Aus der Hochschule

Universität Jena: Verbundprojekt Alzheimer

Im Juli 2002 beschlossen alle Professoren des Instituts für Pharmazie der Universität Jena, gemeinsam ein Projekt zur Erforschung potenzieller Arzneistoffe gegen die Alzheimer-Krankheit durchzuführen. Nachdem der Wissenschaftsrat das Projekt positiv evaluiert hat, ist es nun in vollem Gange. Mit relevanten Ergebnissen ist freilich erst in einigen Jahren zu rechnen.

Das Angebot, das zur Therapie der Alzheimer-Krankheit zur Verfügung steht, ist lächerlich gering; zudem greifen die Präparate erst in späte Stufen des Krankheitsprozesses ein, sodass von einer kausalen Therapie nicht die Rede sein kann. Die für diese Indikation zugelassenen Medikamente Donezepil, Rivastigmin und Galantamin verzögern die Krankheitsprogression um etwa ein Jahr, können die Krankheit jedoch nicht heilen.

Ursache: Genmutation

Die Alzheimer-Erkrankung beruht auf einer genetischen Mutation, die im Laufe des Lebens mit stetig wachsender Wahrscheinlichkeit auftreten kann. Einerseits gibt es eine erbliche Veranlagung für diese Genmutation – in China z. B. ist Alzheimer relativ selten –, andererseits wird diese auch durch die persönlichen Lebensumstände und deren Auswirkungen auf den Organismus provoziert; insbesondere eine gestörte Calciumhomöostase ist hier als hoher Risikofaktor zu nennen.

Die Genmutation führt dazu, dass die drei Isoformen des Enzyms Secretase in einem unnatürlichen Mengenverhältnis synthetisiert werden: zu wenig α-, zuviel β- und γ-Secretase. Alle drei Isoenzyme zerlegen ein Transmembranprotein mit noch unbekannter Funktion, das im Hinblick auf sein pathogenes Abbauprodukt als Amyloid-Vorläuferprotein (APP) bezeichnet wird, in Polypeptide unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher physikochemischer Eigenschaften.

Ein Spaltprodukt der β-Secretase, das aus 42 Aminosäuren besteht und deshalb Aβ42 heißt, ist im Gegensatz zu den anderen Spaltprodukten im Liquor nicht löslich; es aggregiert mit den ebenfalls von der β-Secretase gebildeten Polypeptiden Aβ40 und Aβ38 und lagert sich mit ihnen auf den Neuronen ab. Dort wächst mit der Zeit eine Schicht (Plaque) heran, die schließlich den Tod der Zelle herbeiführt. Da die Plaque sich mit Iod anfärben lässt und sich in dieser Hinsicht wie Stärke verhält, hatte der Zellularpathologe Rudolf Virchow sie als Amyloid bezeichnet (heute ist Amyloid die Bezeichnung für die einzelnen Polypeptide). Ein weiteres pathophysiologisches Merkmal von Alzheimer ist die Hyperphosphorylierung von tau-Proteinen in den Neuronen, die dadurch funktionsuntüchtig werden und die Zellen nicht mehr stabilisieren können.

Ansatzpunkt: Aβ42

Ein rationaler Ansatz zur Therapie der Alzheimer-Krankheit besteht darin, die Bildung von Ab42 zu hemmen. Zwar sind mehrere peptidische Inhibitoren der Secretasen bekannt, diese können aber die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und lösen außerdem unerwünschte Immunreaktionen aus. Die Suche richtet sich deshalb auf kleine Moleküle, die ZNS-gängig sind oder durch pharmazeutisch-technologische Manipulation ZNS-gängig gemacht werden können.

