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Bundessozialgericht: Kostenübernahme bei Einzelimporten – ja oder nein?

In zwei Entscheidungen hat sich das Bundessozialgericht zu der Frage geäußert, ob Versicherte von ihrer Krankenkasse die Versorgung mit einzelimportierten Arzneimitteln gemäß § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz verlangen können. Das Bundessozialgericht hat diese Frage grundsätzlich verneint und lässt nur in besonderen Einzelfällen die Versorgung mit in Deutschland nicht zugelassenen Medikamenten zu. (Bundesgerichtshof, Urteile vom 18. Mai 2004, Az.: B 1 KR 21/02R, und vom 19. Oktober 2004, Az.: B 1 KR 27/02 R)

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 SGB V ist die Krankenkasse zur Versorgung des bei ihr versicherten Mitglieds mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten umfasst jedoch nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Standard der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

Die Leistungspflicht der Kasse für ein Arzneimittel erwächst daher nicht bereits aus dem Umstand, dass die Therapie mit dem Arzneimittel beim Versicherten positiv gewirkt haben soll und sie bei ihm nach Ansicht seiner Ärzte herkömmlichen Medikamenten vorzuziehen sind. Vielmehr, so das Bundessozialgericht, müsse es zuverlässige, wissenschaftliche nachprüfbare Aussagen geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt sei. Daher fehle es an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedürfe und diese Zuteilung nicht erteilt worden sei.

Rechtslage bei nicht abgeschlossenem Zulassungsverfahren

Ein Anspruch auf Versorgung scheidet nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18. Mai 2004 auch dann aus, wenn eine abschlägige Zulassungsentscheidung bei Verabreichung des Präparats noch nicht bestandskräftig ist. Der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit erfordere nämlich, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Sinne von § 1 Arzneimittelgesetz in einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden seien. Auch werde mit dieser Auslegung geltendes Europarecht nicht verletzt.

Artikel 6 Abs. 1 EGRL 2001/83 bestimmt nämlich, dass ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn die dortige Zulassungsbehörde für das betreffende Mittel eine Zulassung erteilt hat.

Eine Regelung des Gemeinschaftsrechts, dass ein Fertigarzneimittel, das bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen worden ist, automatisch auch in anderen Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden darf, findet sich im sekundären Gemeinschaftsrecht nicht, da es bezüglich der nationalen Zulassungsregelung bislang noch zu keiner Harmonisierung gekommen ist. Folglich ist eine deutsche bzw. EU-weit geltende Zulassung des Arzneimittels Mindestvoraussetzung für eine im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wirtschaftliche und qualitative Verordnungsweise (§ 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Keine Anwendung der Rechtsprechung zum Off-Label-Use

Nach Auffassung des Bundessozialgerichts kann auch die Rechtsprechung des Gerichts zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln für den Fall des Einzelimports keine Anwendung finden. Die Rechtslage ist dabei nämlich eine andere, da ein im Ausland zugelassenes Arzneimittel krankenversicherungsrechtlich nicht so zu behandeln ist wie ein im Inland bereits zulässigerweise im Handel befindliches Medikament, das außerhalb seines arzneimittelrechtlich festgelegten Zulassungsrahmens verordnet und verwendet werden soll.

Die Anwendung eines bisher gar nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der Krankenversicherung ist nach der Rechtsprechung deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Präparats auf einem strafbaren Verhalten (§§ 95, 96 AMG) aufbaut und aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse erwachsen kann. Auch sei, so das Bundessozialgericht, die Behandlung wegen des Fehlens jedweder Qualitätskontrolle mit einem unkalkulierbaren Risiko für etwaige Gesundheitsschäden behaftet, welches der Versichertengemeinschaft nicht aufgebürdet werden dürfe.

