Die Seite 3

Fast unglaublich, wie heute die Legislative arbeitet, z. B. beim GKV-Modernisierungsgesetz. Da wird in Windeseile ein Paragrafenwerk - handwerklich schlecht - zusammengezimmert, ohne die Folgen zu erkennen oder durchzuspielen, die sich aus der Anwendung des Gesetzes ergeben.

Das Motto: wir, die Politiker, geben einen groben Rahmen vor mit mehr- und missdeutigen Formulierungen, Selbstverwaltung und Rechtsprechung werden's schon richten und sich mit unseren Texten arrangieren. Eine Unverschämtheit der Politik, der gewählten Volksvertreter, die von uns allen bezahlt werden. In einem Wirtschaftsbetrieb würde man Mitarbeiter, die derart insuffizient arbeiten, nicht lange halten.

Selbst von Fachleuten und den Machern des Gesetzes erhält man unterschiedliche Interpretationen der Vorschriften. Ein krasses Einzelbeispiel dafür war die fehlende Definition "chronisch krank", nachteilig für diese Patienten, da für sie eine niedrigere Obergrenze bei den Zuzahlungen gilt. Erst 22 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes war es einem Bundesausschuss gelungen, ansatzweise zu definieren, was "schwerwiegende chronische Krankheiten" sind und in welchen Fällen Fahrtkosten erstattet werden.

Ein anderes Beispiel ist die Frage, in welchen Fällen eine Praxisgebühr von zehn Euro bezahlt werden muss und wann nicht. Bis heute sind noch nicht alle Spezialfragen in diesem Zusammenhang eindeutig geklärt, z. B. die Praxisgebühr in Notfällen, wiederholten Notfällen, Unfällen, Sterbefällen, bei Wiederholungsrezepten und bei besonderen Versicherungsarten.

Eine neue Diskussion vergrößert den Wirrwarr: Kassen überlegen derzeit die Einführung so genannter Hausarztmodelle. Sie erwägen, auf die Erhebung der Praxisgebühr zu verzichten oder sie auf andere Leistungen anzurechnen, wenn der Versicherte zunächst zu einem von der Kasse bestimmten Hausarzt geht. Erst dieser solle dann entscheiden, ob der Patient zu einem Facharzt überwiesen werden muss.

Die Gesundheitsministerin sieht das positiv. Für sie ist dies ein Zeichen dafür, dass jetzt Wettbewerb im Gesundheitswesen in Gang kommt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass solche Regelungen dem Gesundheitswesen und den Kranken nützlich sind, wenn der Hausarzt als Nadelöhr fungiert.

Haben die Hausärzte überhaupt die Kapazitäten frei? Fallen dann nicht zusätzlich Hausarzthonorare an, die die Behandlungskosten verteuern? Werden die Hausärzte nicht versuchen, den Patienten erst einmal selbst zu therapieren, bevor sie ihn an den Facharztkollegen überweisen? Ist das Wettbewerb?

Ansätze für einen Wettbewerb im Apothekenbereich zeigen sich noch verhalten. Es gibt weder eine Gründungswelle für Versand- noch für Filialapotheken. Und bei der Preisgestaltung für OTC-Arzneimittel haben wir Apothekerinnen und Apotheker gelernt, dass jede Preisaktion nur einen kurzzeitigen Effekt hätte und sich schnell zu einer Spirale nach unten entwickeln würde.

Abgesehen davon - selbst wenn ein Kollege ausscheren und sich auf dem Gebiet der Preis- und Rabattgestaltung austoben wollte: die Möglichkeiten, Wettbewerb zu betreiben, sind auf dem Gebiet des Arzneimittelwesens bei der Preis- und Rabattgestaltung durch das Heilmittelwerbegesetz stark eingeschränkt. Hier haben es die Ministerien versäumt, entsprechende Lockerungen einzubauen, wenn denn ein echter Wettbewerb möglich sein sollte.

Ein Beitrag in dieser Ausgabe diskutiert z. B. die spannende Frage, ob Rabatte für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel überhaupt erlaubt sind? Darf der Umsatz des Kunden mit OTC-Arzneimitteln in Kundenbindungssysteme einbezogen werden? Wer hier vorschnell mit Ja antwortet, sollte erst einmal in das Heilmittelwerbegesetz schauen - sonst könnte er schnell mit einem Bein im Gefängnis stehen.

Auch das zeigt mir wieder: klare Vorgaben fehlen, es gibt einen Dschungel an Gummiparagrafen und Fallstricken, die für den "Normalapotheker" nur schwer zu durchschauen sind. Sich eben mal so ein bisschen dem Wettbewerb stellen, endet ganz schnell mit eben mal ein paar Abmahnungen und rechtlichen Konsequenzen. Wenn die Politik nach mehr Wettbewerb ruft, dann ist das unter den heutigen Bedingungen der vorhandenen Gesetze nur schwer möglich.

Wettbewerb kann nicht ohne die dafür notwendigen Liberalisierungen auf Gesetzesebene geschehen. Aber wollen wir überhaupt Liberalisierungen? Sollte der Arzneimittelmarkt mehr Freiheitsgrade bekommen, vergleichbar mit anderen Handelsmärkten? Sollen die engen Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes - letztlich ein Verbraucherschutz vor Fehl- und Überkonsum von Arzneimitteln - der Ikone Wettbewerb geopfert werden?

Schwerpunktthema in dieser Ausgabe: das Tabuthema Inkontinenz. Der Apotheke kommt hier eine wichtige Beratungsrolle zu, die äußerst sensibel angegangen werden muss. Betroffene stehen unter einem großen Leidensdruck, Ihre diskrete Hilfe und Beratung sind hier gefragt.

Peter Ditzel

Ikone Wettbewerb

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