Pharmakognosie

Preiselbeerblätter und Augentrostkraut: Verfälschungen von Arzneidrogen

Von Walter Schier | Aus dem Drogengroßhandel wurden dem Verfasser zwei Muster von Blatt- bzw. Krautdrogen zugeschickt, die bereits in dieser Firma als Verfälschung erkannt worden waren, aber nicht identifiziert werden konnten. Es handelte sich um Verfälschungen von Preiselbeerblättern und Augentrostkraut.
Foto: Schier
ABB. 1: Blätter von Vaccinium myrsinites (links) und 
Vaccinium vitis-idaea.


Preiselbeerblätter

Die vorliegenden Blätter, die als Verfälschungen der Blätter von Vaccinium vitis-idaea erkannt wurden, sind lederig, ganzrandig, ca. 2 cm und 1 cm breit. Die Oberseite ist etwas dunkler grün als die matt glänzende Unterseite, auf der die Mittelrippe stark, die Seitennerven weniger stark hervortreten. Der Blattgrund ist lang keilförmig in den Blattstiel verschmälert. Oben endet das Blatt mit einem kurzen Spitzchen. Die für die Preiselbeerblätter charakteristischen Drüsenzotten auf der Unterseite fehlen (Abb. 1).

Die Beschreibung entspricht der in Gray's Manual of Botany [1] beschriebenen Art Vaccinium myrsinites Lam. (Immergrüne Heidelbeere). Es irritiert aber, dass als Herkunftsland der Droge Mazedonien angegeben wird, während V. myrsinites nur in den USA (Virginia bis Florida und Louisiana) vorkommt. Hier dürfte der Fall vorliegen, der im Drogenhandel immer wieder einmal beobachtet wird, dass Drogen über Drittländer geliefert werden.

Fotos: Schier

Augustentrostkraut

Diese Verfälschung ist offensichtlich auf eine Verwechslung beim Versand zurückzuführen, denn zwei so unterschiedliche Pflanzen kann ein versierter Pflanzensammler eigentlich gar nicht verwechseln. Bei dem vorliegenden Kraut handelt es sich um Gauchheil (Anagallis sp.). Die Art konnte wegen des schlechten Zustandes der Droge nicht festgestellt werden.

Zunächst eine Vorbemerkung aus dem Schmeil-Fitschen [2]: "Die Taxonomie der Euphrasien ist nach wie vor unbefriedigend gesichert. Es scheint nahezu aussichtslos, die gültig und ungültig veröffentlichte Namensvielfalt klar abgrenzbaren Sippen zuzuordnen. Augentrostbestimmungen sollten stets mit dem Vermerk des benutzten Bestimmungsbuches versehen bleiben." Ein Vergleich von Euphrasia und Anagallis soll die Unterschiede zeigen:

  • Euphrasia rostkoviana Hayne (syn. E. officinalis L.; Abb. 2 – 3); Sommer- und Herbstformen, Zwischenformen! Familie: Scrophulariaceae. Halbschmarotzer. Stengel kantig, Blatt: im Umriss eiförmig, sitzend, auf jeder Seite 4 bis 6 Zähne, Tragblätter der Blüten abgespreizt, Blüten zygomorph, weiß, violett geadert, gelber Schlundfleck, sich während der Blütezeit verlängernd (bis 15 mm); Frucht ovale Kapsel, weich oder borstig behaart (zuweilen nur am Rand).
  • Anagallis arvensis L. (Abb. 4). Familie: Primulaceae. Stengel rund, Blätter hellgrün, ganzrandig, oval, sitzend, stumpf, 15 bis 25 mm lang, kreuzgegenständig oder zu 3 quirlig, Blüten einzeln in den Blattachseln, Blütenstiele viel länger als die Blätter, zur Fruchtzeit rückwärts gebogen, Rand der Blütenblätter drüsenhaarig, tief in 5 Zipfel gespalten, meist rot, Kelchblätter ganzrandig, Frucht runde Deckelkapsel.
  • Anagallis caerulea Schreb. syn. A. foemina Mill. (Abb. 5 - 6). Wie A. arvensis, aber Blätter dunkelgrün, Blütenstiele so lang oder nur wenig länger als die Blätter, Blüten blau, Kelchblätter am Rande fein gesägt.
ABB. 2 – 3: Euphrasia rostkoviana.
 
ABB. 4: Anagallis arvensis (aus [6]).

Die Beispiele zeigen, dass auch im Drogenhandel und nicht nur in den pharmazeutischen Firmen die Identität (und Reinheit) der Drogen überprüft werden sollte. In der ehemaligen DDR erfolgte eine Überprüfung in den staatlichen Drogenkontoren, damit Verfälschungen gar nicht erst in den Handel kommen. Wer in Deutschland Arzneipflanzen sammelt, auch zum Eigenbedarf, der sollte sich gut auskennen, weil Verwechslungen nicht immer harmlos sind.

 

 

ABB. 5 – 6: Anagallis caerulea syn. A. foemina.

Drogenkontor der Ex-DDR

Das Staatliche Drogenkontor Leipzig war die Zentralstelle der DDR für den Handel mit Drogen. Es war eine Einrichtung des Staatlichen Versorgungskontors für Pharmazie und Medizintechnik. Die Außenstellen des Drogenkontors arbeiteten mit der Landwirtschaft (kontrollierter Anbau) und mit pharmazeutischen Betrieben wie dem Arzneimittelwerk Dresden zusammen. Solche pharmazeutischen Betriebe tätigten Aufkäufe nach den Qualitätsstandards des Instituts für Arzneimittelwesen der DDR (in Berlin-Weißensee). Darunter fielen auch Kleinmengen von nicht anbaufähigen Drogen, die von Sammlern aufgekauft werden konnten. Anforderungen an die Qualifikation von Sammlern bestanden nicht, aber ihnen wurde nur unmittelbar geprüfte und für richtig befundene Ware abgenommen. Apotheker Dr. Klaus Winkler, Chemnitz

Literatur 
[1] Gray’s New Manual of Botany.AHandbook of the Flowering Plants and Ferns of the Central and northeastern United States and adjacent Canada. 7. Ed. American Book Company, New 
York/Cincinnati/Chicago 1908, S. 639. 
[2] Schmeil-Fitschen, Flora von Deutschland und angrenzender Länder, 91. Aufl. Bearb. von Karlheinz Senghas und Siegmund Seybold. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim 2000, 
S. 523 f., 413. 
[3] Garcke, A.: Illustrierte Flora Deutschland und angrenzende Gebiete, 23. Aufl. Verlag Paul Parey, Berlin/Hamburg 1972, S. 1302 f., 1082. 
[4] Rothmaler, W.: Exkursionsflora, Atlas der Gefäßpflanzen. Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1959, S. 454, 221. 
[5] Rothmaler, W.: Exkursionsflora, Kritischer Band. Volk und Wissen Volkseigener 
Verlag, Berlin 1976, S. 471, 264. 
[6] Eggebrecht, H.: Unkräuter im Feldbestand. Neumann Verlag, Radebeul 1962, S. 238 f. 
[7] Wichtl, M. (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka, 4. Aufl., Wissenschaftliche 
Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2002, S. 203 – 205, 628 f.

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