Fortbildung

DPhG Hessen: Sag niemals nie, wenn du einen Freund hast

Für den Abend des 10. Februar 2004 hatte der Vorstand der Landesgruppe Hessen der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft zur Mitgliederversammlung in Frankfurt am Main eingeladen. Dies war insofern eine besondere Mitgliederversammlung, als der Vorsitzende der Landesgruppe, Prof. Henning Blume, angekündigt hatte, nach acht Jahren als Vorsitzender nicht ein weiteres Mal für dieses Amt zu kandidieren. Es musste also ein Nachfolger gewählt werden.

In seinem Rechenschaftsbericht konnte Blume deutlich machen, wie erfolgreich er in den vergangenen acht Jahren diese Landesgruppe geführt hatte. So konnte nicht nur die Zahl der Mitglieder auf über 700 mehr als verdoppelt werden. Auch die attraktiven Vortragsprogramme, die er alljährlich mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand zusammengestellt hatte, erwiesen sich als äußerst zugkräftig und wurden durchschnittlich von 150 interessierten Zuhörern besucht.

Dass auch die Kasse gut geführt worden war, belegte Frau Dr. Schartmann in Vertretung von Dr. Steinbach. Fast zu 100% wurden die Beitragsgelder für die Organisation der Vortragsveranstaltungen verwendet, wobei weit weniger Geld von der Dachorganisation angefordert wurde, als der Landesgruppe formal zustand.

Nach der einstimmigen Entlastung des Vorstands dankte zunächst Prof. Dingermann dem scheidenden Vorsitzenden für seine gute Arbeit und für sein großes Engagement.

Danach stellte Dingermann den anwesenden Mitgliedern den Kandidaten vor, den der Vorstand den anwesenden Mitgliedern als Nachfolger von Blume vorschlagen wollte: Prof. Holger Stark, der 2000 von Berlin nach Frankfurt berufen worden war. Er hatte sich im Vorfeld der Sitzung einverstanden erklärt, den Landesgruppenvorsitz zu übernehmen, und wurde einstimmig gewählt. Auch dem Vorschlag des neuen Vorsitzenden Stark, den alten Vorstand wiederzuwählen, um so Kontinuität in der Arbeit der Landesgruppe zu gewährleisten, stimmte die Mitgliederversammlung zu.

Mutschlers "Abschiedsgeschenk"

Bereits gegen Ende der Sitzung wurde es zunehmend unruhig im großen Hörsaal des Biozentrums. Immer mehr Personen trafen ein, und nach und nach füllte sich der Hörsaal bis auf den letzten Platz. Ein Highlight kündigte sich an, denn für die letzte von ihm geleitete Vortragsveranstaltung hatte Blume Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernst Mutschler als Referenten gewinnen können.

Mutschler sollte den Abschluss einer Vortragsreihe bilden, in der unter verschiedenen Gesichtspunkten nach dem Zusatznutzen moderner Wirkstoffe und Medikamente gefragt wurde. Nachdem zuvor die Professoren Glaeske, Ammon, Schunack, Dingermann und Blume vorgetragen hatten, sollte als letzte Frage die Me-too-Problematik kritisch beleuchtet werden. Wer hätte dies besser gekonnt als Prof. Mutschler?

Aber der hatte sich doch vor Jahren bereits von der Vortragsbühne verabschiedet! Stolz und glücklich erklärte Blume, wie er es geschafft hatte, Mutschler aus dieser selbst verordneten Karenz für diesen einen Abend zu entpflichten. Sag niemals nie, ... wenn du einen Freund hast! Diese Erfahrung musste Mutschler machen, als sein Freund Blume ihn um sein Abschiedsgeschenk bat.

Kein Wunder, dass sich knapp 400 Kolleginnen und Kollegen auf den Weg gemacht hatten, um dieses Highlight keinesfalls zu verpassen.

Erfolge der Wirkstoffforschung

Und es war ein Highlight! Souverän, eloquent und auf Basis aktuellsten Wissens dokumentierte Mutschler, wie unprofessionell und unangemessen es ist, Analogpräparate generell zu diskreditieren. Doch bevor er diese These in vielen Beispielen belegte, mahnte er zunächst zur Besinnung auf die großen Erfolge, die die Wirkstoffforschung des letzten Jahrhunderts generell vorweisen kann.

"Es ist noch gar nicht so lange her, dass die häufigste Todesursache die Tuberkulose war, und der enorme Zuwachs der durchschnittlichen Lebenserwartung ist zu ganz großen Teilen den immer wirksamer und besser verträglicher werdenden Arzneimitteln geschuldet", so Mutschler. An diesen Erfolgen seien durchaus auch einige der so genannten Analogpräparate beteiligt.

Allerdings bedürfe es einer kritischen Wertung. Denn keineswegs sind Analogpräparate immer besser als ihre Vorbilder. "Forschung, aber nicht Forschungserfolg ist planbar. Die Entwicklung einer Analogsubstanz kann daher – verglichen mit der Innovatorverbindung – zu einem schlechteren, gleichguten oder besseren Pharmakon führen", erläuterte Mutschler.

