Auch Rabattvereinbarungen befürwortet der BAH als ergänzendes Element. Dabei müsse der Gesetzgeber jedoch sicherstellen, dass die Anbieter ihre Marktchancen alleine durch Qualität und ökonomische Leistungsfähigkeit wahren können.

Faktoren wir Sortimentsbreite und Unternehmensgröße dürften nicht per se zu einem Vorteil gegenüber mittelständischen Anbietern führen. Auch müssten Hersteller und Krankenkassen mit "gleich langen Spießen" konkurrieren: "Eine einseitige Nachfragemacht der Kassen darf nicht zum maßgeblichen Kriterium für Preis und Erstattungsentscheidungen werden", so Hoffmann.

Mittelstand gefährdet

Bei den anderen Reformoptionen könnten sich mittelständische Hersteller hingegen noch weniger behaupten: "Eine Dezentralisierung von Preisbildung und Erstattung führt zu einem nicht zu verantwortenden Verdrängungswettbewerb zu Lasten des Mittelstands", betonte Hoffmann. Dies werde auch dem Anspruch, den Pharmastandort Deutschland zu sichern, nicht gerecht. Auch könne es nicht sein, dass letztlich Markt- und damit Verhandlungsmacht über den Fortbestand von Unternehmen und die Vielfalt des Therapieangebots entscheidet.

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