Bundestag: Große Koalition will sich bis zum Sommer auf Finanzreform einigen

BERLIN (ks). Dass Union und SPD bislang noch kein gemeinsames Konzept für die Reform des Gesundheitswesens haben, trübt die Stimmung in der neuen Regierungsmannschaft wenig. In ihrer ersten Regierungserklärung vor dem Parlament betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie sich für eine gemeinsame Lösung einsetzen werde. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zeigte sich in der Aussprache zur Regierungserklärung ebenfalls zuversichtlich, dass die große Koalition im kommenden halben Jahr eine Einigung erreichen werde.

Merkel betonte am 30. November, dass bei allen künftigen Fragen "die Schwachen" eine wichtige Rolle spielen werden. So sollen sich etwa die Kranken auf ein zuverlässiges Gesundheitssystem verlassen können. Die Kanzlerin räumte ein, dass Union und Sozialdemokraten mit der solidarischen Gesundheitsprämie einerseits und der Bürgerversicherung andererseits bisher zwei völlig konträre Ansätze verfolgt hätten. Daher habe man in den Koalitionsverhandlungen "keinen faulen Kompromiss auf die Schnelle erreichen" wollen. Einig sei man sich, dass einen neuer Ansatz nötig ist, um ein leistungsfähiges und hoch qualifiziertes Gesundheitssystem, das für alle zugänglich ist, bieten zu können. Dieses System müsse Beschäftigung ermöglichen, wettbewerbsfördernd sein, die Lasten solidarisch verteilen und Generationengerechtigkeit sicherstellen.

Die große Koalition sei "bereit und willens, mit einem neuen Ansatz im neuen Jahr eine Lösung" zu finden. Merkel: "Auch wenn das eine schwierige Aufgabe ist - ich zumindest werde mich sehr dafür einsetzen". Die Kanzlerin machte zugleich deutlich, dass die neue Regierung sehr rasch Veränderungen an der Leistungsseite vornehmen wird: "Wir wollen mehr Vertragsfreiheit und Gestaltungsmöglichkeiten von den Patienten über die Krankenkassen bis hin zu den Praxen und den Krankenhäusern". Bei der Arzneimittelversorgung komme man um weitere Maßnahmen zur Kostensenkung nicht herum. Insbesondere die forschende Pharmaindustrie müsse aber bessere Standortbedingungen erhalten. Gerade von dieser Branche werde die Innovationskraft Deutschlands in ganz wesentlichem Umfang abhängen, so Merkel.

Einigung soll im 1. Halbjahr 2006 erfolgen

Ministerin Schmidt zeigte sich einen Tag später im Parlament ebenfalls zuversichtlich. Ab 2006 will sie das deutsche Gesundheitssystems neu ordnen und damit die "bestmögliche Versorgung auf der Höhe der Zeit" für die Menschen sicherstellen. Dafür müsse die GKV aber eine verlässliche Finanzbasis haben. Auch wenn die Konzepte von Union und SPD schwer zu vereinbaren seien, ist Schmidt guter Dinge, im nächsten halben Jahr ein Gesamtkonzept vorlegen zu können, "das allen Ansprüchen an eine gerechte, solidarische, nachhaltige Finanzierung gerecht wird".

Zugleich versicherte die Ministerin, eine zuweilen befürchtete Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) werde es in dem Konzept nicht geben - ebenso wenig eine Einheitsversicherung. Sie bestätigte auch, dass eine Änderung der Arzthonorarordnung angestrebt wird. Ziel sei es aber nicht, die Honorare für Privatpatienten auf GKV-Niveau abzusenken, sondern dafür zu sorgen, dass es keine Zurückstellung von gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten gibt.

Zöller: Wettbewerb zwischen PKV und GKV erhalten

Der Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) betonte, dass Union und SPD sich in der Diagnose einig seien: Eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems könne nicht mehr allein über die Lohnkosten sichergestellt werden. "Wir werden uns in den nächsten Monaten über eine geeignete Therapie unterhalten und eine gemeinsame Lösung finden" so Zöller. Wenn man dies im Rahmen der großen Koalition nicht schaffe, werde das System dauerhaft Schaden nehmen, warnte er.

Der CSU-Politiker betonte zugleich, dass der Wettbewerb zwischen PKV und GKV auch künftig erforderlich sei. Ohne die zusätzlichen Honorarzahlungen der Privaten hätten die Leistungserbringer keine ausreichende Planungssicherheit. Investitionen in moderne Medizintechnik oder auch in qualifiziertes Personal würden dann unterbleiben, warnte Zöller. Nötig sei, die ärztliche Honorierung leistungsgerechter zu gestalten: "Ärzte werden künftig für gute Qualität und nicht mehr für die Ausweitung von Leistungen bezahlt".

FDP: Schmidt weiterhin auf dem Weg in die Bürgerversicherung

Daniel Bahr von der FDP bezeichnete die Gesundheitspolitik als "Sollbruchstelle für die große Koalition". Er hielt Schmidt vor, sie gehe "stur den Weg in die Bürgerversicherung". Es sei ein Fehler, erst im nächsten Jahr über eine Strukturreform im Gesundheitswesen diskutieren zu wollen. 2006 werde der Druck auf die Beitragssätze enorm sein. Daher würden dann vermutlich wieder nur kurzfristige Maßnahmen vereinbart.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, sagte, der großen Koalition fehle es zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen sowohl "an verhandelbaren Leitideen" als auch an der Einigungsbereitschaft. Während die Union zwei Jahre lang für das Gesundheitswesen eine "Kopfgeldprämie" gefordert habe, folge die SPD richtigerweise der Leitidee einer Bürgerversicherung.

Linkspartei: Besser keine Vereinbarung als Kopfpauschale

Die neue Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Dr. Martina Bunge (Linkspartei), hat ebenfalls wenig Hoffnung, dass die große Koalition ihre Reformkonzepte zur GKV-Finanzreform zusammenbringen kann. Es sei jedoch besser, erst einmal nichts vereinbart zu haben, als die von der Union vorgeschlagene Kopfpauschale einzuführen. Ihre Fraktion werde testen, was vom im Koalitionsvertrag festgehaltenen Versprechen der Bundesregierung zu halten ist, wissenschaftliche Konzepte "vorurteilsfrei" zu prüfen, wenn sie ihren Vorschlag für eine Wertschöpfungsabgabe vorlegt.

Für die Linken ist diese die Lösung der Probleme. Die Abgabe sei eine auf die Veränderungen in der Arbeitswelt ausgerichtete Neuorientierung der paritätischen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Bunge versicherte, dass sie den Vorsitz des Gesundheitsausschusses "fair und neutral" leiten werde - auch wenn sie "angesichts der politischen Mehrheitsentscheidungen nicht selten leiden werde".

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