Dass aber Analogpräparate einen ganz signifikanten Anteil an unserem aktuellen Arzneimittelschatz haben, demonstrierte Mutschler ebenso, wie er Widersprüche aufzeigte, in die sich diejenigen verstricken, die diese Tatsache aus zweifelhaftem Interesse ignorieren.

Es war ein Repetitorium in Pharmakologie, das den Zuhörern geboten wurde, und wie immer verstand es der große Pharmakologe, die Faszination, die ihn selber an die Pharmakologie herangeführt hatte, auch bei den Zuhörern zu entfachen.

Den Einstieg in die konkreten Beispiele wählte Mutschler mit den Sulfonamiden, aus denen durch klassische Strukturvariationen die Sulfonamid-Diuretika und Diuretika mit unterschiedlichsten Wirkmechanismen abgeleitet wurden.

Einen ähnlich eindrucksvollen Fortschritt zeigen die Betablocker; ausgehend vom Pronethanol, das wegen der beobachteten Sarkombildung bei Mäusen nicht zugelassen ist, wurden sie über das nicht selektive Propranolol, das kurzwirksame β1-selektive Metoprolol, das langwirksame β1-selektive Atenolol, das unselektive vasodilatierende Carvedilol bis hin zum β1-selektiven vasodilatierenden Nebivolol weiterentwickelt.

Bei den Antiinfektiva stand das nur parenteral applizierbare Penicillin G mit schmalem Spektrum am Anfang; durch Einführen eines einzigen Sauerstoffatoms wurde das nun peroral applizierbare Penicillin V entwickelt. Es folgte Ampicillin, das erste Breitband-Penicillin mit allerdings recht schlechter Resorbierbarkeit. Ausgehend vom Ampicillin wurde das in seiner Wirksamkeit vergleichbare Amoxicillin entwickelt, das deutlich besser resorbierbar ist.

Ein Beispiel für eine Weiterentwicklung mit dem Resultat einer deutlich besseren Verträglichkeit sind die Neuroleptika Clozapin und Olanzapin. Wurde Clozapin wegen seiner Agranulozytosegefahr zunächst aus dem Handel genommen, dann aber wegen des besonderen Wirkprofils wieder zugelassen, gelang es, mit Olanzapin ein Me-too zu entwickeln, das sich durch eine deutlich geringere Agranulozytosegefahr auszeichnet.

Gäbe es nicht den COMT-Hemmer Entacapon, stünde kein Vertreter dieser wichtigen Wirkstoffklasse zur Verfügung, da die Sprunginnovation Tolcapon wegen zu hoher Lebertoxizität aus dem Handel genommen werden musste. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Acetylcholinesterase-Hemmern, denn die Sprunginnovation Tacrin konnte wegen ihrer Lebertoxizität nicht in effektiven Dosen eingesetzt werden und wurde schließlich wegen der viel besser verträglichen Me-toos zurückgezogen.

Weitere Entwicklungsserien findet man bei den H1- sowie den H2-Antihistaminika. Gäbe es das Me-too Metformin nicht, fehlten die Biguanide im verfügbaren Wirkstoffarsenal, da Phenformin und Buformin nicht mehr im Handel sind. Und es gäbe die "Pille" nicht, hätte man nicht Wirkstoffe durch systematische Strukturvariationen weiterentwickelt.

Fortschritt meist in kleinen Schritten

Mutschler erinnerte daran, dass die Natur einer der größten "Me-too-Hersteller" ist (beispielsweise Morphin, Codein, Thebain, oder Strophanthin, Digoxin, Digitoxin). Er resümierte, dass sich medizinischer Fortschritt relativ selten in großen und wesentlich häufiger in kleinen Schritten vollzieht und dass dies auch für die Arzneimittelforschung gilt.

Ferner gab er resümierend zu bedenken, dass sich etliche Innovatorpräparate nicht als optimal in der entsprechenden Arzneistoffklasse erwiesen haben und dass man daher von einer Globalbeurteilung von Arzneistoffen innerhalb einer Arzneistoffklasse aus theoretischen und aus praktischen Gründen absehen sollte.

Vielmehr muss in jedem Einzelfall, d. h. bei jedem neuen Wirkstoff geprüft werden, ob ein pharmakodynamischer und/oder ein pharmakokinetischer Fortschritt vorliegt oder nicht. Der pharmazeutischen Industrie schrieb Mutschler ins Pflichtenheft, dass dann, wenn ein solcher Fortschritt postuliert wird, dieser auch nach den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin zu belegen ist.

Mutschler entließ die anwesenden Apothekerinnen und Apotheker nicht, ohne ihnen Mut zu machen, dass sie trotz des gesundheitspolitischen Gegenwindes nicht die Freude an ihrem sehr schönen Beruf verlieren sollten. Langer Applaus und eine kurze Diskussion beendeten diesen eindrucksvollen Fortbildungsabend.

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