Das generelle Inverkehrbringen eines lediglich im Ausland zugelassenen Medikaments werde von der Rechtsordnung als Ordnungswidrigkeit missbilligt und komme nur in Einzelfällen in Betracht. Demgegenüber ist beim Off-Label-Use das dafür in Betracht kommende Mittel im Inland schon ordnungsgemäß auf seine pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften geprüft worden, so dass zumindest schon die Basis für eine ausreichende Arzneimittelsicherheit geschaffen und damit den Grundanliegen des AMG und des Krankenversicherungsrechts Rechnung getragen worden ist.

Sind Einzelimporte erstattungsfähig?

Unter der Überschrift "Sind Einzelimporte erstattungsfähig?" erschien zu diesem Thema auch ein Beitrag von Rechtsanwalt Andreas Meisterernst in der AZ Nr. 49 vom 29. November 2004.

Versorgung ist jedoch im Einzelfall möglich

In seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2004 stellt das Bundessozialgericht jedoch auch fest, dass im Einzelfall ein Versorgungsanspruch für ein nicht zugelassenes Arzneimittel bestehen kann. In dem dort zu entscheidenden Fall ging es um ein 6-jähriges Mädchen, das an dem selten auftretenden, angeborenen Aderhautkolobom litt und im Juli 2000 mit einer photodynamischen Therapie unter Einsatz eines nicht zugelassenen Arzneimittels behandelt werden musste, weil nach zunächst massiver Sehverschlechterung des rechten Auges die Erblindung drohte. Bezüglich des Arzneimittels war zum Zeitpunkt der Medikation die Methode weder anerkannt noch hinreichend gesichert; das Arzneimittel war lediglich in den USA und in der Schweiz zugelassen.

Nach Überzeugung des Bundessozialgerichts hätte in diesem Fall mit sachverständiger Hilfe geklärt werden müssen, in welcher Häufigkeit die Krankheit auftrete und ob eine systematische Erforschung der Behandlungsmöglichkeiten praktisch ausscheide. Außerdem sei zu klären gewesen, ob die Arzneimittelqualität des Präparats mit Rücksicht auf ausländische Zulassungen zum Behandlungszeitpunkt als ausreichend anzusehen sei. Sei dies der Fall, müsse die Leistungspflicht der Krankenkasse bejaht werden.

Das Arzneimittelrecht stehe einem Anspruch des Versicherten auf Versorgung nicht entgegen, weil es den Vertrieb von im Ausland zugelassenen Medikamenten im Rahmen der Einzelbestellungen zulasse. Bei singulären Erkrankungen bestehe nicht die Gefahr, dass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung faktisch zu einer Markteinführung von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln führe und so die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes unterlaufen würden.

Die unkonventionelle Vorgehensweise eines Arztes bei einer singulären Erkrankung setze auch nicht die vorherige Anerkennung durch den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen voraus. Der Erlaubnisvorbehalt für neue Therapien gelte vielmehr nur für Behandlungsmethoden. Darunter fallen Maßnahmen, die der Arzt bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch anwendet und zu deren therapeutischen Nutzen deshalb generelle Aussagen nicht möglich sind. Eine solche Vorgehensweise ist aber bei einer einmalig auftretenden Krankheit nicht möglich.

Daher dürfen in diesen Ausnahmefällen die Krankenkassen die Übernahme der Arzneimittel und Kosten nur dann verweigern, wenn weitere Ermittlungen begründete Zweifel an der Qualität von den im Ausland durchgeführten Arzneimittelprüfungen ergeben. Darüber hinausgehende Belege für die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des eingesetzten Arzneimittels sind, wie das Bundessozialgericht feststellt, nicht zu fordern, wenn die Einzigartigkeit der Erkrankung verallgemeinerungsfähige Aussagen zur Therapie nicht zulässt.

Daraus folgt: Kommt eine Abwägung zu dem Ergebnis, dass Nutzen und Risiken des Eingriffs nicht zu beanstanden sind, keine Behandlungsalternative ernsthaft zur Verfügung steht und die Behandlung eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung betrifft, so muss die Krankenkasse die Behandlung mit dem betreffenden Arzneimittel finanzieren.

Dr. Valentin Saalfrank, 
Rechtsanwälte Dr. Saalfrank & Zimmer, Köln

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