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Nach der Gesundheitsreform ist vor der Gesundheitsreform – ließen gesundheitspolitische Insider bereits Ende des vergangenen Jahres verlauten. Sie werden Recht behalten. Denn eines zeichnet sich bereits heute ab: viele der angepeilten Ziele werden sich wohl mit dieser Reform nicht erreichen lassen, z. B. niedrigere Krankenkassenbeiträge.

Eine Krankenkasse, die Securvita-BKK, wollte ihre Beitragssätze auf ein "unverschämt niedriges" Niveau senken – und wurde vom Bundesversicherungsaufsichtsamt angemahnt. Sie dürfe nicht, da ihre Finanzlage dies nicht zulasse, hieß die Begründung dafür. Die Securvita klagte dagegen und darf jetzt senken, aber der Rechtsstreit geht weiter.

Nach wie vor im Focus der Medien und der Öffentlichkeit: das Hickhack um die Praxisgebühr. Am 15. Februar war in den Nachrichtendiensten zu lesen: Die Praxisgebühr wankt. Der bundesweite Protest gegen die Praxisgebühr habe Wirkung gezeigt, hieß es, und erstmals habe die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erklärt, das Eintrittsgeld für den Arztbesuch sei "nicht in Stein gemeißelt".

Gegenüber der Leipziger Volkszeitung sagte sie, sie würde keine Wette eingehen, dass die heutige Form der Praxisgebühr so noch in fünf Jahren verlangt werde. Und weiter: "Wir haben in die Reform hineingeschrieben, dass die Kassen Hausarztsysteme anbieten müssen. Wer sich einem solchen System anschließt, dem kann auch die Praxisgebühr erstattet werden."

Einen Tag später, am 16. Februar, kam dann eine Erklärung aus der Pressestelle des Gesundheitsministeriums: "Praxisgebühr wird nicht geändert." Die Praxisgebühr sei Teil der Gesundheitsreform, die von Bund und Ländern, Regierungsfraktionen und der Unionsopposition gemeinsam beschlossen worden sei, jetzt umgesetzt und nicht verändert werde. Warten wir's ab...

Der nächste Ärger bahnt sich an: Die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen haben in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass die Festbeträge zum 1. April 2004 "angepasst", sprich gesenkt werden sollen. 400 Mio. Euro sollen damit zusätzlich eingespart werden. Außerdem haben die Spitzenverbände damit gleichzeitig die Voraussetzungen geschaffen, dass die Preislinien im Rahmen der Aut-idem-Regelung aufgehoben werden können – das untere Preisdrittel bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln verlagert sich von der Aut-idem-Regelung auf die Festbeträge.

Das führt zum Aufschrei in der Pharmaindustrie. Pharmahersteller leisteten mit dem 16%-Herstellerabschlag bereits einen "unverhältnismäßig hohen Solidarbeitrag", außerdem führe die jetzige Anpassung zu einem Preisniveau, das am unteren Ende der Preisskala in Europa liege. Viele Hersteller werden diese drastische Absenkung nicht verkraften, so die Pharmaverbände, und somit ihre Preise nicht auf Festbetragsniveau senken können.

Das bedeutet: Patienten müssten bei solchen verordneten Präparaten, die über dem Festbetrag lägen, aus der eigenen Tasche die Differenz zum Festbetrag zuzahlen. Laut Gesetz darf allerdings das Gebot einer hohen Versorgungsqualität nicht verletzt werden, d. h., es muss aus Versorgungsgründen eine hinreichende Arzneimittelauswahl gewährleistet sein.

Deshalb haben die Spitzenverbände die Preise von lediglich 119 Gruppen der insgesamt 294 Gruppen in das untere Preisdrittel gesenkt. Damit werde aber bereits dokumentiert, so die Pharmaverbände, dass in diesen 119 Gruppen keine ausreichende Arzneimittelversorgung gewährleistet sei. Auch hier: Warten wir's ab...

Kleines Scharmützel am Rande des Polittheaters: ein Bonner Rechtsanwalt erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen des "Verdachts des Wuchers bei der Preisgestaltung für Arzneimittel". Mit der Anzeige will der Anwalt gegen die neue Arzneimittelpreisverordnung vorgehen, durch deren Regelungen sich die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel im unteren und mittleren Preissegment ab Januar für Selbstzahler oft mehr als verzehnfacht hätten.

Zitiert wird in den Medien das Beispiel von Diazepam ratio, das statt 80 Cent jetzt 9,86 Euro koste. Dass die Preise für höherpreisige Arzneimittel mit einem Gesamtumsatz von 17 Mrd. Euro sinken – davon ist natürlich in der Anzeige des Anwalts nicht die Rede.

Vorsorglich wendet sich ratiopharm auf seinen Internetseiten in einem offenen Brief an die Patienten und stellt klar, dass nicht ratiopharm die Preise erhöht habe, sondern dies auf die gesetzliche Regelung zurückzuführen sei: "Selbst wenn ratiopharm ein Arzneimittel kostenlos abgeben würde, läge der Preis dieses Arzneimittels in der Apotheke bei 9,40 Euro!" Da drängt sich die Frage auf: Hält diese Diskussion die AMpreisV aus?

Die Gesundheitsreform wird auch weiterhin für Unruhe sorgen. Kein Wunder, wenn da Gerüchte entstehen, Ulla Schmidt werde sich wohl nicht mehr lange im Amt halten, zumal sie der Kanzler auch in Sachen Pflegeversicherung unlängst zurückgepfiffen hat. Ob eine andere rote Gesundheitsministerin, z. B. Schaich-Walch, besser wäre, wage ich zu bezweifeln. Die Zeit ist reif für Wahlen.

Peter Ditzel

Abwarten in unruhigen Zeiten

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