Aufgrund epidemiologischer Beobachtungen vermutete man, dass COX-Hemmer auch die Aβ42-Bildung vermindern. In Zellkulturen konnte man diesen Effekt zwar für einige Substanzen – Ibuprofen, Indometacin, Sulindac, besonders stark bei Flurbiprofen – bestätigen, für andere wie Naproxen dagegen nicht. Die Ergebnisse weisen also darauf hin, dass die Secretasehemmung nicht mit der COX-Hemmung korreliert; es gibt aber auch noch keine andere plausible Erklärung für die beobachteten Effekte. Als Alzheimer-Medikamente kommen die genannten Substanzen wohl nicht in Frage, weil sie nicht ZNS-selektiv sind und aufgrund der ständigen COX-Hemmung im Organismus auf die Dauer schwere Nebenwirkungen hätten.

Bei der empirischen Suche nach Inhibitoren der Aβ42-Bildung fielen auch die als Cholesterolsenker bekannten Statine positiv auf, die schon häufiger durch ihre pleiotropen Effekte von sich reden gemacht haben. Den Effekt kann man teilweise als eine indirekte Secretase-Hemmung erklären, weil Cholesterol und sein Ester die Aktivität der Secretasen fördern. Statine stimulieren jedoch auch die NO-Synthase, und dieser Effekt scheint hier von größerer Bedeutung zu sein.

Auch andere Substanzen, die Stickstoffmonoxid im Zentralnervensystem freisetzen, wirken der Bildung von Amyloid-Plaques entgegen. Wie sie die Aktivität der Secretasen modulieren, ist noch nicht bewiesen, aber es könnte auf die gleiche Weise geschehen, wie es von anderen Enzymen bekannt ist: Das freigesetzte NO bindet an die Sulfhydrylgruppen der Cysteinreste des Enzyms, und die dabei entstehenden SNO-Gruppen behindern die Bildung von Disulfidbrücken. Das kann sich von Fall zu Fall als Inhibition oder Induktion des Enzyms auswirken.

Ein weiterer therapeutischer Ansatz liegt eine Stufe tiefer in der Amyloid-Kaskade: Hier geht es darum, die Schäden durch das bereits vorhandene Aβ42 zu begrenzen. Da Cu2+- und Zn2+-Ionen die Amyloid-Plaques stabilisieren und zudem die Bildung von H2O2 katalysieren, das inflammatorische Prozesse und schließlich den Zelltod auslöst, müsste ein Chelatbildner, der die Ionen aus dem Verkehr zieht, einen positiven Effekt haben. Dies wurde für das Antiseptikum Clioquinol bestätigt.

Auf der Suche nach geeigneten Wirkstoffen

In Jena erforscht man nicht nur die Wirkmechanismen von Alzheimer-protektiven Substanzen, sondern man sucht auch nach weiteren solchen Wirkstoffen, und führt ein groß angelegtes Screening durch. Neben verschiedenen organischen Nitraten, Nitrosothiolen und Diazeniumdiolaten werden auch Pflanzenextrakte und deren isolierte Inhaltsstoffe getestet, wobei die Auswahl u. a. aufgrund von ethnopharmazeutischen Daten erfolgt. Für die Therapie kommen nur Wirkstoffe in Frage, die möglichst ZNS-selektiv und nebenwirkungsfrei sind. Wirkstoffe, die diese Forderungen nicht erfüllen – und das sind die meisten –, werden in Prodrugs mit den gewünschten pharmakokinetischen Eigenschaften (z. B. Lipophilie) umgewandelt.

Parallel dazu entwickeln und erproben Pharmazeutische Technologen liposomale und polymere Carrier, mit deren Hilfe die Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranken (besser) überwinden können. Die Pharmakologen wiederum testen in verschiedenen In-vitro-Modellen die pharmakodynamischen Eigenschaften. Daran schließen sich toxikologische und pharmakologischen Tierversuche an, u. a. an transgenen Alzheimer-Mäusen.

Beim Verbundprojekt Alzheimer in Jena arbeiten alle pharmazeutische Fachrichtungen einer Universität zusammen, um der klinischen Forschung möglichst aussichtsreiche Wirkstoffe bereitzustellen. In seiner Art ist es in Deutschland einzigartig.

Dr. Wolfgang Caesar

Quelle:

Vortrag "Verbundprojekt Alzheimer" von Prof. Dr. Jochen Lehmann auf der Bundesverbandstagung des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) am 5. November in Jena.

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