Arzneimittel und Therapie

Tollwutimpfung für Reisende: Die Rechnung nicht ohne den Hund machen

"Machen Sie um streunende Hunde einen großen Bogen" - so lauten bislang die eher realitätsfernen Tipps für Fernreisende, die es in Tollwutregionen zieht. Tatsache ist, dass das Risiko, sich zu infizieren und an Tollwut zu erkranken, sehr gering ist. Tatsache ist aber auch, dass im Ernstfall die notwendige Versorgung vor Ort oft unzureichend ist, eine Tollwutinfektion immer tödlich endet und die Inkubationszeiten, und damit die Ungewissheit, sehr lang sein können. Ein aktuelles Konsensuspapier, an dem unter anderem Vertreter von STIKO, deutschen Tropeninstituten und dem Auswärtigem Amt mitarbeiteten, plädiert dafür, Reisende zumindest über das Risiko aufzuklären. Auch sollte die Impfung, die hierzulande längst hochwirksam und sicher ist, angeboten werden.

Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfiehlt die Impfung gegen Tollwut für Tierärzte, Forstarbeiter, Jäger und Personen mit Kontakt zu Fledermäusen. Impfen lassen sollen sich zudem Reisende in Regionen mit hoher Tollwutgefährdung. Doch dieser Ratschlag wird kaum umgesetzt.

Eine Umfrage an Flughäfen in München, Paris und London ergab, dass 95% der Fernreisenden keinen Schutz, 5% möglicherweise eine Immunität besitzen. Einen sicheren Schutz hatte keiner der Befragten. Selbst die zehn Prozent, denen eine Impfung im Vorfeld nahe gelegt wurde, lehnten ab. Die zwei wichtigsten Begründungen: "Für mich besteht kein Risiko" und "Es ist nicht wichtig".

Streunende Hunde: Überträger Nummer 1

Das aber bedeutet, den Kopf in den Sand zu stecken. Laut WHO gibt es pro Jahr weltweit 50 000 bis 60 000 Tollwuttote, überwiegend in Asien. Aber auch Afrika, Mittelamerika und Teile Südamerikas sind betroffen (siehe Karte). Das Risiko, von einem Hund gebissen zu werden, ist in diesen Entwicklungsländern hoch. In Bangkok liegt es beispielsweise bei 5,3%. Und die Hunde machen auch vor Touristen keinen Halt.

So betrug die Häufigkeit der Tollwutexposition bei Reisenden 1,9/1000 Personen pro Jahr, bei Langzeitaufenthalt 5,7 Personen pro Jahr. Laut Bericht des Statistischen Bundesamts 2003 zu Gesundheitsstörungen bei Reisenden werden immerhin 0,2% mit Bissen von Tieren mit Tollwutrisiko konfrontiert. Der Erreger, das Rabiesvirus, kann prinzipiell von allen Säugetierarten übertragen werden.

In tropischen und subtropischen Gegenden sind aber zu 90% infizierte Hunde die Infektionsquelle, in Europa steht der Rotfuchs an erster Stelle. Zunehmend an Bedeutung gewinnt auch die Übertragung durch Fledermäuse. So sind in den USA zwischen 1990 und 2001 neun von zehn an Tollwut verstorbenen Patienten durch Fledermauskontakt mit dem Virus infiziert worden. Da die Bisse sehr klein sind, werden sie häufig nicht erkannt und bleiben unbehandelt.

Information ist das Mindeste

Die Tollwut gehört zu den Viruserkrankungen des zentralen Nervensystems (siehe Kasten). Die Letalität liegt bei 100 Prozent. Das heißt: jeder, der daran erkrankt, stirbt. Vor diesem Hintergrund erhält die Prävention einen hohen Stellenwert. Auch wenn das Risiko, bei einem Urlaub in ein Tollwutgebiet tatsächlich zu erkranken, minimal ist. Zumindest aber hat der Reisende ein Recht auf Information: Er muss wissen, dass dieses Risiko besteht, auch oder gerade wenn er in "reine" Touristenhochburgen reist, welche Probleme sich bei der Versorgung vor Ort ergeben können (siehe unten) und dass es eine wirksame und gut verträgliche Impfung gibt. Nur dann ist er selbst in der Lage, die Entscheidung für oder gegen eine Präexpositionsprophylaxe zu treffen.

Einfach in den Oberarm: hoch-immunogene Zellkultur-Impfstoffe

Was viele nicht wissen: Für die aktive Immunisierung stehen bereits seit 25 Jahren hochimmunogene und sichere Zellkultur-Impfstoffe zur Verfügung, die wie Tetanus von jedem Arzt in den Oberarm gespritzt werden können. Dazu gehören der "purified chick embryo cell vaccine" (PVECV - Rabipur®) sowie der human diploid cell strain vaccine (Rabivac®). Die Grundimmunisierung kann innerhalb von drei Wochen abgeschlossen werden. Eine Auffrischimpfung wird alle 2 bis 5 Jahre empfohlen. Und: selbst Neugeborene könnten geimpft werden. Das Lebensalter spielt keine Rolle.

Postexpositionell: Wundreinigung und Immunisierung

Bei einem Biss oder Kratzwunden von einem Tier mit einer möglichen Tollwutinfektion sollte man auf jeden Fall die Wunde intensiv mit 1%iger Seifenlauge reinigen.

  • Wer nicht geimpft ist, muss unverzüglich mit der postexpositionellen Tollwutbehandlung beginnen. Dabei wird die Wunde mit Tollwutimmunglobulin umspritzt, das restliche Immunglobulin intragluteal appliziert. Zeitgleich beginnt die aktive Immunsierung, bei der insgesamt fünf Impfdosen notwendig sind. Wichtig: Für die postexpositionelle Behandlung gibt es keine Kontraindikationen, auch nicht Schwangerschaft, Stillzeit oder Alter.
  • Wer bereits geimpft ist, benötigt kein Tollwutimmunglobulin, sondern lediglich zwei bis maximal drei Impfdosen.

