Europäischer Gerichtshof: Schwedens Staatsapothekenmonopol verstößt gegen EU-

Luxemburg (bra) Das schwedische Arzneiversorgungssystem, bei dem nur die staatliche Apothekenkette Apoteket AB das Recht hat, Arzneimittel im Einzelverkauf abzugeben, verstößt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegen Europarecht. Dieses Monopol behindert, so der Tenor des am 31.5.2005 gefällten Urteils (Rechtssache C-438/2), in seiner konkreten Ausgestaltung den freien Warenverkehr innerhalb der EU.

Seit 1970, nach der Verstaatlichung der privaten Apotheken, ist der Einzelverkauf von Arzneimitteln in Schweden Apoteket AB, einer vom Staat kontrollierten Gesellschaft mit Verkaufsmonopol, vorbehalten. Apoteket besitzt und betreibt die gut 800 schwedischen Apotheken und sichert in entlegenen Gebieten über Ombudsmänner die Auslieferung der Arzneimittel.

Unter Verstoß gegen das Versorgungsmonopol von Apoteket verkaufte im Jahre 2001das Unternehmen Bringwell International AB einige Packungen Nicorette-Nikotinpflaster und -Nikotinkaugummi, die auch in Schweden als Arzneimittel eingestuft sind. Das mit dem darauf angestrengten Strafverfahren beschäftigte Gericht rief den Europäischen Gerichtshof an, um vorab klären zu lassen, ob das schwedische Arzneimittelverkaufsmonopol für Apoteket AB mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 28 EG und Artikel 31 EG (die sich mit dem freien Warenhandel beschäftigen) sowie Artikel 43 EG (bei dem es um die Niederlassungsfreiheit geht).

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen zu dem Verfahren bereits deutlich gemacht, dass zwischen einem System mit einem "ausschließlichen Einzelhandelsverkaufsrecht" und (unproblematischen) "Erlaubnissystemen" zu unterscheiden sei, bei denen der Einzelverkauf bestimmter Erzeugnisse bestimmten Vertreibern vorbehalten werden, die eine Genehmigung der Verwaltung besitzen. Ein Erlaubnissystem stelle kein Monopol dar. Bei einem "ausschließlichen Einzelverkaufsrecht" liege demgegenüber ein wirkliches Monopol im wirtschaftlichen Sinn vor. Dort handele es sich um ein "geschlossenes System, im dem ein einziger Wirtschaftsteilnehmer - hier der Staat oder eine vom Staat kontrollierte Einheit - zum Vertrieb des betreffenden Erzeugnisses berechtigt ist.

Bei Apoteket AB handelt es sich nach Auffassung des EuGH um ein "staatliches Handelsmonopol" im Sinne des Gemeinschaftsrechtes. Dies verlange zwar keinesfalls die völlige Abschaffung der staatlichen Monopole. Es schreibe allerdings vor, sie so umzuformen, dass jede Diskriminierung zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Für Verkaufsmonopole habe der Gerichtshof bereits entschieden, sie seien nur zulässig, wenn sie so ausgestaltet sind, dass der Handel mit Waren aus anderen Mitgliedstaaten nicht gegenüber dem Handel mit einheimischen Waren benachteiligt werden kann. Ob faktisch diskriminiert werde, sei nicht entscheidend.

Nach dem zwischen dem schwedischen Staat und Apoteket geltenden Vertrag von 1996 scheine es der Apoteket AB völlig frei zu stehen, (für ganz Schweden) ein Arzneimittelsortiment ihrer Wahl zusammenzustellen. Ausschreibungen seien nicht vorgesehen. Nicht berücksichtigte Hersteller hätten keine Möglichkeit, die Gründe für die Auswahlentscheidung zu erfahren oder vor einer unabhängigen Kontrollinstanz in Frage zu stellen. Die Organisations- und Funktionsweise von Apoteket AB und insbesondere ihr Arzneimittelauswahlverfahren seien geeignet, den Handel mit Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber dem Handel mit schwedischen Arzneimitteln zu benachteiligen. Das schwedische staatliche Monopol, das Apoteket das ausschließliche Recht des Einzelhandelsverkaufs sichere, sei deshalb nicht so ausgestaltet, dass jede Diskriminierung von Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Es verstoße deshalb gegen Artikel 31 Absatz 1 EG (siehe Kasten). In Anbetracht dieser Feststellung erübrige sich eine Antwort auf die Frage, ob zusätzlich ein Verstoß gegen Artikel 28 (Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen) und Artikel 43 (Niederlassungsfreiheit) vorliege.

Die schwedische Wohlfahrtsministerin Ylva Johannson reagierte auf das Urteil mit der zutreffenden Feststellung, der EuGH lasse Schweden durchaus Spielraum. Das Monopol des Arzneimittelvertriebs für Apoteket werde modifiziert, um den Bedenken des EuGH Rechnung zu tragen. Auch weiterhin werde aber der Arzneimitteleinzelhandel in Schweden allein der staatlichen Apothekenkette Apoteket erlaubt bleiben.

In der deutschen Wirtschaftspresse war im Vorfeld des Urteils und kurz nachdem es bekannt wurde fälschlich der Eindruck erweckt worden, die Entscheidung stelle für ganz Europa infrage, dass der Vertrieb von Arzneimitteln Apotheken vorbehalten werden dürfe. Die Lektüre des Urteils und der Schlussanträge des Generalanwaltes zeigen, dass dies nicht zutrifft (siehe Kommentar). Die Hoffnung großer Handelsketten, in Schweden und überall in Europa alsbald in den Arzneimittelhandel einsteigen zu können, hat durch das Urteil einen derben Dämpfer bekommen.

Aus dem EG-Vertrag: Artikel 31

(1) Die Mitgliedstaaten formen ihre staatlichen Handelsmonopole derart um, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist.

Dieser Artikel gilt für alle Einrichtungen, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflusst. Er gilt auch für die von einem Staat auf andere Rechtsträger übertragenen Monopole.

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