Patientensicherheit: Für eine "Fehlerkultur" im deutschen Gesundheitssystem

MÜNCHEN/BERLIN (ks). Behandlungsfehler im Medizinbetrieb gehören zu den zehn häufigsten Todesursachen. Nach US-amerikanischen Daten sterben an ihnen mehr Menschen als an AIDS, Brustkrebs oder durch Verkehrsunfälle. In Deutschland ist die Situation nach Einschätzung von Prof. Matthias Rothmund, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), vergleichbar. Ein "Aktionsbündnis für Patientensicherheit" will sich künftig dafür einsetzen, Fehler in der stationären und ambulanten Versorgung weitgehend zu vermeiden.

Bereits 1999 kam ein Bericht des amerikanischen "Institute of Medicine" zu dem Ergebnis, dass in den USA mindestens 44.000, möglicherweise sogar 98.000 Todesfälle auf vermeidbare Behandlungsfehler zurück gehen. Andere Studien zeigen, dass in Australien mehr als 16 Prozent, in London knapp zwölf Prozent aller Krankenhauspatienten ein "unerwünschtes Ereignis" widerfährt. Das Robert-Koch-Institut spricht von jährlich rund 40.000 Behandlungsfehlern in Deutschland - allerdings sind hier nur offiziell gewordene Schadensfälle erfasst.

Öffentlich werden Behandlungsfehler in der Regel nur, wenn ein medizinischer "GAU" passiert: Wenn eine neue, ungenügend geprüfte Therapie zu katastrophalen Ergebnissen führt, wenn aufgrund einer Seitenverwechslung ein gesunder Lungenlappen entfernt oder ein falsches Bein amputiert wird. Meist sind es Fehler der Chirurgen, die auffallen – auch wenn sie in allen Bereichen der Medizin vorkommen können. In der operativen Medizin sind die Fehler und Konsequenzen jedoch einfacher zu durchschauen und auch eher nachzuweisen. Weitaus schwieriger lässt sich beispielsweise nachvollziehen, ob sich der Gesundheitszustand von Patienten etwa durch eine falsche Medikation verschlechtert hat.

Schlechte Kommunikation häufige Fehlerquelle

Rothmund betonte, dass unerwünschte Ereignisse selten die Folge eines groben Fehlers eines Einzelnen seien: "Viel häufiger sind sie die Konsequenz kleiner, sich zu einer gefährlichen Reihe addierender Unaufmerksamkeiten oder Folge von Kommunikationsstörungen". Typisches Beispiel: Ein Arzt ordnet ein Medikament handschriftlich an, die Schwester kann die Schrift nicht entziffern und gibt die falsche Dosis. Um die Zahl der Fehler zu reduzieren, fordert Rothmund eine ≠Fehlerkultur' zu etablieren. Dabei gehe es weniger um die Aussortierung einzelner "schwarzer Schafe", als um eine Systemänderung. "Ärzte und Pflegepersonal müssen ohne Angst vor Bestrafung Fehler oder 'Beinahe-Fehler' an eine Zentralstelle melden können", so der DGHC-Präsident. Man müsse über Fehler offen sprechen können, mit dem Ziel, Mechanismen und Verhaltensweisen zu erzeugen, die Fehler künftig vermeiden. Rothmund kritisierte, dass in Deutschland nur an 20 Prozent der Kliniken, die Chirurgen ausbilden, eine Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz stattfinde, in der über verstorbene Patienten gesprochen werde. In den anderen Krankenhäusern werde über eventuelle Fehler nicht strukturiert oder gar nicht gesprochen. Rothmund: "In den angelsächsischen Ländern wäre das ein Grund, einem Chef die Weiterbildungsermächtigung zu entziehen."

Aktionsbündnis Patientensicherheit

Um die Patientensicherheit in Deutschland spürbar zu erhöhen, soll am 11. April das "Aktionsbündnis Patientensicherheit" gegründet werden - ein Zusammenschluss der Ärztekammern, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, von Selbsthilfegruppen und dem deutschen Pflegerat.

Die ersten drei Schwerpunkte setzt das Bündnis auf Maßnahmen gegen die Verwechslung von Operationsseiten, die Verwechslung von Patientendaten und falsche Arznei-Verabreichungen. "Alle reden über Nebenwirkungen, aber niemand spricht über falsche Verordnung von Medikamenten", betonte Prof. Matthias Schrappe, Ärztlicher Direktor des Marburger Universitätsklinikums, der dem Aktionsbündnis künftig vorstehen soll. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - ABDA - ist an dem Bündnis nicht beteiligt.

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