Laut Dr. C. Schönfeld vom Tropeninstitut in Berlin ist bei frisch Geimpften das Risiko nach Exposition zu erkranken extrem gering sei. Eine Impfung im Vorfeld kann daher dem Reisenden die notwendige Zeit verschaffen, bis eine sichere und verträgliche postexpositionelle Behandlung eingeleitet werden kann. Sie schützt aber auch vor unbemerkter Infektion, beispielsweise durch Fledermäuse.

Problem vor Ort: Schlechte Impfstoffe

Soweit die Theorie, die sich hierzulande auch problemlos in die Praxis umsetzen lässt. Völlig anders ist die Situation aber in den Ländern der Dritten Welt. Und zwar aus verschiedenen Gründen: Die Versorgung mit einem gut verträglichen Tollwutimmunglobulin ist weltweit generell sehr schlecht. Viele dieser Länder der dritten Welt verfügen über gar kein Tollwutimmunglobulin. In Thailand beispielsweise findet es sich nur in jedem dritten Tollwutbehandlungszentrum. Und selbst wenn Immunglobulin vorhanden ist, sind Wirksamkeit und Sicherheit beispielsweise durch Lagerungsfehler oder produktionsbedingte Infektionsrisiken hoch.

Auch bei den Tollwutimpfstoffen ist die Situation schwierig: Noch immer werden in Ländern der Dritten Welt häufig Nervengewebe-Impfstoffe verwendet, die im Vergleich zu Zellkultur-Impfstoffen zwei wesentliche Nachteile besitzen: Die Wirksamkeit liegt lediglich zwischen 60 und 80 Prozent, das Risiko schwerer neurologischer Nebenwirkungen, die bei bis zu 14 Prozent tödlich verlaufen, ist hoch. Im Konsensuspapier wird daher empfohlen, die Praxis besser ungeimpft zu verlassen, falls kein moderner Impfstoff vorrätig ist, und sich weiter auf die Suche zu machen. Allerdings erhöht jede Verzögerung das Risiko, dass die neurotropen Viren sich den Weg zum Gehirn bereits bahnen.

"Machen Sie um streunende Hunde einen großen Bogen" – so lauten bislang die eher realitätsfernen Tipps für Fernreisende, die es in Tollwutregionen zieht. Tatsache ist, dass das Risiko sich zu infizieren und an Tollwut zu erkranken, sehr gering ist. Tatsache ist aber auch, dass eine Tollwutinfektion immer tödlich endet und die Inkubationszeiten, und damit die Ungewissheit, sehr lang sein können. Experten plädieren dafür, Reisende zumindest über das Risiko aufzuklären und die Impfung, die hierzulande längst hochwirksam und sicher ist, anzubieten.

Welcher Reisende sollte sich impfen lassen?

Bei Reisen in Tollwutgebiete lassen sich Kontakte mit potenziell infizierten Tieren nicht sicher vermeiden. Auch oder gerade in Touristenzentren sind streunende Hunde häufig. Eine präexpositionelle Impfung empfahl Schönfeld insbesondere für

  • Rucksacktouristen
  • Aufenthalte ab einem Monat
  • Reisen in Gegenden, in denen kurzfristig kein Zentrum zu erreichen ist, dass eine hochwertige Versorgung gewährleisten kann.

Was ist Tollwut?

Die Tollwut ist eine virale Infektion, die das zentrale Nervensystem befällt. Erreger ist das Rabiesvirus aus der Gruppe der Rhabdoviren. Dieses neurotrope Virus sucht sich eine Eintrittspforte über periphere Nerven zum Rückenmark und wandert zum Gehirn, wo es sich vermehrt. Über efferente Nervenfasern gelangt es in die Speicheldrüsen und in hoher Konzentration in den Speichel.

Übertragen wird das Virus vom Tier auf den Menschen, ist also eine Zoonose. Meist führen Bissverletzungen zur Infektion, selten auch der Kontakt des Speichels mit frischen Schürfwunden oder Schleimhaut. Durch intakte Haut kann der Erreger dagegen nicht eindringen. Tollwut-Impfköder, die attenuierte Viren enthalten, sollen potenziell gefährlich sein. Allerdings sind keine gesicherten Erkrankungsfälle bekannt.

Die Virulenz des Rabiesvirus wird mit 30 bis 40 Prozent angegeben. Das heißt: Längst nicht jeder, der infiziert wird, erkrankt. Da die Inkubationszeit aber zwischen wenigen Tagen und vielen Jahren liegen kann, bleibt nach einem potenziell gefährlichen Biss immer eine Ungewissheit. Eine Diagnose ist bis zum Auftreten der ersten klinischen Symptome nicht möglich.

Und dann ist es ohnehin zu spät: einmal ausgebrochen endet die Krankheit immer tödlich. Im Prodromalstadium treten Jucken, ziehende Schmerzen und Ameisenlaufen auf. Die Unruhe steigert sich zu einer unkontrollierbaren Erregung mit exzessivem Speichelfluss und äußerst schmerzhaften Krämpfen der Larynx- und Pharynxmuskulatur.

Durch schwachen Luftzug oder den Versuch zu trinken, können diese Spasmen ausgelöst werden. Hydrophobie und Aerophobie sind die Folge. Die anfängliche Hyperreflexie geht in eine Lähmung über. Als Differenzialdiagnose kommen Hirnhautentzündungen und Tetanus in Betracht, die allerdings nicht mit einer Hydrophobie einhergehen.

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